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In den nächsten Monaten werden Dutzende von Betrieben vor
Problemen stehen wie denen der AEG-Belegschaft in Nürnberg, die sich von 2005 bis 2007
gegen die Schließung des Werkes durch den Electrolux-Konzern zur Wehr setzte. Die
Boomjahre sind vorbei, und der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutete schon damals für die
meisten Betroffenen den sozialen Absturz. Dies erklärt die Sprengkraft und die
Verbissenheit, mit der hier gekämpft wurde.
Der Arbeitskampf überwand
damals mühelos die Betriebsgrenzen und versetzte eine ganze Region in Aufruhr. Die
üblichen politischen Abgrenzungen und Denkverbote wurden außer Kraft gesetzt.
Linksradikale und konservative kleine Geschäftsinhaber fanden sich nebeneinander auf
Listen, die zum Boykott der Weißen Ware des Konzerns aufriefen. Eine zentrale Rolle
spielte — wie bereits in den vorausgehenden Kämpfen um Werksschließungen
— die IG Metall, die hier in einem traditionell gut organisierten Betrieb über
Einfluss und Ressourcen verfügte.
Doch waren der Vorstand und
das von ihm abhängige Personal nicht bereit, dieses Guthaben voll für das
Überleben der Belegschaft in die Waagschale zu werfen. Das verzweifelte Festhalten an
einer wirkungslos gewordenen sozialpartnerschaftlichen Orientierung und die Angst vor den
unkalkulierbaren Folgen eines nur noch politisch begründbaren Streiks, der sich über
die Grenzen des Arbeitskampfrechts hinwegsetzt, führten dazu, dass die IG Metall mehr auf
den Bremsen stand, als ein Hebel zu sein, der die Kraft der Lohnabhängigen entfesselt.
Wie dies im Einzelnen funktionierte, zeigt das Buch, das von der Redaktion Druckwächter
herausgegeben wurde.
Der Name ist Programm. Die
Druckwächter, eine Gruppe von AEG-Kollegen und externen Unterstützern, warfen sich
mächtig ins Zeug, um Druck auf den Konzern zu machen. Wie die Kolleginnen und Kollegen
das gemacht haben, und wie sie es geschafft haben, die Auseinandersetzung über die
Grenzen des gewerkschaftlich Vorgesehenen hinaus zu treiben, ist zentraler Gegenstand des
Buchinhalts. Erstes sichtbares Ergebnis war der Beginn einer spontanen Arbeitsniederlegung,
die sich so konsolidieren konnte, dass die IG Metall zu einer Urabstimmung über einen
gewerkschaftlichen Streik für einen Sozialtarifvertrag gezwungen war.
Das Buch besteht zu mehr als
der Hälfte aus Interviews. Leserin und Leser können sich so ein eigenes Bild vom
Konflikt und seinen Akteuren machen. Eine zentrale Figur des basisorientierten Widerstands war
Hans Patzelt, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von AEG-Kanis. Er konnte
Schlüsselerfahrungen in einem elfmonatigen Streik sammeln, bei dem die Belegschaft von
AEG-Kanis in den 80er Jahren erfolgreich die schrittweise Abwicklung des Betriebs verhinderte.
Der langjährig in der IG Metall aktive Kollege betätigt sich als Grenzgänger
und Bindeglied zwischen so unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus wie den
sozialdemokratisch geprägten deutschen Gewerkschaften und der linksradikalen Szene. Auch
nutzte er seine Position wirkungsvoll aus, die Rathausparteien und öffentlichen Gremien
im Sinne der AEG-Belegschaft so zu instrumentalisieren, dass der politische Spielraum des
Streiks erweitert wurde. Obwohl Patzelt bewusst die Strategie der IG Metall unterlief,
hält er eine Debatte mit den dort Verantwortlichen immer noch für eine lohnende
Aufgabe.
Des Weiteren kommen
organisierte Erwerbslose zu Wort, die gewerkschaftliche Verwurzelung mit dem Geist der
sozialen Bewegung kombinieren, und Mitglieder des Nürnberger Sozialforums, die vor allem
eine erfolgreiche Boykottkampagne ins Leben riefen, die Electrolux einen Einbruch der
Bestellungen um 25% brachte. Sehr interessant ist auch das Interview mit Aktivisten der
Organisierten Autonomie, eine Organisation der Interventionistischen Linken, die in
Nürnberg eine mobilisierungsfähige Kraft ist. Ihre Reflexionen über die
politische Praxis linksradikaler Organisationen verdienen diskutiert zu werden. Das trifft
auch auf ihre Position zu den Gewerkschaften zu, die sich wohltuend von den oft sehr
schlichten Verratsdiskussionen abheben.
Dass jedoch die Praxis des
IGM-Apparats in diesem Konflikt durchaus mit diesem Etikett belegt werden kann, wird an den
Interviews mehrerer Kollegen deutlich. Übereinstimmend berichten sie von ihren
Beobachtungen darüber, wie die Belegschaft getäuscht und instrumentalisiert wurde,
einem Sozialplan zuzustimmen. Ob sie ihn allerdings ohne diese Einflussnahme der IGM deutlich
abgelehnt hätte, ist allerdings fraglich. Den verantwortlichen IG-Metall-
Funktionären reichte die Zustimmung von 81%. Von einer offenen und ehrlichen
Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Politik, die auch nicht vor einer chauvinistischen
Aufladung des Konflikts mit Parolen wie „AEG ist Deutschland”
zurückschreckte, ist nichts bekannt. Eine vom IG-Metall-Bezirk Bayern hergestellte
Broschüre „Der AEG-Streik in Nürnberg” feiert im Stil schlechten
Marketings den eigenen Erfolg und lässt Bertold Huber im Vorwort erklären, für
einen Sozialplan zu streiken sei kein Zukunftsmodell. Dabei denkt er aber nicht an den
Übergang zu einer offenen politischen Auseinandersetzung mit dem repressiven deutschen
Arbeitsrecht, sondern daran, wie sich das Risiko solcher Arbeitskämpfe überhaupt
vermeiden lässt.
Breiten Raum nimmt am Schluss
ein Workshop ein, bei dem auf den Pfaden von Clausewitz versucht wird, eine alternative
Strategie zu entwickeln, mit der es in Zukunft vielleicht möglich sein könnte, den
Gegner in die Knie zu zwingen. Neben der zweifellos richtigen Beobachtung, dass eine
erfolgreiche betriebliche Arbeit einen Vorlauf von Jahren hat und einen weiten Blick auch auf
die außerbetrieblichen Kampfressourcen haben muss, landen die teilnehmenden Akteure
jedoch auch bei sehr zweifelhaften Konzepten. So sieht sich die Mehrheit in der Rolle des
Generalstabs, der aus der Befürchtung heraus, „Agenten des Feindes”
könnten in eine eigenständige Streikleitung gewählt werden, dagegen ist, diese
offen durch die Belegschaft wählen zu lassen. Hier vollzieht sich dann unter der Hand der
Übergang zu Konzepten, die so ziemlich auf das Gegenteil von dem hinauslaufen, was dem
ganzen Buch seinen sympathischen Stempel aufdrückt: die Vorstellung, dass die Menschen
selber über ihr Schicksal entscheiden und sich selber in Bewegung setzen müssen.
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