SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2009, Seite 22

2 Filmtipps

von Angela Huemer

Giù le mani (Hände weg)

Regie: Danilo Catti, Schweiz 2008, Länge: 87 Minuten



"Wenn du allein träumst bleibt es
nur ein Traum, wenn wir es
gemeinsam tun, wird er wahr"

Der Dokumentarfilm Giù le mani, „Hände weg”, ist ganz einfach aufgebaut, chronologisch nämlich. Kein gesprochener Kommentar, kein Text, es vergehen sogar einige Minuten bis der Titel eingeblendet wird. So tauchen wir in die Welt der sog. Officina ein, der Lokomotivwerkstatt in Bellinzona, eine kleine Stadt im italienischsprachigen Teil der Schweiz, die zur Frachtabteilung der Schweizer Bahn (siehe SoZ 5/08) gehört.
Anfang März gibt die SBB Cargo die Privatisierung der Güterwagen- und Schließung der Lokomotivwerkstätten bekannt, tags darauf treten die 430 Arbeiter von Bellinzona in Streik. Die Lokomotivwerkstatt hat eine lange Geschichte, erfahren wir gleich zu Beginn des Films, als Gianni Frizzo, einer der wichtigsten und im Film präsentesten Arbeitervertreter, auf einer Kundgebung in der Stadt spricht, 1883 ist sie schon gegründet worden. Die ganze Stadt und die Region unterstützen den Streik.
Der Tessin gilt ein wenig als das Armenhaus der Schweiz, die Arbeitslosenrate ist hier viel höher als anderswo. Auch der Regisseur stammt aus der Region, 1955 ist er in Lugano geboren. Er ist Dokumentarfilmer mit sozialem Anspruch, einer seiner Filme setzt sich mit Jugendlichen auseinander, die einen Selbstmordversuch hinter sich haben. Tag für Tag war er dabei, in nächster Nähe. Er konzentriert sich auf das Streikkomitee, ohne Anspruch exklusiv bei Verhandlungen dabei zu sein.
"Es war schwierig ein Ereignis, das so große mediale Aufmerksamkeit gefunden hatte zu bearbeiten. Ich wollte keinen „Journalismus” machen und von außen Statements einfangen” Stattdessen zeigt er, wie sehr alle Beteiligten ihr eigenes Schicksal in die Hand nahmen, konkretes politisches Bewußtsein entwickelten. Die Kamera ist Teil des Ganzen, man spürt, dass die Beteiligten dem Filmemacher Danilo Catti Vertrauen entgegenbringen.
"Was mich sofort beeindruckte”, schreibt Catti, „war die Entschlossenheit, die Klugheit und die Kreativität dieser Bewegung — die Intelligenz von Menschen, die arbeiten und nachdenken können. Es war ein intensiver Streik, während dem ich welche vor Wut schreien und vor Ergriffenheit weinen sah ... Ich filmte pausenlos, aus Angst einen wichtigen Moment zu verpassen.” 200 Stunden Material hat Catti gefilmt, kein leichtes Unterfangen, daraus ein solch dichtes, klares und mitunter poetisches Geflecht zu weben. Schön nutzt er die musikalischen Momente des Streiks, von Bella ciao, bis zur jugendlichen Band die den Slogan rappt. Ein Jahr danach fand ein großes Fest statt, vorerst haben die Streikenden nämlich gewonnen, bis 2012 wurde das Bestehen der Werkstatt garantiert, für die Zeit danach wird an einem Runden Tisch, der nach dem Ende des Streiks einberufen wurde, gearbeitet.
Im August 2008 hatte Giù le mani beim Filmfestival in Locarno seine Premiere, also nicht weit von Bellinzona. 2009 erhielt er den Spezialpreis der Jury anlässlich des Schweizer Filmpreises.
Vorstellungen des Films sind in einigen deutschen Städten geplant, bislang wurde er im Schweizer Fernsehen gezeigt. Kopien können über www.artfilm.ch erworben werden, Preis: 22,98 Euro.

Tage oder Stunden

Regie: Jean Becker, Frankreich 2008, Kinostart: 30.April 2009

Ein ganz normaler Tag in einer Pariser Werbeagentur. Die Werbeleute präsentieren ihre Ideen für eine Joghurtkampagne, der Kunde ist wieder einmal unzufrieden damit. Der Slogan ist ihm zu wenig poetisch. Antoine, dem man die Anspannung erst nach und nach ansieht, tut ihm den Gefallen. Nicht nur das, er liefert ihm auch eine lyrische, eine melancholische und eine patriotische Variante der banalen Werbung. Dann steht er genervt auf und geht. Er will nicht mehr. Heute ist sein 42.Geburtstag, mittags trifft er sich in der Bar zum Tête-à-tête mit seiner Freundin. Vorher eröffnet er noch seinem Kompagnon, dass er seine Anteile an der Werbeagentur loswerden will, er mag einfach nicht mehr.
Er fährt er nach Hause in die Vorstadt, in das schmucke Haus zu seiner schönen Frau Cécile und seinen beiden kleinen Kindern, ein Mädchen und ein Junge. Viele Klischees gleich am Anfang, man ist mitten im französischen Bürgertum gelandet. Seine Kinder schlafen schon, als er nach Hause kommt, seine Frau steht in der Küche. Sie ist aufgebracht. Eine Freundin hatte Antoine beim vertrauten Mittagessen ertappt. Eine normale Eheszene, Antoine will sich verteidigen, irgendwie scheint er unschuldig zu sein, obwohl wir doch alle gesehen haben, dass er es nicht ist. Er wird wütend, am Ende schläft er auf dem Kanapee.
Morgens weckt ihn sein kleiner Sohn, er erklärt ihm, das tut man so, wenn man streitet; sein Sohn will das auch, wenn er sich mal wieder mit seiner Schwester streitet. Antoines Wut ist noch da. Als ihm seine Kinder beim Frühstück selbstgemachte Zeichnungen schenken, weiß er an ihnen einiges auszusetzen. Antoine wird immer unsympathischer. Cécile warnt ihn vor der Überraschungsparty, die für den Abend geplant ist, als sie sieht wie mürrisch er ist. Auch sie stößt er vor den Kopf. Als beide bei einem Freund ein Auto Probe fahren, provoziert Antoine erneut, er fährt mitten durch die Wiese. Nicht anders ist es beim anschließenden Geburtstagsfest, nach Kräften beleidigt er all seine Freunde nach und nach. Er steigt aus seinem Leben aus, nur von seinen Kindern verabschiedet er sich richtig.
Der Film geht noch weiter, und wird richtig gut, davon sei aber nichts verraten. Antoine wird gespielt von Albert Dupontel, ein in Deutschland eher unbekannter französischer Schauspieler, eine großartige Leistung.
Den Namen Becker gibt es im französischen Film schon sehr lange. Jacques Becker, der Vater des Regisseurs Jean Becker, war einer der Pioniere des französischen Kinos, er war u.a. Assistent vom großen Jean Renoir. Berühmt sind seine Filme Wenn es Nacht wird in Paris mit Jean Gabin und Simone Signoret und Das Loch, ein strenger, faszinierender Schwarzweißfilm über Gefangene, die sich befreien. Das Loch kam 1960 ins Kino, das Jahr, in dem Jacques Becker starb. Jean Becker, geb. 1938, begann seine Karriere als Assistent seines Vaters. 1961 drehte er seinen ersten Film mit Jean-Paul Belmondo, Sie nannten ihn Rocco, darin spielte auch Pierre Vaneck, der Schwager des Regisseurs, der in Tage oder Stunden den Vater des Protagonisten spielt.
Als 1966 Beckers Film Geliebter Schuft floppte, zog er sich fast zwanzig Jahre lang als Regisseur zurück. 1983 kehrt er fulminant mit Ein mörderischer Sommer zurück, die junge Isabelle Adjani erhielt für ihre Hauptrolle den César (den bedeutendsten französischen Filmpreis). In den letzten Jahren macht er wieder regelmäßiger Filme, sein letzter war 2007 zu sehen, Dialog mit meinem Gärtner.
Deux jours à tuer, wie der Film im Original heißt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von François d‘Epenoux, der Autor wirkte am Drehbuch mit. Das ist ihnen ausgezeichnet gelungen, selten gelingt es einem vordergründig sehr konventionellen Film, eine solche Tiefe zu entwickeln.


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