SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2009, Seite 04

Gastbeitrag aus Frankreich

Das Wichtigste ist, Werksschließungen zu verhindern

von Louis-Marie Barnier

Tyco ist ein Multi, der auf die Herstellung von Schaltern spezialisiert ist. Er hat 100000 Beschäftigte weltweit, davon 1000 in Frankreich. Er arbeitet vornehmlich als Zulieferer für die Autoindustrie. Die Beschäftigten teilen sich auf drei Standorte auf.
Am 5.September 2008 kündigt die Geschäftsleitung die Schließung von zwei Produktionsstandorten an; die Überraschung ist groß: „Wir sind rundum gesund, das Unternehmen hat enorme Gewinne gemacht, 6 Millionen 2006 und 2007, und wir haben ein volles Auftragsbuch.” Der Nettoprofit des amerikanischen Konzerns Tyco International hat sich auf internationaler Ebene mehr als verdoppelt.
Die allgemeine Stimmung ist: Es gibt „keinen Bankrott, das ist Wettbewerbsideologie auf Konzernebene, eine organisierte Überkapazität” Spontan weigern sich die Beschäftigten, die geforderte Arbeitsleistung zu bringen, die Produktivität sinkt auf 20% des üblichen Niveaus ab. Der Betriebsrat erstattet Anzeige wegen Unterschlagung von Unterlagen. Die Anklage konfrontiert die Richter mit der Grundsatzfrage: Sind betriebsbedingte Kündigungen zulässig?
Im Dezember 2008 wird die Bewegung härter: Zwei Wochen lang blockiert ein spontaner Streik den Standort Val-de-Reuil, während Lohnverhandlungen geführt werden. Ein Spruchband erinnert an den tieferliegenden Grund für den Kampf: „Heute Tyco, morgen wer?"
Der Streik wird zu 98% befolgt, die Tore sind blockiert, die Produktion 15 Tage lang stillgelegt: „Mit diesem Konflikt haben wir unseren Gemeinschaftssinn wiedergefunden.” In Verhandlungen wird eine Lohnerhöhung von 100 Euro für alle und eine Prämie von 400 Euro durchgesetzt. Dieser Konflikt hat ein neues Kräfteverhältnis geschaffen, das man benötigt, um die Arbeitsplätze zu verteidigen. Und die Lohnerhöhung hat vor allem zur Folge, dass das Arbeitslosengeld steigt (das auf der Basis des letzten Gehalts errechnet wird).
In Bezug auf den Schutz der Arbeitsplätze bleibt die Gewerkschaft dennoch pessimistisch. Es dominiert die Ohnmacht. Nach Monaten der Anspannung akzeptieren die Beschäftigten im Februar 2009 die Schließung, begleitet von einer Abfindung, die viel höher ausfällt als das gesetzliche Minimum — das gibt ihnen ein Stücke Würde wieder.
Die Auseinandersetzung hat eine Vorgeschichte: Im Januar 2001 kündigte Danone die Schließung von sieben Niederlassungen in Europa an. Das Unternehmen kann die Kündigungen nicht mit Verlusten begründen. Ein Flugblatt der Beschäftigten bei LU-Danone in Evry ruft zu einem allgemeinen Boykott auf: „Danone aus unseren Einkaufswagen entlassen.” Rund um die Beschäftigten von Danone und anderen Unternehmen, in denen Entlassungen drohen, bildet sich eine Koordination, die eine Gesetz über das „Verbot von Entlassungen” fordert. Eine Demonstration wird für den 9.Juni angekündigt und von zahlreichen politischen Parteien unterstützt. Sie wird mit mehreren zehntausend Teilnehmern ein voller Erfolg.
Dennoch: alle Kämpfe enden mit einem Misserfolg, keine Schließung wird verhindert.
Die CGT regt ein neues Konzept an: einen neuen Lohnarbeiterstatus. Die gesamte Berufslaufbahn hindurch soll der Arbeitsvertrag fortgesetzt werden. „Du verlierst die Arbeit, aber der Vertrag ist nicht beendet, du suchst eine neue Arbeit.” Der Vorstoß ruft Debatten und Widerspruch hervor: „Wenn das heißt, dass Chefs nicht mehr einseitig einen Arbeitsvertrag kündigen dürfen... und dass der Lohnarbeiterstatus ein dauerhafter wird, mit allen Rechte und Einkommen, bin ich natürlich dafür. Das Hauptproblem aber ist, dass man nichts erreichen wird, wenn man zuvor nicht in der Lage ist, die Werksschließungen zu verhindern und die Auslagerung der Produktion sowie Entlassungen zu verbieten."
Kündigungen müssen begründet werden. Der Streit beginnt dort, wo es um die Stichhaltigkeit des Kündigungsgrunds geht. Ein Urteil in Sachen Videocolor aus dem Jahr 1995 lässt Entlassungen nur zu, wenn Restrukturierungen eingeleitet werden, „um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, die also bedroht sein muss” Unter Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit ist hier der Wille zu verstehen, den Profit auf dem weltüblichen Durchschnittsniveau zu halten.
Kann man aber davon reden, dass ein Unternehmen „in größeren Schwierigkeiten” ist, wenn es Gewinne macht? Müsste nicht vielmehr im Fall von Tyco die Größe des Konzerns den Ausschlag geben? Kann ein Umsatzrückgang, selbst über einen längeren Zeitraum, als größere Schwierigkeit bezeichnet werden, wenn das Unternehmen seit Jahren Dividenden an die Aktionäre ausschüttet?
Kann sich das Handeln jetzt auf die Verteidigung von Arbeitsplatz und Einkommen beschränken? Der Arbeitskampf bei Tyco wirft die Frage auf, ob nicht auch über die Kontrolle der Wirtschaftstätigkeit diskutiert werden muss. Über die Organisation der Arbeit bestimmen immer noch die Geschäftsleitung und auch der Eigentümer, der Aktionär. Eigentum an Produktionsmitteln beinhaltet aber die Entscheidung darüber, was produziert wird, von wem und nach welchem Verfahren. Die aktuelle Krise regt dazu an, nach der Kontrolle über den Inhalt der Produktion und auch nach der Übernahme der ökonomischen Entscheidungen durch die Beschäftigten zu fragen.
Der Autor ist verantwortlich für die Betriebsarbeit der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA).

Übersetzung: Angela Huemer


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