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Wenn man alle Menschen zusammenzählt, die am 4.4. zusammengekommen sind,
um in Straßburg zu demonstrieren, kommt man auf etwa 30000; davon 8000—10000 aus Deutschland, von
denen 6000—7000 in Kehl hängengeblieben sind; zusätzlich Delegationen aus Italien,
Großbritannien, Spanien, der Schweiz und Griechenland.Auf französischer Seite war die
Mobilisierung ein Erfolg; denn hier ist die NATO seit dem Austritt Frankreichs aus ihrer militärischen
Struktur kein Thema, und die antimilitaristische Bewegung wegen der Dominanz der PCF traditionell schwach.
Das hat sich auch in Straßburg gezeigt: selbst linke französische Gewerkschaften, wie CGT oder
SUD, waren kaum vertreten.
— „Division, tension,
explosion” — zerstreuen, aufheizen, entladen sei der Dreiklang gewesen, der das Vorgehen der
französischen Polizei bestimmte, sagt Yvan Lemaître, der für die NPA (Neue Antikapitalistische
Partei) im Internationalen Koordinierungskomitee saß. Sie wollte verhindern, dass eine
Großdemonstration den Kontrapunkt zu den NATO-Feierlichkeiten bildet, und zersplitterte die
Demonstration in viele Einzelteile. Diese Strategie ist aufgegangen.
— Die französische Regierung
reduziert die Straßburger Demonstration auf die „casseurs”, und auf die Frage der Gewalt.
Die Bilder von schwarzen Rauchsäulen und dem ausgebrannten Hotel kommen ihr gelegen, denn die sozialen
Kämpfe nehmen im ganzen Land zu und werden zum Teil auch mit körperlichem Einsatz ausgetragen
— wie die Festsetzung von Geschäftsführern von Firmen, die Arbeiter entlassen wollen. Die
Regierung versucht, den sozialen Gehalt des Protests hinter einer regelrechten Kampagne „gegen die
Gewalt” zu verbergen, die sie begleitet mit demagogischen Angriffen auf die „großen
Vermögen”, die es angeblich zu stoppen gelte. Das betont sie aber ein bisschen zu stark; und weil
das Land von einer Protestwelle überrollt wird, und weil zudem in Straßburg offensichtlich war,
dass nicht nur „Vandalen” am Werk waren, sondern auch eine Polizei, die sie hat gewähren
lassen, während sie friedliche Demonstranten an allen Ecken behinderte und mit Gas und Gummigeschossen
angriff, kann diese Kampagne auch nach hinten losgehen.
— Die Demonstration hat unter dem
Mangel an einer kompakten Demonstrationsleitung und dem Fehlen eines Ordnerdienstes gelitten, der in der
Lage gewesen wäre, die Demonstration zusammenzuhalten und zu führen. Ein gemeinsamer Ordnerdienst
des Bündnisses war verabredet, kam aber nicht zustande. Die Vertreter von PCF und Parti de Gauche (PG)
liefen zu Anfang vorne mit, haben sich jedoch im Verlauf der Demonstration abgesetzt. Der Ordnerdienst der
NPA war schließlich nur noch in der Lage, für einen geordneten Rückzug zu sorgen.
"Die Notwendigkeit, dass wir uns selbst
organisieren, wird gewaltig unterschätzt”, sagt Lemaître. „Darin zeigt sich eine
Schwäche der sozialen Bewegung. Hätte die CGT wirklich mobilisiert (und ihren Ordnerdienst
mitgebracht), wäre die Sache anders verlaufen. Wir müssen in der Lage sein, über unsere
Mobilisierung selber bestimmen zu können; das ist nicht nur eine organisatorische, es ist auch eine
politische Frage."
— Für die NPA ist eine
Quintessenz aus Straßburg deshalb die Stärkung ihrer Strukturen auf allen Gebieten, auch auf dem
des Straßenkampfs. „Das gehört mit zu der Debatte, die wir gerade führen: Welche
Partei wollen wir? Wir wollen mehr Demokratie, mehr Offenheit, aber auch mehr Zusammenhalt und
Disziplin — es ist nicht leicht, das übereins zu kriegen. Die Debatte darum führen wir jetzt
innerhalb und außerhalb der NPA."
Von den Parteien der Rechten wird die NPA
heftig angegriffen, sie sei zum „Schaufenster der casseurs” geworden, weil sie es ablehnt, die
Lesart der Regierung zu übernehmen und den „Schwarzen Block” für den Verlauf der
Demonstration verantwortlich zu machen; sie unterstreicht vor allem die Verantwortung des Präfekten und
der Regierung. PCF und PG hingegen machen beide Seiten gleichermaßen verantwortlich. Politisch setzt
sich die NPA jedoch deutlich von den „casseurs” ab, die „letzten Endes nicht politisch
handeln”, weil sie nicht für die versammelte Menge denken.
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