SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2009, Seite 13

Das polnische Antikrisenpaket

Flexibilisierung gegen geringfügige Entlastungen

von Jaroslaw Urbanski

Die großen polnischen Gewerkschaften haben dem Antikrisenpaket der Regierung zugestimmt.
Das Antikrisenpaket der polnischen Regierung wurde in der Trilateralen Kommission vorbereitet und in den Medien hoch gelobt. Die in ihr vertretenen Gewerkschaften (siehe Kasten) haben damit jedoch den Ausverkauf der Interessen der Arbeiterschaft betrieben. Obwohl sie nur 10% der Beschäftigten repräsentieren, haben sie Maßnahmen zugestimmt, die uns alle teuer zu stehen kommen werden. Einige weniger wichtige, zweitrangige Maßnahmen, die ebenfalls beschlossen wurden, kommen nur einem geringen Teil der Beschäftigten zugute.
Die Initiative stellt einen Angriff auf die Rechte der Lohnabhängigen dar. Im Einzelnen ist das:
Im Bereich Zuwendungen und Sozialleistungen:

— „Ein soziales Krisenprogramm für die Gesellschaft, insbesondere die Unterstützung der durch die Krise geschwächten bedürftigsten Familien und eine Erhöhung der Mittel für die Sozialhilfe wegen der zunehmenden Zahl von Erwerbslosen."
Solche allgemein formulierten Beschreibungen sind bedeutungslos, jede „Hilfe” der Regierung oder der regionalen Selbstverwaltungen kann darunter gefasst werden. Außerdem ist die Formulierung „Erhöhung der Mittel für die Sozialhilfe im Zusammenhang mit der zunehmenden Anzahl der Entlassungen” eine „selbstverständliche Selbstverständlichkeit”, wie der Staatspräsident zu sagen pflegt. Schließlich schreibt das Gesetz vor, dass mit dem Anstieg der Erwerbslosigkeit die Sozialkosten in diesem Bereich anzuheben sind.
Eine konkrete Forderung wäre die Einführung eines Arbeitslosengelds. Ein solches gibt es, aber es ist nicht nur beschämend niedrig (weniger als 600 Zloty brutto), es ist auch nur selten zu erhalten
— nur 15% der Arbeitslosen bekommen es. Über Arbeitslose und das Arbeitslosengeld schweigt sich dieses vielgerühmte Papier, zumindest befasst es sich nicht direkt damit. Bekanntlich nützen die Arbeitslosen weder den Gewerkschaften noch den Unternehmern.
— „Die Abschaffung der Steuer auf gewerkschaftliche Beihilfen und Sozialleistungen aus dem betrieblichen Fonds."
Wenn wir in Betracht ziehen, dass etwa 14% der Beschäftigen Gewerkschaftsmitglieder sind, so werden von dieser Maßnahme nicht viele profitieren. Etwas anders sieht es mit dem Sozialfonds aus, aber auch davon werden nur die wenigsten profitieren können, weil die meisten Arbeitgeber von der Schaffung solcher Fonds ausgenommen sind bzw. diese ihrer Kontrolle unterliegen. Die Steuererleichterungen, von denen hier die Rede ist, betragen pro Beschäftigten etwa 100—200 Zloty im Jahr.
Am meisten nutzen diese Maßnahmen den großen bürokratisierten Gewerkschaften, die damit ihren Mitgliedern zeigen können, was sie alles für sie tun und wie gütig der Staat ist, der auf diese zusätzlichen Einkünfte keine Steuern erhebt. So wissen nun manche Arbeiter, dass sie für den Kampf mit der Krise 100—200 Zloty erhalten — vorausgesetzt, sie gehören der Gewerkschaft an und arbeiten in einem Großbetrieb.
Zu den positiven Maßnahmen gehören weiterhin:
— der Verzicht auf die Besteuerung des Bezugs von Waren- und Dienstleistungsgutscheinen;
— die Abschaffung des Gesetzes zur durchschnittlichen Anhebung von Löhnen und Gehältern in Privatunternehmen;
— die Entwicklung von Mechanismen, um den Mindestlohn auf 50% des Durchschnittslohns anzuheben. Was damit genau gemeint ist, wird nicht ausgeführt.

Was müssen die Arbeiter dafür hergeben?

Im Bereich Arbeitsmarkt und Arbeitsbeziehungen sieht das „Antikrisenaktionsprogramm” vor allem eine Flexibilisierung der Arbeitszeit vor:
— die Einführung von Arbeitszeitkonten, die sich über ein Jahr erstrecken;
— die Rationalisierung der Arbeitszeit in diesem Abrechnungszeitraum;
— die Einführung einer flexiblen Arbeitszeit, „die sowohl die familiären als auch die betrieblichen Belange fördern soll";
— eine Stabilisierung der Beschäftigtenzahl durch die Begrenzung der Zeitarbeit.
Die Gewinne für die Unternehmer liegen auf der Hand. Sie brauchen keine Überstunden mehr zu zahlen. Bei einem Beschäftigten, der die gesetzlichen 150 Überstunden im Jahr macht, macht das 4500 Zloty im Jahr aus. Diese Deregulierung der Arbeitszeit führt also zu Lohneinbußen.
Die „Flexibilisierung” der Arbeitszeit öffnet vielen Ungerechtigkeiten Tür und Tor. Wie die polnische Arbeitsschutzinspektion berichtet, ist der Missbrauch der Arbeitszeitregelung durch die Arbeitgeber jetzt schon groß. Wegen ihrer Kontrollen in den letzten Jahren mussten 20000 Beschäftigten von Supermärkten jeweils 180 Zloty Lohn nachgezahlt werden, was bei der Höhe der Löhne dort keine Bagatelle ist.

Im Bereich Wirtschaftspolitik ist vorgesehen:
— eine Verkürzung der Abschreibungszeiträume;
— staatliche Zuschüsse zu den Löhnen (z.B. in Form von Kurzarbeitergeld) zur Abwendung von Massenentlassungen.
Für die Kosten kommen der Staat, die örtlichen Selbstverwaltungen und die Beschäftigten selbst auf.

Forderungen an die Unternehmer?

Nichts! Vielmehr spricht es sich dafür aus, Beschränkungen für Manager aufzuheben, damit sie sich noch mehr nehmen können als bisher. Es ist auch keine Rede von „Arbeitsplatzgarantien”, „Mitbestimmungsrechten”, „Lohngarantien” usw. Die Unternehmer haben in den Antikrisentopf nichts hineingetan. Trotzdem versuchen die großen Gewerkschaften, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen.
Eine Ausnahme bildet die Begrenzung der Zeitarbeit. Es ist geplant, sie auf zwei Jahre zu beschränken. Nach der Krise würden wieder die alten Regeln greifen, die Zeitarbeit nicht einschränken. Ob allerdings die 3,5 Millionen Zeitarbeiter etwas davon haben, ist ungewiss. Ein fester Arbeitsplatz wird schließlich immer rarer. Die Regelung würde jedoch nur dann Sinn machen, wenn sie auch im Arbeitsrecht verankert wäre.
Alles in allem kann gesagt werden, dass die Arbeitgeber für nichts viel bekommen haben. Sie haben das Einverständnis der Gewerkschaften zu Lohnkürzungen, die eventuell und auch nur teilweise durch staatliche Beihilfen kompensiert werden.
Es stellt sich die Frage, warum Gewerkschaften so etwas unterschreiben. Entweder mangelt es ihnen an Kompetenz oder sie sind geistig etwas beschränkt, vielleicht versuchen sie auch nur, in der Krise politisch obenauf zu bleiben. Jetzt entstehen auf betrieblicher Ebene Krisenkommissionen, welche die Arbeitgebervorschläge beraten — z.B. den, 15% einer Belegschaft abzubauen.
Nicht einmal eine Bestandsgarantie für die bestehenden Arbeitsplätze gibt es — trotzdem wollen die Gewerkschaften das Antikrisengesetz parafieren.

Aus: Trybuna Robotnicza, 26.3.2009 (Übersetzung: Norbert Kollenda).


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang