SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2009, Seite 13

Tschechien:

Regierungskrise

von Stepán Steiger

Hat sich die Tschechische Regierung bewährt? Das fragen sich die Tschechen seit der Übernahme der EU-Präsidentschaft Anfang des Jahres.
Viele fühlten sich zunächst geehrt, besonders da die Medien Tag für Tag versuchten, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass jetzt ein kleines Land — auch stellvertretend für andere kleinere EU- Mitglieder — sein Bestes tun solle, um den Großen zu beweisen, dass es ihnen ebenbürtig ist. Dazu gab es auch Gelegenheit: Israels Invasion in Gaza war im vollen Gange, bald danach stritten Russland und die Ukraine über die Gaslieferungen.
In Bezug auf Israel gelang das nicht; beim Gasstreit, den der tschechische Premier zunächst als rein wirtschaftliches Problem ansah, das der Markt regeln sollte, gelang es ihm, zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln. Für kurze Zeit schien die Tschechische Republik eines der wichtigsten EU-Länder zu sein. Doch dann kam die Krise.
Eigentlich waren es zwei Krisen — erst die Wirtschafts-, dann die Regierungskrise. Mit der ersten wusste die Regierung nicht umzugehen. Ihr Finanzminister sagte noch im September ein Wirtschaftswachstum von 4,8% für 2009 voraus, die Ökonomen der Nationalbank nur 3,5%. Mittlerweile sieht es nach einem Abschwung von 1,3—2% aus. Ministerpräsident Mirek Topolánek folgte nur seiner neoliberalen Überzeugung und warnte vor der Gefahr des Protektionismus. Seine Fähigkeiten als EU-Vorsitzender waren im besten Fall die eines Managers.
Am 26.März verlor die Regierung von Mirek Topolánek das Vertrauensvotum in der Abgeordnetenkammer. Mit Hilfe der KP, zwei Abtrünnigen der Partei des Ministerpräsidenten und zwei der Grünen schafften es die Sozialdemokraten beim fünften Versuch, eine neue Regierung zu bilden.
Politisch ist es zum großen Teil der scheidenden Regierung zu verdanken, dass die Parteienlandschaft zerklüftet erscheint. Neben der ODS (der Bürgerlich-Demokratischen Partei) gab es zwei kleine Koalitionsparteien, die Christlichen Demokraten und die Grünen. Die Koalitionspolitik Topoláneks hat jedoch nicht nur eine Spaltung unter den Grünen und einen tiefen Riss innerhalb der Christdemokraten verursacht, sie machte auch alle drei bei den Wählern unbeliebt. Steuerpolitik für die Reichen und Sozialabbau für die ärmeren Schichten nutzte den Sozialdemokraten. Auf dem letzten Kongress der ODS gab Staatspräsident Václav Klaus übrigens feierlich seinen Austritt aus der Partei bekannt.
Nicht viel anders war es mit der Außenpolitik. Stark und ausgesprochen proamerikanisch, steuerte die Regierung zwar nicht so offensichtlich gegen die EU wie der Präsident Václav Klaus, doch beim Lissabon-Vertrag zeigte sich ihre zweideutige Linie. Nach langem Hin und Her, und nachdem die ODS, die bis zu den Wahlen im letzten Herbst im Senat die Mehrheit hatte, den Vertrag abgelehnt und ihre Abgeordneten verpflichtet hatte, nur unter bestimmten Bedingungen für den Vertrag zu stimmen, blieb die Vorlage im Abgeordnetenhaus stecken. Die Abstimmung über die Ratifizierung des Vertrags ist für Mai vorgesehen. Im Moment scheint es wahrscheinlich, dass er angenommen wird - obwohl einige Senatoren prüfen wollen, ob er verfassungskonform ist. Nebenbei bemerkt: Dass sich die zwei großen Parteien, ODS und die Sozialdemokraten, trotz aller Feindseligkeit so schnell auf eine Übergangsregierung nach dem Sturz von Topolánek verständigen konnten, ist auch dem Umstand zu verdanken, dass beide fürchteten, der Euroskeptiker Klaus werde im Falle einer weiteren Verzögerung seinen Einfluss nutzen, um den Vertrag womöglich durch Abstimmung zu Fall zu bringen.
Auch ohne die sich vertiefende Wirtschaftskrise erscheint den meisten die tschechische EU-Präsidentschaft jetzt als erfolglos, die Lage verschlechtert sich mit oder ohne Zutun der Regierenden, sogar die ODS-Sympathisanten sind mit der Politik — die ja bisher meistens von ihrer Partei geführt wurde — nur zu 15% zufrieden. Worauf wartet man? Die Optimisten auf die Parlamentswahlen im Oktober, Pessimisten sehen im Moment kurzfristig keinen guten Ausgang.


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