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Mitte April das eröffnete Militär in der thailändischen
Hauptstadt Bangkok Feuer auf Demonstranten, nachdem die Proteste, die den Rücktritt des
thailändischen Premierministers Abhisit Vejjajiva forderten, eskaliert waren.
Giles Ji Ungpakorn ist ein
thailändischer Dissident, dem das „Verbrechen” der Majestätsbeleidigung zur Last
gelegt wird, d.h. einer „illoyalen Haltung” gegenüber dem Staatsoberhaupt, König
Bhumibol. Um einer langjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen, floh Giles Ji Ungpakorn zu Beginn des
Jahres nach Großbritannien. Er analysiert im Folgenden die aktuellen Ereignisse in Thailand. Wegen
ihrer Kleidung werden die Protestierenden „Rothemden” genannt. Sie sind Anhänger der Partei
Thai Rak Thai, die vom ehemaligen Premierminister Thaksin Shinawatra angeführt wird; dieser war 2006
durch einen Militärputsch gestürzt worden. Seitdem hat das Militär zwei Regierungen
gestürzt, die von Verbündeten Thaksins geführt wurden; jedes Mal hat es dabei Demonstrationen
von sog. „Gelbhemden” initiiert. Premierminister Abhisit steht an der Spitze einer rechten, die
Monarchie unterstützenden Regierung, doch die wirkliche Macht hält die Armee in den Händen.
Zum vierten Mal in den letzten 40 Jahren haben in Bangkok Soldaten das Feuer auf Demonstranten
eröffnet, die für Demokratie eintraten. Jedesmal war das Ziel dasselbe: Der Schutz der Interessen
der konservativen Eliten, die Thailand in den letzten 70 Jahren regiert haben.
Wer die kaltblütigen Morde der Soldaten
auf den Straßen Bangkoks beobachtet hat, mag versucht sein anzunehmen, beim gegenwärtigen Chaos
handele es sich lediglich um verschiedenfarbige T-Shirts und Anhänger verschiedener politischer
Parteien, als seien sie nur Spiegelbilder voneinander. Dies ist jedoch nicht so.
Was wir in Thailand seit 2005 erleben, ist
ein zunehmender Klassenkrieg zwischen den Armen und den alten Eliten. Es ist natürlich kein reiner
Klassenkrieg. Dank eines Vakuums auf der Linken ist es Millionären und populistischen Politikern wie
Thaksin Shinawat gelungen, die Führung der ärmeren Bevölkerung zu übernehmen.
Die städtischen und ländlichen Armen, die die Mehrheit der Wählerschaft bilden, sind die
Rothemden. Sie verlangen das Recht, ihre eigene Regierung demokratisch zu wählen. Sie begannen als
passive Anhänger der Regierung Thaksin. Aber jetzt haben sie eine völlig neue
Bürgerrechtsbewegung gegründet für das, was sie „reale Demokratie” nennen.
Für sie bedeutet „reale Demokratie” ein Ende der lange hingenommenen „schweigenden
Diktatur” der Generäle und des Palastes.
Diese erlaubte den Generälen, den
Beratern des Königs im Kronrat und den konservativen Eliten, so zu handeln, als stünden sie
über der Verfassung. Gesetze gegen Majestätsbeleidigung und periodische Repressalien wurden
eingesetzt, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. Seit 2006 agieren diese Eliten offen gegen
Wahlergebnisse: Sie haben einen Militärputsch inszeniert, zweimal die Gerichte benutzt, um Thaksins
Partei aufzulösen, und unterstützen auf der Straße den gewalttätigen Mob der Gelbhemden.
Die gegenwärtige Regierung der sog. „Volksallianz für Demokratie” wurde von der Armee
ins Amt gehoben.
Die meisten, die der Bewegung der Rothemden
angehören, unterstützen Thaksin aus guten Gründen. Seine Regierung hat einige Maßnahmen
verabschiedet, die den Armen zugute kamen, darunter Thailands erstes allgemeines Gesundheitssystem. Doch die
Rothemden sind keine bloßen Marionetten Thaksins. Das Verhältnis zwischen Thaksin und den
Rothemden ist widersprüchlich. Seine Führung schafft Mut und Vertrauen in den Kampf. Doch die
Rothemden organisieren sich selbst in lokalen Gruppen; manche sind enttäuscht über einige von
Thaksins Positionen, z.B. sein Beharren auf einer „loyalen” Haltung zur Krone.
In den letzten Tagen haben die Rothemden
Zeichen von Eigenständigkeit gezeigt, es wächst eine republikanische Bewegung heran. Viele
linksorientierte Thailänder wie ich sind keine Thaksin-Anhänger. Wir kritisierten seine
Menschenrechtsverletzungen. Aber wir gehören zum linken Flügel der Bürgerbewegung für
„reale Demokratie”
Die Gelbhemden sind konservative Royalisten. Einige vertreten faschistische Positionen. Ihre Wachtrupps
tragen und benutzen Schusswaffen. Sie unterstützten den Putsch 2006 und blockierten im vergangenen Jahr
die internationalen Flughäfen. Hinter ihnen steht die Armee. Deshalb hat das Militär nie auf die
Gelbhemden geschossen. Deshalb hat der jetzige, in Oxford und Eton ausgebildete Premierminister nichts
für die Bestrafung der Gelbhemden getan. Er hat sogar einige in sein Kabinett aufgenommen.
Das Ziel der Gelbhemden ist die Minderung
der Bedeutung der Wahlen und die Bewahrung der traditionellen korrupten Art, Thailand zu regieren, zugunsten
der konservativen Eliten. Sie betrachten eine stärkere Machtbeteiligung der Bürger als Bedrohung
und befürworten eine Diktatur der „Neuen Ordnung”, in der die Menschen zwar wählen
dürfen, aber die Mehrheit der Abgeordneten und der öffentlichen Ämter nicht zur Wahl stehen.
Unterstützt werden sie vom Mainstream
der thailändischen Medien, den meisten Akademikern der Mittelschicht und sogar einigen NGO-Sprechern.
Einige NGOs haben sich in den letzten Jahren durch ihr Bündnis mit den Gelbhemden diskreditiert oder
sie haben zu den Angriffen auf die Demokratie geschwiegen.
Wenn wir über den „Palast”
sprechen, müssen wir zwischen dem König und seiner Entourage unterscheiden. Der König war
stets schwach und ohne irgendwelche demokratischen Prinzipien. Der Palast wurde früher wie heute dazu
benutzt, alle Diktaturen zu legitimieren.
Als „Stabilitätsfaktor” hat
die Monarchie stets nur geholfen, die Interessen der Elite zu festigen. Der ungeheuer reiche König ist
gegen jede Neuverteilung des Reichtums. Die Königin ist eine extrem reaktionäre Person. Diejenigen
aber, die innerhalb der Eliten wirklich über Macht verfügen, sind die Armee und die hochrangigen
Staatsbeamten.
Will man die Gewaltakte, die in Thailand
stattgefunden haben, begreifen und beurteilen, braucht man einen Sinn für Geschichte und Perspektive.
Man muss unterscheiden zwischen der Zerstörung von Eigentum und der Verletzung oder Tötung von
Menschen. Dann ist klar, dass die Gelbhemden und die Armee die eigentlich Gewalttätigen sind.
Ein Sinn für Geschichte hilft auch bei
der Erklärung, warum die Rothemden jetzt voller Wut auf die Straße gehen. Sie hatten einiges zu
erdulden: die militärische Knute, der wiederholte Raub ihrer demokratischen Rechte, fortgesetzte
Gewaltakte gegen sie und ständige Kränkungen seitens der Medien und durch akademische Kreise. Wenn
sie ihren Widerstand fortsetzen, könnten Risse in der Armee auftauchen. Die letzten vier Jahre haben
die thailändische Bevölkerung hochgradig politisiert. Einfache Soldaten, die aus armen Familien
kommen, unterstützen die Rothemden.
Der Einsatz ist sehr hoch. Jeder Kompromiss
läuft Gefahr, nicht von Dauer zu sein, denn er wird fast niemanden zufrieden stellen. Die alten Eliten
werden vielleicht mit Thaksin ein Abkommen schließen, damit die Rothemden nicht völlig
republikanisch werden.
Was auch immer geschieht, die
thailändische Gesellschaft kann nicht zu den alten Zeiten zurückkehren. Die Rothemden
repräsentieren Millionen von Thailändern, die die Einmischung des Palastes und des Militärs
in die Politik satt haben. Zumindest werden sie eine konstitutionelle Monarchie verlangen. Es ist zu hoffen,
dass sie sich in dieser Runde des Kampfes weiter nach links bewegen.
Nach http://socialistworker.org. Weitere Informationen und Aktualisierungen finden sich auf der Webseite von Giles Ji Ungpakorn.
(Übersetzung: Hans-Günter Mull).
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