SoZ - Sozialistische Zeitung |
"Wir werden gewinnen, mit Allahs Hilfe.” Mit diesen Worten und einem
sehr schneidigen Auftreten begrüsste uns Metin Evsen, der AKP-Bürgermeisterkandidat für die
Altstadt der kurdischen Metropole Diyarbakir, zu einem Interviewtermin in der Woche vor den landesweiten
Kommunalwahlen am 29.3.
Mit dem Gottvertrauen der AKP (Partei
für Gerechtigkeit und Aufschwung) von Regierungschef Tayip Erdogan schien es aber nicht weit her zu
sein: Als Wahlgeschenke für arme Familien kamen in den umkämpften Städten im Osten der
Türkei statt der bei uns gewohnten Kugelschreiber Waschmaschinen, Kühlschränke und
Staubsauger zum Einsatz. Das lief ganz offiziell und „unverbindlich” In mehreren Städten
bekamen deutsche Wahlbeobachter jedoch zu hören, dass die Beschenkten aufgefordert worden waren beim
Koran zu schwören, dass sie für die AKP stimmen würden. Scheinheiligkeit für die Eliten,
Frömmigkeit für die Massen.
Die kurdische Metropole Diyarbakir war
für Erdogan die „Festung”, die es zu erobern galt. Pustekuchen: Mit 65,6% der Stimmen
setzte sich der bisherige Bürgermeister der DTP, Osman Baydemir, gegen den AKP-Kandidaten durch, und
die AKP fiel bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren von 40 auf 31,3%. Die DTP (Partei für eine
demokratische Gesellschaft), die sich für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen
Frage einsetzt, wurde in 14 von 17 Bezirken stärkste Partei. Ein Rekordergebnis erzielte sie in der
Provinz Hakkari mit 79%.
Trotz Wahlbetrugs erreichte die DTP in den
vorwiegend kurdischen Gebieten 99 Bürgermeister-, Stadt- und Gemeinderatsposten (58 bei den letzten
Kommunalwahlen). Landesweit erhielt die Partei 5,42% der Stimmen (+0,7%). Sie wurde damit viertstärkste
und einzige bedeutende linke Kraft. Zuwachs erzielte mit 16% der Stimmen allerdings auch die rechtsextreme
MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung). Die AKP sackte im Vergleich zur letzten Parlamentswahl um 8% ab
und kam auf 39%.
Wahlkampfparolen der DTP waren unter
anderem: „Mit einer freien Stadt für ein freies Land”, und „Mehr Frauen, mehr
Demokratie” Sie hatte 17 Frauen für das Bürgermeisteramt aufgestellt, 14 davon setzten sich
durch. Nun stellt sie 14 von insgesamt nur 17 Bürgermeisterinnen in der Türkei (bei 3216
Bürgermeisterposten!). In den kurdischen Gebieten wird die Öffentlichkeit immer noch fast
ausschließlich von Männern beherrscht. Da sind Frauen als Bürgermeisterinnen und
Parlamentsabgeordnete ein großer Kulturbruch, aber auch nur ein kleiner Anfang. 9 von 21
Parlamentsabgeordneten der DTP sind weiblich, das sind 42% bei einem Gesamtanteil weiblicher Abgeordneter im
Parlament von nur 8,9%.
Bei seinem Besuch in Diyarbakir 2005 sagte
Erdogan, es gebe ein kurdisches Problem und es sei sein Problem. Und in einer vielbeachteteten Rede sagte
Armeechef Ilker Basbug in der Woche vor Ostern, es sei falsch von „den Türken” zu sprechen,
man sollte im Sinne des Republikgründers Atatürk vom „Volk der Türkei” sprechen,
und das sei multiethnisch.
Hinter diesen Verschiebungen steckt jedoch
der Knüppel staatlicher Gewalt gegen die politische Bewegung der Kurden und gegen die Geschichte ihres
Freiheitskampfes. In Basbugs Rede findet sich die kaum versteckte Drohung: „Es kann keine Lösung
geben wenn man nur seine sekundäre identität annimmt.” Am Tag seiner Rede und in den Tagen
danach wurden landesweit 245 DTP-Politiker und -Unterstützer verhaftet, die Partei soll verboten
werden.
Die Doktrin von der Vorherrschaft des
„Türkentums” wird weiter verteidigt, die von der DTP geforderte demokratische Autonomie
(bei völliger Gleichberechtigung der Sprachen, wie in der Schweiz oder in Belgien) abgelehnt. Diese
Vorherrschaft ist Kern der Identität des türkischen Staates; der kurdische
„Terrorismus” als innerer Feind soll die Nation zusammenhalten.
Wie lange das durchgehalten werden kann ist
eine andere Frage. 2008 stieg die offizielle Arbeitslosigkeit um 1,59 auf 3,65 Millionen und das ist erst
der Anfang. Die soziale Frage bekommt in diesem Jahr eine neue Dimension, die Boomjahre der AKP sind vorbei.
Damit werden auch für die Linke und die kurdische Bewegung die Karten neu gemischt.
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