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Woran lässt sich besser lernen, dass die Welt verändert werden kann, als an einer
veritablen Revolution? Die gesellschaftlichen Veränderungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent ermöglichen heute
wieder zahlreichen Jugendlichen aus den Metropolen, die Enge ihrer Verhältnisse zu Hause zu durchbrechen und hautnah zu
erfahren, dass es „eine Alternative gibt”
Eine Gruppe von Jugendlichen aus Berlin hat aus dieser Erfahrung
heraus die Interbrigadas gebildet. Lateinamerikanische Künstler, mit denen sie zusammenarbeiten, kommen im Mai nach Berlin.
Kilometerweit ziehen sich an der Autostraße, die den
Flughafen Simón Bolívar mit der Innenstadt von Caracas verbindet, die Elendsviertel der Metropole hin —
Lehmhütten an Berghängen soweit das Auge reicht. An der U-Bahn-Station „El Valle” steigen wir in einen
Jeep um, einziges Verkehrsmittel, das einen motorisierten Aufstieg in die Slums, hier Barrios genannt, ermöglicht. Der
Fahrer rast die engen Gässchen empor, kassiert dabei die zugestiegenen Fahrgäste ab und scheucht Straßenhunde
auf. Die Barrios sind das Herz der Revolution, hier hat Präsident Hugo Chávez seine Basis. Es gibt verschiedene
„misiones”, darunter das Gesundheitsprogramm „Barrio Adentro” und Bolivarianische Schulen, die jedem
Kind die Chance bieten, zur Schule zu gehen. Doch es ist auch unverkennbar, dass Venezuela nach wie vor eine Klassengesellschaft
ist, ein Land des globalen Südens, das mit Armut, hohen Lebensmittelpreisen, Drogen und Kriminalität zu kämpfen
hat.
Letztere ist fester Bestandteil des Alltags in den
Armutsvierteln. Politisch Aktive müssen mit den „Malandros”, den örtlichen „Gangstern”,
rechnen, sich mit ihnen arrangieren. Es ist ein dauerhafter Kampf um die Köpfe: schnell ergaunertes Geld, Fatalismus und
das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit für die Gemeinschaft auf der einen, gesellschaftliche Verbesserungen,
revolutionärer Aufbruch und die Würde des Einzelnen auf der anderen Seite.
80 Jahre Erdölökonomie, verbunden mit Klientelismus und patriarchalischem Denken, und die fehlende
Industrialisierung haben ihre Spuren im Bewusstsein der Menschen hinterlassen, besonders, wenn sie in den vergessenen Vierteln
zu Hause sind. Aus dem Radio dröhnt Reggaeton, werden Mafiosi zu Helden stilisiert.
Hier, im Barrio 70, wo der Kommunale Rat ein Stillhalteabkommen
mit der Mafia geschlossen hat, treffen wir die Interbrigadas, eine Gruppe Berliner Jugendlicher, die in den Slums Sozialarbeit
leisten. Die Anwesenheit der „Gringos” — das meint hier alle weißen Ausländer — erfüllt
die Bewohner mit Stolz, zeigt sie doch ihre Gleichberechtigung und die weltpolitische Bedeutung der Barrios im großen
Projekt der globalen Umgestaltung. Die Interbrigadas arbeiten mit den Kindern, bieten Kurse an, unter anderem Englisch,
Geschichte und Graffittisprühen. Begeistert nehmen die Kids das Angebot in Anspruch, mühen sich mit der englischen
Aussprache. Erfahrener Respekt und die Befähigung zur Gestaltung, sowohl des eigenen Lebens als auch der Gesellschaft,
entziehen den Malandros den Boden. Dabei sind sich die Interbrigadas bewusst, dass Solidarität nie in nur eine Richtung
wirken kann. So organisieren sie auch den venezolanischen Gegenbesuch in Deutschland, um den Erfahrungen der Slumbewohner mit
der Bolivarianischen Revolution eine Plattform in Deutschland zu geben, ein gegenseitiger Lernprozess eben.
Die Arbeit des mittlerweile gemeinnützigen Vereins begann 2006, nachdem eine erste Gruppe Berliner Jugendlicher
für zwei Monate Venezuela besucht hatte.
Die Erfahrungen, die die Jugendlichen in Venezuela machten,
waren prägend. Der offene Umgestaltungsprozess, den die einfachen Leute selber bestimmen, begeisterte sie. Sie stellten
sich die Frage, wie es möglich wäre, einen Beitrag zu einer selbstbestimmten und unabhängigen Entwicklung eines
Kontinents in Bewegung zu leisten.
Fünf Reisegruppen von Interbrigadas reisten aus
Deutschland, Frankreich, Italien, den USA und Brasilien nach Venezuela, Kolumbien und Bolivien — insgesamt rund 60
Personen. Die Interbrigadas treibt das Bedürfnis an, die soziale Realität Lateinamerikas zu verbessern und in ihren
Herkunftsländern ein Verständnis dafür zu entwickeln.
Ob Sozialarbeit in den Armenvierteln Venezuelas, der Aufbauen
einer kommunalen Radiostation in Bolivien oder Öffentlichkeitsarbeit in Europa — die Arbeit des Interbrigadas e.V.
ist vielfältig. Im Vordergrund steht jedoch, den Teilnehmern des Projekts zu zeigen, dass jeder mit seinen Fähigkeiten
in der Lage ist, anderen Menschen zu helfen, und dass diese Hilfe effektiv organisiert werden kann.
Am 13.Mai 2009 beginnt in Berlin das Projekt Aufstand der Farben. Drei lateinamerikanische Künstler sollen über
einen Monat hinweg das Berliner Stadtbild mit lateinamerikanischen Murales (Wandbildern) verändern. Die Kultur der
Wandbilder ist in Lateinamerika allgegenwärtig. Im Zuge des Bewusstwerdung einer amerikanischen Identität und des
Kampfs um eine unabhängige Entwicklung entstehen in lateinamerikanischen Städten überall Wandbilder, die vom
indigenen Widerstand gegen die Spanier bis zum heutigen Kampf gegen die Einflussnahme der USA erzählen.
In der Kunst der Murales spiegelt sich das Bestreben wider, in
einer ursprungsbewussten und solidarischen Gesellschaft zu leben.
Mit Hilfe der Künstler hoffen die Interbrigadas, auf
verschiedenen Veranstaltungen und Events ein breites öffentliches Bewusstsein über die Entwicklungsprozesse
Südamerikas in unserer Hauptstadt zu schaffen. Sie wollen Möglichkeiten für ein nachhaltiges Engagement auf einem
rebellierenden Kontinent aufzeigen.
Weitere Infos auf www.interbrigadas.org.
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