SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 05

Interview

Je besser das Ergebnis, desto linker die Fraktion

Andrej Hunko über DIE LINKE bei den Europawahlen

Am 7.Juni sind Europawahlen. Das Interesse daran nimmt kontinuierlich ab. Die EU wirbt inzwischen im Internet mit „zehn guten Gründen” für die Teilnahme an den Wahlen. Wer sein Kreuz mache, „bestimmt mit”, die EP-Abgeordneten „gestalten die Zukunft Europas”
Alles gelogen: Die EU-Kommission hat das alleinige Initiativrecht, die Mitentscheidungsmöglichkeiten des Parlaments beschränken sich darauf, Nein zu sagen. DIe EU ist der Hauptmotor für die Durchsetzung des neoliberalen Programms des sozialen Verfalls der europäischen Gesellschaften. Das merkt der Wähler — und bleibt zu Hause.
Die Partei DIE LINKE will mit einer grundlegenden Kritik an der EU gegen die Wählermüdigkeit angehen. Für die SoZ sprach Angela Klein mit ANDREJ HUNKO, der in der ausgehenden Legislaturperiode Mitarbeiter des Europaabgeordneten und Aktivisten der Friedensbewegung, Tobias Pflüger, war. Bei den kommenden Bundestagswahlen kandidiert er auf Platz 6 der Landesliste DIE LINKE.NRW.



Die Partei DIE LINKE plakatiert zur Europawahl ausnahmsweise mit klaren Parolen: Raus aus Afghanistan, europäischer Mindestlohn. Warum fehlt ein Plakat: Nein zum Lissabon-Vertrag, oder auch: Volksabstimmung jetzt? Das ist ja immer noch aktuell, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe steht noch aus, und da klagt ja auch DIE LINKE. Damit könnte man doch Druck machen?

Das bedaure ich auch. Ich habe in den zuständigen Gremien angemahnt, dass wir auch mit den Themen Demokratie und Lissabon-Vertrag auftreten, das war jedoch nicht gewünscht. Ich vermute mal, dahinter steht, dass eine klare Positionierung zum Lissabonvertrag für manche eine zu oppositionelle Ausrichtung wäre. Im Landesverband NRW haben wir aber ein Flugblatt in 500000 Auflage mit der Hauptlosung: Nein zum Lissabon-Vertrag gedruckt. Das Flugblatt wird derzeit auch über NRW hinaus breit verteilt.

Im Europawahlprogramm steht eindeutig: Wir lehnen den Lissabon-Vertrag ab. Die Formulierung, die dort gewählt ist, lautet: Für eine demokratische Neubegründung der EU. Das heißt aber nichts anderes, als dass es einen Bruch geben muss, um einen solchen demokratischen Neuanfang in der EU hinzukriegen. Das Europawahlprogramm versucht, die Frage zu beantworten, wie die Wähler dazu motiviert werden können, dass sie überhaupt zur Wahl gehen — die Quote der Nichtbeteiligung nimmt ja von Wahl zu Wahl zu. Das wirbt DIE LINKE mit der Losung: „Die herrschende Politik abwählen.” Das ist denkbar unglücklich, weil man erstens Machtverhältnisse eh nicht einfach abwählen kann, zweitens aber das Europaparlament ja nicht mal die Befugnisse eines der nationalen Parlamente hat — kein Initiativrecht, kaum Kontrollbefugnisse usw. Warum tut sich DIE LINKE sich so schwer, das anzuprangern? Warum schließt sie sich nicht der französischen Debatte an, die im Rahmen der Kampagne für das Nein zur EU-Verfassung z.B. einen demokratisch gewählten Konvent mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragen wollte?

Die von dir zitierte Position wird von vielen in der LINKEN geteilt, auch von mir. Diejenigen in der Partei, die sie ablehnen, argumentieren vielfach so: Die Verfassung ist in Frankreich abgelehnt worden, aber danach ist nichts passiert, das führt uns nicht weiter. Das kommt der Position sehr nahe, die Sven Giegold jetzt vertritt, der für die Grünen antritt: Er war damals auch für das Nein, jetzt ist er dafür, den Lissabon-Vertrag durchzuwinken. Da fehlt das Zutrauen, dass nach einem zweiten irischen Nein oder auch nach einer Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht ein positiver Prozess für eine Alternative eingeleitet werden könnte.
Ich persönlich bin dafür, dass ein gewählter Konvent, unter Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen und Bürger, einen neuen verfassungsgebenden Prozess in Gang setzt.

Trotz aller Unzulänglichkeiten hat man dennoch den Eindruck, dass DIE LINKE bei diesen Europawahlen fortschrittlicher aufgestellt ist als noch bei den vergangenen Wahlen, wo es ja bis zuletzt den Disput mit Sylvia Yvonne-Kaufmann gegeben hat, ob DIE LINKE den Vertrag ablehnen darf. Sie wurde diesmal nicht mehr aufgestellt, die Liste scheint etwas linker zu sein. Auf Bundesebene und in Bezug auf die Listenaufstellungen zur Bundestagswahl gewinnt man einen ähnlichen Eindruck. Kann man daraus schließen, dass es einen Linksruck in der Partei gibt?

Zunächst mal muss man festhalten, dass der Europawahlparteitag am 1.März der erste der neuen Partei war, auf dem überhaupt ein Wahlprogramm verabschiedet wurde. Das ist in der Tat linker als das, was die PDS vorher hatte. Es ist auch interessant, wie es zustande gekommen ist: Es gab erst einen sehr farblosen Entwurf, der zunächst vom Bundesvorstand korrigiert und dann auf dem Parteitag selbst noch einmal deutlich nach links verschoben wurde. Ähnliches zeichnet sich gegenwärtig beim Bundestagswahlprogramm ab. Das ist ein erfreuliches Zeichen; insofern kann man schon von einer Linksentwicklung der Partei sprechen. Das haben die bürgerlichen Medien auch so wahrgenommen.
Was die Liste angeht, ist es so, dass es ab Platz 10 zu Kampfkandidaturen kam, nachdem die ersten neun Plätze einem Proporz zwischen Ost und West, Mann und Frau, Gewerkschafter und anderen gefolgt waren. Auf Platz 10 hat sich Tobias Pflüger durchgesetzt, auf Platz 11 die Vositzende des Verbands der Migrantinnen Sidar Aydinlik-Demirdögen, die auch DIDF-Mitglied ist. Auf Platz 12 setzte sich der Kandidat der Parteijugend Sascha Wagener gegen André Brie durch und auf Platz 13 Ruth Firmenich, eine Mitarbeiterin von Sahra Wagenknecht, gegen Sylvia Yvonne Kaufmann.
Für die Europawahl gilt diesmal: Je besser das Ergebnis, desto linker wird die Fraktion ausfallen.

Also heißt es diesmal: Wenn Tobias Pflüger ins Europaparlament kommen soll, müssen die Linken DIE LINKE wählen. Wieviele Stimmen braucht DIE LINKE, um noch den 13.Listenplatz reinzubekommen?

Damit Tobias Pflüger wieder rein kommt, braucht DIE LINKE etwa 9% der Stimmen. Das ist durchaus knapp, einige der letzten Umfragen lagen darunter. Die genaue Zahl hängt auch davon ab, wie viele Stimmen für Parteien abgegeben werden, die an der 5%-Hürde scheitern. Bei einer guten Wahlbeteiligung im Bundesgebiet könnte es z.B. für die CSU knapp werden, die ja eigenständig antritt. Dann würden die CSU-Sitze auf die anderen Parteien verteilt.
Für 13 Sitze, was eine starke linke Fraktion bedeuten würde, müsste das Wahlergebnis bei 11,5—12% liegen.

Welche Initiativen plant die künftige Europafraktion der LINKEN, was ihre Wahl vielleicht attraktiv machen könnte?

Ein wichtiger Punkt ist die Unterstützung der linken irischen NEIN-Kampagne. Die irische Bevölkerung soll ja im Herbst erneut über den Lissabon-Vertrag abstimmen, weil sie aus Sicht der EU-Eliten falsch abgestimmt haben — ein demokratiepolitischer Skandal! Viele der linken Kandidaten haben angekündigt dann diese Kampagne auch konkret vor Ort zu unterstützen.
Ansonsten hängen künftige Initiativen auch von den jeweiligen politischen Schwerpunkten der einzelnen Mitglieder der Fraktion ab. Diesmal sind ja auch mehrere Gewerkschafter auf der Liste; ich bin mir sicher, dass sie Initiativen starten, um die gewerkschaftsfeindliche Politik auf europäischer Ebene zu attackieren. Und Tobias Pflüger wird sicher seine antimilitaristische Arbeit fortsetzen, wie zuletzt bei dem Hearing gegen europäischen Militärbasen.

Gibt es Linksverschiebungen auch bei den Listen in anderen EU-Ländern?

Einen genauen Überblick habe ich hier nicht. Aber durch die guten Chancen der NPA aus Frankreich könnte die Europafraktion beim nächsten mal deutlich linker werden.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang