SoZ - Sozialistische Zeitung |
Bundesweit haben bis Ende Mai an drei Tagen rund 45000 Erzieherinnen und
Erzieher die Arbeit niedergelegt. In Köln protestierten am 22.Mai 2000 von ihnen auf dem Heumarkt gegen
ihre Arbeitsbedingungen.
Wer glaubt, der Beruf der Erzieherin
beschränke sich aufs Spielen mit gut erzogenen und fröhlichen Kindern, irrt sich ziemlich. Die
Herausforderungen in diesem Beruf sind in den letzten Jahren gewaltig hochgeschraubt worden — somit
auch die körperlichen und psychischen Belastungen.
Unter einer Lärmbelastung, die der
eines Überschallfliegers gleichkommt, müssen Erzieherinnen Kinder hin und her tragen; unter
Zeitdruck hauswirtschaftliche Arbeiten erledigen und gleichzeitig alle Kinder im Auge behalten — damit
muss endlich Schluss sein, meinen die Streikenden. Nach Auffassung von Sozialexperten der Gewerkschaft
Ver.di sind es vor allem der Lärm, die starke psychische Belastung und die körperlich schwere
Arbeit, die die mittlerweile unzumutbaren Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen ausmachen.
Dazwischen rein funkt noch das von der
schwarz-gelben NRW-Regierung eingeführte Kinderbildungsgesetz, dass bereits die Kleinsten für
spätere Erfordernisse abrichten will. In Wirklichkeit hat es die Rahmenbedingungen in den
Kindertagesstätten verschärft, statt sie zu verbessern. DIE LINKE spricht deshalb von
„Schmalspurverwahrung unserer Kinder zwecks Kostenersparnis” und fordert eine Abkehr.
Aus einer Untersuchung des DGB mit dem Titel
Gute Arbeit geht hervor, dass die psychischen Erkrankungen von Erzieherinnen in den letzten Jahren um 50%
gestiegen sind, nur 26% können sich vorstellen, bis zur Rente in diesem Beruf tätig zu sein, 70%
machen sich Zukunftssorgen. Das alles wird nur mäßig honoriert, 77% halten ihr Gehalt für
unangemessen: Je nach Bundesland verdienen sie zwischen 1900 und 2500 Euro brutto.
Ver.di-Chef Frank Bsirske hat den
Arbeitgebern mit einem langen Gewerkschaftsatem im Kampf um bessere Bedingungen. Es gehe nicht an, dass hohe
Arbeitsintensität, steigende Erwartungen von Arbeitgebern und Eltern, ein zunehmend schwieriges
soziales Umfeld und wenig Personal den Alltag einer Erzieherin prägten.
Noch wimmeln die Arbeitgeber alle
Forderungen ab. Sie halten das Argument belastender Arbeitsbedingungen für vorgeschoben. Es gehe den
Erzieherinnen nur um mehr Lohn. Diese Front scheint aber vollauf berechtigt: Ginge es nämlich nach den
Arbeitgebern, hätten Erzieherinnen zum Beispiel in Hamburg künftig monatlich bis zu 975 Euro
weniger in der Lohntüte, Kinderpflegerinnen 201 Euro weniger, weil ihre Gehälter auf dem
Einstiegsniveau eingefroren würden. Schon der Wechsel vom alten BAT in den TvÖD hat zu
Einkommensverlusten bis zu 10% geführt. Mit welcher Rente wird Erzieherinnen ihre harte Arbeit
später gedankt?
Die Kindergruppen werden immer
größer, Kita-Plätze werden aufgestockt, Öffnungszeiten flexibel gemacht. Zusätzlich
werden den Beschäftigten Bildungspläne, Dokumentationen und Fortbildungen aufs Auge gedrückt.
Gleichzeitig wurden ihnen die Vorbereitungszeiten von 25% auf 10% der Arbeitszeit gesenkt, um die
Arbeitsdichte zu erhöhen. Allmählich stellt sich auch die Angst um den Arbeitsplatz ein, die
Sorge, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein und wegen jedes kleinen Fehlers den Staatsanwalt auf
der Matte zu haben.
Keine Lösung durch Lohndumping!
Erzieherinnen und Erwerbslosengruppen fürchten, dass die Kommunen verstärkt 1-Euro-Jobber
anstellen, um als billige Lückenbüßer die fehlenden tariflich bezahlten Arbeitskräfte zu
ersetzen. Der Verein Kölner Erwerbslose in Aktion (KEA e.V.) warnt vor allem die Gewerkschaft, weil
diese die sog. Integrationsjobs bisher allzu locker mitgetragen hätte. Gerade die seien nicht geeignet,
die kritische Situation in den Kindertagesstätten zu kompensieren, so die KEAs.
Die Erzieherinnen sind bereit, den
Arbeitskampf weiter durchzuhalten. Am 19.Mai haben sich erneut 6500 Beschäftigte in Nordrhein-Westfalen
am Streik für den Tarifvertrag zur betrieblichen Gesundheitsförderung beteiligt. Für den
26.Mai ist ein weiterer Streiktag vorgesehen.
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