SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 07

IG Metall legt Jugendstudie vor

"Die gesellschaftliche Zuversicht ist gebrochen"

von Jochen Gester

In einem großen Block haben Mitglieder der Ver.di-Jugend am 16.Mai in Berlin den Kapitalismus symbolisch zu Grabe getragen und sich als „reif für die nächste Gesellschaft” geoutet. Dies war insofern erstaunlich, als bisher die Lust zu linksradikalen Provokationen und Bekenntnisritualen hier keine besondere Heimstatt hatte. Eine von der IG Metall in Auftrag gegebene und im April veröffentlichte Studie zur persönlichen Lage und den Zukunftserwartungen der jungen Generation weist nämlich in eine andere Richtung.
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die bis zu 35-Jährigen besonders von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen sind und überwiegend pessimistisch in die Zukunft schauen. Die Jugend sei motiviert, werde jedoch, so die Autoren der Studie, durch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen ausgebremst.
31% der jungen Generation befinde sich in prekärer Beschäftigung. Bei der Vergleichsgruppe der über 35-Jährigen ist dies nur zu 13% der Fall. Besonders unzufrieden mit ihrer Situation sind Teilzeitbeschäftigte (43%) und Leiharbeiter (51%), wobei die Jugendlichen im Osten aufgrund des größeren Umfangs prekärer Beschäftigung noch deutlicher mit ihrer Lage hadern. Jeder dritte junge Arbeitnehmer findet keinen Ausbildungsplatz, der den Neigungen entspricht, und mehr als jeder Vierte war nach Abschluss der beruflichen Ausbildung länger als sechs Monate arbeitslos. 37% mussten in ihrem bisherigen Arbeitsleben ungewollt den Arbeitsplatz wechseln. Sechsmal häufiger als ihre älteren Kollegen machten die Jungen Erfahrungen mit betriebsbedingten Kündigungen.
"Ungewollter Arbeitsplatzwechsel und wiederkehrende Phasen der Arbeitslosigkeit drohen die Norm zu werden. Die sogenannte normale Erwerbsbiografie ist für einen erheblichen Teil bereits jetzt unerreichbar”, resümieren die Autoren der TNS-Infratest-Studie. Die beiden Erfahrungen treffen Hauptschulabsolventen viermal so stark wie Abiturienten.
Mehr als die Hälfte (53%) kommen zum Ergebnis, dass sich ihre Möglichkeiten, einen guten Arbeitsplatz zu bekommen, verschlechtert haben. Fast eben so viele begreifen ihre Situation als ungerecht. Zwar schauen noch 60% mit Zuversicht in die persönliche Zukunft, doch vier von fünf Jugendlichen schauen gleichzeitig mit Sorge auf die gesellschaftliche Entwicklung. Der Vergleichsgruppe der Älteren ist der Optimismus mehrheitlich schon vergangen. Nur 42% sehen ihre persönliche Zukunft positiv. Ihr Blick auf das zu erwartende Los der Jungen fällt noch deutlich negativer aus. Nur 6% glauben daran, dass es die Jungen einmal besser haben werden. 54% sind der Meinung, dass hier eine Generation heranwächst, die erstmals nach dem Krieg schlechter gestellt sein wird als die Eltern.
Die Veränderung der realen Verhältnisse im neoliberalen Kapitalismus scheint mehr denn je in den Köpfen angekommen zu sein: „Die Existenz einer breiten Mittelschicht wird generations- und schichtübergreifend angezweifelt, zumal selbst die Befragten zu einer Oben-unten-Einschätzung neigen, die sich als Gewinner sehen. Das Gefühl, in einer sozial polarisierten Gesellschaft zu leben, dominiert über die sozialen Schichten hinweg und entspricht der Lebensrealität vieler Menschen. Jung und Alt sind vereint in ihrer Enttäuschung über die Verhältnisse, in denen wir leben”, schlussfolgern die Wissenschaftler.
Eine Gewerkschaftspolitik, die auf eine Hinnahme oder bloße Milderung dieser sozialen Polarisierung orientiert, dürfte in Zukunft zunehmende Akzeptanzprobleme bekommen.


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