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Wie siehts beim größten Duisburger Unternehmen — ThyssenKrupp — aus?
Binali Demir (Werk Hamborn-Beeckerwerth): In der Stahlindustrie sind seit Herbst die
Aufträge weggebrochen. Die 70%ige Abhängigkeit von Autoindustrie und Zulieferern schlägt voll
durch. Durch die hohen Überkapazitäten in der Autoindustrie — man spricht von 27 Mio. Autos
weltweit — tobt ein heftiger Preiskampf. Bei ThyssenKruppSteel befinden sich inzwischen rd. 17000 der
19000 Beschäftigten an den sieben Standorten in Kurzarbeit. Auch der Bereich Edelstahl ist fast
komplett betroffen. Die meisten verlieren fünf Schichten, aber mit dem betrieblichen Ausgleich zum
Kurzarbeitergeld konnten wir 93% durchsetzen. Wer sich in einer Qualifizierungsmaßnahme befindet, hat
keinen Verlust. Von den 4000 Leiharbeitern und Fremdfirmenbeschäftigten sind nur noch rd. 1700 da.
Erkan Kocalar: (ThyssenKrupp Süd): Neben
der Wirtschaftskrise ist der Konzern auch durch schwere Managementfehler ins Schleudern geraten. Das neue
Hüttenwerk bei Rio läuft durch bauliche und technische Pannen verspätet an, wahrscheinlich
erst im Oktober dieses Jahres. Es soll Vormaterial ins Ruhrgebiet und in das neue Hüttenwerk nach
Alabama liefern. Auch Alabama nimmt erst später den Betrieb auf.
Bei TKS Steel im Ruhrgebiet sind mit dem
400-Mio.-Euro-Projekt Herkules-Anlagen und Logistikkapazitäten erweitert worden; jetzt sind sie nicht
ausgelastet.
Was unternimmt der Konzernvorstand gegen die Probleme?
Binali Demir: Zunächst war für den Gesamtkonzern ein Kostensenkungsprogramm von einer
Mrd. vorgesehen, inzwischen sind wir bei 1,5 Mrd. Euro. Allein die Flachstahlbereiche sollen 340 Mio. Euro
wegsparen. Der Personalabbau bei Steel — bedroht sind rd. 3000 Arbeitsplätze — soll
über zwei Jahre verteilt 150 Mio. Euro bringen.
Ohne die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat
zu fragen, wurden massive Einsparprogramme aufgelegt und ein umfassender Konzernumbau betrieben.
Die Bereiche Technologie und Aufzüge,
die noch gut laufen, sollen zu einer Division
zusammenlegt werden, drei kritische Bereiche
— Steel, Stainless und Services — zu einer zweiten Division zusammengefasst werden. Die Linie
des Vorstands heißt: Ergebnissicherung für die Aktionäre.
Wir wollen aber nicht, dass die
Belegschaften für die Krise und hauseigene Fehler bezahlen, sondern die, die Profite machen und
verantwortlich sind. Anfang Januar wurden noch 608 Mio. Euro Dividenden im Gesamtkonzern ausgeschüttet.
Im vergangenen Geschäftsjahr machte der Konzern noch 1,5 Mrd. Gewinn, diesmal sollen es immerhin noch
260 Mio. Euro sein.
Wie wehren sich Belegschaften und IG Metall?
Erkan Kocalar: Wir wehren uns dagegen, dass die Krise gegen uns gemünzt und die
Sozialkassen geplündert werden, außerdem die Mitbestimmungsstrukturen durch Neuordnung des
Konzerns verschlechtert werden. Am 26.6.08 haben fast 10000 Beschäftigte gestreikt und demonstriert. Am
6.4.09 waren es rund 14000 aus mehreren Standorten.
Wir haben uns besonders gefreut, dass
Unterstützung aus anderen gesellschaftlichen Bereichen kommt. Auch DIE LINKE stand mit Aktionstagen,
Infostand, Flugblättern und politischen Forderungen an der Seite der kämpfenden Belegschaften.
Betriebsbedingte Kündigungen sind
für uns ebenso tabu wie die Ausbildungskapazitäten. Wir brauchen dringend eine Diskussion
über die Produktstrategie, um die einseitige Abhängigkeit vom Auto weg zu kriegen,
Arbeitsplätze zu halten und neue zu schaffen.
Gibt es derzeit konkrete Verhandlungen?
Binali Demir: Verhandelt wird u.a. über ein „rentennahes Ausscheiden” —
57 und älter. Die Verlängerung des Altersteilzeittarifvertrags schafft gewisse
Möglichkeiten. Abfindungsangebote wird
es wohl auch geben. Wir müssen aufpassen, dass dabei keine sozialen Fallen gebaut und Rentenverluste
vermieden werden. Wenn die Konditionen stimmen, könnten etwa 2200 Kollegen davon Gebrauch machen.
Wie sieht es bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann aus?
Mirze Edis: Wir durchlaufen im Jahr des 100.Firmenjubiläums die wohl größte Krise
seit Gründung des Unternehmens. Von unseren noch rd. 3000 Beschäftigten fahren bis auf wenige
Ausnahmen alle fünf Tage Kurzarbeit pro Monat. 160 Leiharbeiter sind schon weg, vielen wurde bereits
gekündigt.
Die geplante Kokereierweiterung ist
gestoppt. Die Produktion soll — auch nach Ende der Krise — um 1 Mio. Tonnen auf nur noch 4,6
Mio. Tonnen verringert werden. Die offizielle Parole „Gemeinsam für ein starkes
Unternehmen” passt zu dieser Schrumpfperspektive überhaupt nicht. Ich bin auch der Meinung, dass
stärker gegen gehalten werden muss. So wären noch mehr Qualifizierungsmaßnahmen möglich,
zum einen, um Potenziale zu verbessern, zum andern, um die Kurzarbeit zu verringern. Auch wenn die Verluste
noch nicht groß sind, Arbeitnehmer brauchen jeden Euro.
Wie wirkt sich die Krise auf TST Schienentechnik aus?
Kenan Ilhan (Betriebsrat bei TST Schienentechnik): Die Auslastung ist noch nicht dramatisch
rückläufig. Wir sind nicht autoabhängig. Probleme machen die Finanzierungsmöglichkeiten
unserer Kunden durch die Bankenkrise. Das spielt stark hinein, z.B. bei Exporten und Bürgschaften.
Wir erwarten neue Impulse durch das
Konjunkturprogramm. Im gesamten Voest-Alpine-Konzern, zu dem wir gehören, ist nur noch die
Schienenproduktion in Deutschland und Österreich gewinnbringend.
Wie schätzt du die abgeschlossene Tarifrunde ein?
Kenan Ilhan: Die Verunsicherung der organisierten Beschäftigten durch die Krise ist
groß. Trotzdem gab es teilweise heftige Diskussionen darüber, ob Lohnzurückhaltung etwas
bringt. Wir sind schließlich mit einer Forderung von nur 4,5 % in die Verhandlungen gegangen.
Qualitative Forderungen wie Beschäftigungs- und Entgeltsicherung, Übernahme der Azubis und die
Verlängerung des Altersteilzeittarifvertrags bekamen das Hauptgewicht gegenüber einer
Entgeltsteigerung. Das Ergebnis von 2% ab 2010 und 350 Euro für 2009 ist sehr mager, wird aber
angesichts der Krise akzeptiert. Die verdoppelte Mindestübernahme der Azubis auf 24 Monate ist ein
wichtiger Erfolg.
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