SoZ - Sozialistische Zeitung |
Das Schließen und Verlagern von Werken durch multinationale Unternehmen gehört seit
Jahren zur kapitalistischen Normalität. Vorbei die Zeit, in der ein Ereignis wie der Konkurs der AEG noch Stoff für
wochenlange Pressemeldungen und schadensbegrenzende politische Interventionen war. Die Gewerkschaften finden sich zumeist damit
ab, die vorgebliche Sozialverträglichkeit dieser Konzernentscheidungen mittels verbesserter Sozialpläne zu fordern.
Mehr Einwirkung sieht die herrschende Rechtsordnung für sie nicht vor.
Und doch gibt es Belegschaften und gewerkschaftliche
Interessenvertretungen, die den Mut haben, diese Grenze zu überschreiten. Zuletzt tat dies die Belegschaft des
Bahnreparaturwerks in Bellinzona (Schweiz): Im Vertrauen auf die eigene Kraft und mit der Unterstützung der Region konnte
die Belegschaft neue politische Tatsachen schaffen. Der Beschluss zur Abwicklung des Werks wurde komplett zurückgezogen.
Dank der angeblich so freien Presse wurde dieser Erfolg hierzulande allerdings nur Insiderkreisen bekannt. Die
Gewerkschaftspresse machte dabei keine Ausnahme.
Einen ebenso wenig bekannten Arbeitskonflikt gab es im Januar
2002 in Mexiko. Der Konzern Continental hatte dort 1998 das Reifenwerk Euzkadi gekauft. Während sich der mexikanische
Milliardär und Vorbesitzer Helù über seine satten Gewinne stets gefreut hatte und ansonsten keinen Fuß in
die Fabrik setzte, war das dem deutschen Management zu wenig.
2001 übergab Conti der überraschten Euzkadi-
Betriebsgewerkschaft ein sog. „Produktivitätspaket” Sein Inhalt: Vollkontischicht ohne freien Sonntag,
Produktionssteigerung um 35% ohne die bisherige Gewinnbeteiligung, Verlängerung der Arbeitszeit von 8 auf 12 Stunden ohne
Lohnausgleich, Reduzierung der Belegschaft.
Das Paket war nicht als Verhandlungsbasis gedacht, sondern war
ein Ultimatum: Entweder es wird so akzeptiert, oder der Betrieb wird dicht gemacht. Um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, wurden
18 Arbeiter, denen man zutraute, den Widerstand zu organisieren, vorsorglich entlassen.
Die Betriebsgewerkschaft SNRTE, die aus einer kommunistischen
Tradition stammt und bereits 1959 den korrupten Gewerkschaftsdachverband CTM verlassen hatte, war jedoch nicht bereit, sich
dieser Erpressung zu beugen. Sie ließ die Belegschaft über einen Streik abstimmen, der einstimmig befürwortete
wurde. Der Streik dauerte mehr als drei Jahre und verlangte der Belegschaft sehr viel ab. Den Streikenden und ihren Familien
wurde die medizinische Versorgung entzogen (einige starben deshalb), sie kamen auf schwarze Listen, die eine Aufnahme anderer
Arbeit verunmöglichten, und sie waren massiven Einschüchterungen und Bedrohungen ausgesetzt.
Doch die Reifenarbeiter schafften das kaum Denkbare. Am Ende des
Konflikts musste Conti die Werksschließung zurücknehmen, die Belegschaft übernahm gemeinsam mit einem
mexikanischen Autohändler die Fabrik in Eigenregie.
Wie all dies möglich wurde, ist dem neuen Buch Contra
Continental zu entnehmen, das jetzt im Neuen ISP Verlag erschienen ist. Es ist eine kenntnisreiche Materialsammlung für
alle, die wissen wollen, wie auch kleine Belegschaften einen erfolgreichen Kampf gegen scheinbar übermächtige Konzerne
führen können.
Lisa Carstensen zeichnet in einem zweiteiligen Interview mit
Jesús Torres Nuņo, dem Generalsekretär der SNRTE und jetzigem Leiter der Euzkadi-Fabrik, ein plastisches Bild davon,
wie es einfache Bandarbeiter fertig bringen, durch hohe soziale und politische Intelligenz und gestützt auf alte Tugenden
der Arbeiterbewegung Ohnmacht in Macht zu verwandeln. Gerade das ehrliche und bescheidene Auftreten von Jesús, der mit
seinen Kollegen alles riskiert hat, besticht.
Die offiziellen Gewerkschaften — nicht nur die deutsche IG
BCE — spielten in dieser Erfolgsgeschichte überhaupt keine Rolle. Über die Gründe dafür gibt u.a. der
Beitrag von Jürgen Scharma, Vertrauensmann bei Conti Hannover, Auskunft. Gregor Maß analysiert die Situation der
mexikanischen und internationalen Reifenindustrie, und Enrique Gómez Delgado betrachtet den Euzkadi-Konflikt im Kontext der
Kämpfe der mexikanischen Reifenarbeiter und macht verständlich, woher die Kräfte kommen, die den Kampf beseelt
haben. Cornelia Heydenreich von German Watch, die zusammen mit FIAN eine zentrale Rolle sowohl in der juristischen
Auseinandersetzung als auch bei der Anbahnung internationaler Kooperationen spielte, analysiert das PR-Management von Konzernen
und zeigt auf, welche wichtigen Hilfestellungen auch kleine engagierte NGOs hier übernehmen können.
Zum Schluss behandelt Lars Stubbe den Kampf für die
Selbstverwaltung der Fabrik in Mexiko als Teil der Geschichte der Genossenschaftsbewegung und der Arbeiterautonomie und versucht
Antworten darauf zu geben, was diese zur Überwindung des Kapitalismus leisten konnten und können.
Eine Vorstellung des Buches lässt sich gut verbinden mit
der Vorführung eines der beiden Filme von Michael Enger (David gegen Goliath und Wenn die Räder wieder rollen). Der
erste Teil geht bis zur Rücknahme der Schließung; und der zweite zeigt, wie die Belegschaft in der
selbstgeführten Fabrik mit ihrer neuen Rolle fertig wird.
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