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Jede Gesellschaft wird erst möglich durch eine Praxis des Gebens —
Nehmens — Erwiderns: Ich gebe der Gesellschaft meine Lebens- und Arbeitskraft — die Gesellschaft
nimmt sie an und gibt mir Erziehung, Bildung, Lebensmittel, Einkommen, vor allem aber eine Stelle! Denn die
Einzelnen können der Gesellschaft nur zugehören, wenn auf sie dort eine Stelle wartet; wenn sie
wissen, dass für sie „ein Platz am Lagerfeuer und am Herd” reserviert ist. Gesellschaft
wird möglich durch eine Struktur der Herausforderung, Anerkennung und gegenseitigen Verpflichtung: Man
muss wissen, woraufhin man erzieht und ausbildet; dass es sinnvoll ist, zu lernen und zu arbeiten; dass man
bekommt, wenn man gibt, und dass man gibt, wenn man bekommt.
Gretchen hätte das bedingungslose
Grundeinkommen (bGE) so gefragt:
Gretchen: „Nun sag, wie hast dus
mit dem Geben-und-Nehmen? Nun sag, wie hast dus mit Arbeit und Stelle? Du bist ein herzlich guter
Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon."
bGE: „Lass das, mein Kind! — Ich
bin ein Einkommen, das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder ohne
Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung individuell ausgezahlt wird — du fühlst,
ich bin dir gut."
Man behauptet, uns würde „die Arbeit ausgehen” Die Diagnose lautet: Wir leben in einer
„Drittel-Arbeitsgesellschaft” — „Arbeit wird zur Ausnahme” Weil dem so ist,
muss die eherne Koppelung des Lohns an Arbeit gelöst werden.
Der Weg von der Entkoppelung zur Verachtung
der Arbeit ist kurz: „Der Sündenfall hat uns zur Arbeit verdammt.” Aber dank
Rationalisierung und Automatisierung „haben wir nun endlich den Hintereingang zum Paradies
gefunden” Auf Pro-bGE-Demos klingt das so: „Mein Freund ist Roboter” — „Arbeit
bäh” — „Für den totalen Sonntag!” — „Auch du könntest
arbeitslos sein” — „Abwrackprämie für Arbeitsplätze” Wer aber die
Arbeit verachtet, verachtet — hinter vorgehaltener Hand — bald auch die Arbeitenden:
„Arbeiter? — Die sind doch alle arbeitskrank."
Mehrwertproduktion entspringt immer aus zwei
Springquellen: Bevor der Kapitalist eine Arbeitskraft ausbeuten kann, muss er sich eine
„fertige” Arbeitskraft aneignen, und zwar entgeltfrei. Wieviel unbezahlte Arbeit steckt in einem
Heranwachsenden, bis er seine Arbeitskraft dem Kapitalisten anbieten kann? Ginge es „gerecht”
zu, müsste der Kapitalist für jede Arbeitskraft eine Ablösesumme an die Eltern und den Staat
bezahlen, und die wäre immens: Eine ältere Untersuchung kommt zum Ergebnis, dass in unseren 36
Millionen privaten Haushalten allein 77 Mrd. unbezahlte Stunden Hauswirtschaftsarbeit geleistet wird.
Gesamtwert: 327 Mrd. Euro. Dem stehen 47 Mrd. Stunden Lohnarbeit gegenüber. — Soweit zur
Haushaltsarbeit.
Sicherlich: Die tariflich- und gesetzlich
geschützte Lohnarbeit geht zurück; sie wurde im Konkurrenzdruck der Standorte schlicht zu teuer.
Die ungeschützte Niedriglohnarbeit nimmt jedoch zu, und sprunghaft nimmt die Arbeit zu, die liegen
bleibt, weil sie niemand in Auftrag gibt und niemand an ihr verdienen kann: Arbeit in den notleidenden
Bereichen Erziehung, Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Pflege. Arbeit im weiten Bereich der
verwahrlosenden materiellen Infrastruktur: Renovierung und Instandhaltung einstürzender Neu- und
Altbauten, Kirchen, maroder Brücken, Verkehrswege, Leitungs- und Abwassersysteme; dazu Kultur- und
Denkmalpflege, Museen; liegen bleiben innovative Projekte; vor allem aber Umweltarbeiten wie
Renaturierungsprojekte, Tierreservate, Biotopschutz, Baum- und Waldschutz, Feuerwacht, Hochwasserschutz
usw.usf.
Summa summarum: Es gibt Arbeit im
Überfluss — aber keine regulär bezahlten Stellen!
Die Systemträger quälen andere
Probleme: Wir produzieren Kapital! — was geht uns das allgemeine Wohl an? Weg mit Unternehmensteuern
und Sozialabgaben. Die Last sozialer Verantwortung sollen andere tragen — oder niemand! So wie immer
schon in den Ländern der Peripherie. Aber halt! Man kann die Entlassenen und
„Überflüssigen” — wie immer schon in der Peripherie — nicht einfach
verhungern lassen! Noch gibt es zu starke Gewerkschaften, zu viel verinnerlichte Kultur des Sozialen, zuviel
christliche Nächstenliebe — noch.
Denn es befreit Kapital und Staat von jeglicher Verantwortung für die Altersvorsorge und die soziale
Integration. Weg mit der Sozialstaatsverwaltung und Trägerlandschaft! Alles Soziale soll Markt werden!
Alles soll kosten! Gut — zum Einstieg kostenneutrale 600 Euro netto für alles; das zwingt zum
Zuverdienst (später kann man dann ja kürzen!). Dazu vielleicht noch etwas Grundversorgung im
Krankheitsfall, alles in allem unter Hartz-IV-Niveau; auf jeden Fall aber Rundfunkgebührenbefreiung,
kostenloser Zugang zum Internet und zur Spaßgesellschaft — das reicht. Früher hieß das
„Brot und Spiele” — heute „tittytainment”
Die bGE-Idee eignet sich als Modell hervorragend zur kostengünstigen Aufbewahrung des für
überflüssig erklärten Teils der Bevölkerung. Und deshalb ist die bGE-Perspektive nicht
einfach nur falsch, sondern lebensgefährlich für alle, die wegrationalisiert werden oder bereits
sind. Wollen wir online im Abseits verdämmern? Und was, wenn wir alt und ernsthaft krank werden? Mit
600 Euro ins Armenpflegeheim vierter Klasse?
Die Alternative lautet: Bedarfsgerechte
Grundsicherung und eine gesetzliche Arbeits- und Stellengarantie für alle, die arbeiten wollen. Aber
das ist eine andere Geschichte.
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