| SoZ - Sozialistische Zeitung |
DDie Gewerkschaft Ver.di versucht die kollektive Interessenvertretung der
Selbstständigen
Leitgedanke der Arbeit mit den und für
die 30000 in Ver.di organisierten Solo-Selbstständigen ist, dass diese selbst, aber auch die
Gesellschaft, den Wert dieser Erwerbsform anerkennen — und zwar durch entsprechende Bezahlung und
nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Will heißen: Jeder und jede Erwerbstätige —
der oder die dies will und kann — muss von der eigenen Arbeit leben können. Uns ist bewusst, dass
dies unter kapitalistischen Vermarktungsbedingungen und ohne politisch flankierende Maßnahmen auch und
gerade für Solo-Selbstständige nur bedingt erreichbar ist. Trotzdem versuchen wir, das Ziel
„Stärke durch Solidarität” mit Leben zu füllen.
Es gibt in Deutschland rund 2,3 Millionen
sogenannte Solo-Selbstständige: solche, die diese Erwerbsform freiwillig gewählt haben, und
solche, die — durch Outsourcing oder auf Drängen der Arbeitsagentur — in der
Selbstständigkeit die einzige Perspektive sehen, auf dem Arbeitsmarkt noch Fuß zu fassen. 6% aller
Erwerbstätigen arbeiten als Solo-Selbstständige, Tendenz steigend; ebenso steigt die Anzahl derer,
die sich in einer prekären ökonomischen Situation befinden. Darunter gibt es zahlreiche hoch
Qualifizierte: prekäre Intellektuelle.
Ein Blick auf die Einkommensbedingungen der
Selbstständigen zeigt: Die Schere geht hier verdammt weit auf.
In politischen Debatten — und in der
Folge auch in der Gesetzgebung — werden immer wieder die enorm hohen Einkünfte der
Selbstständigen im Vergleich zu abhängig Beschäftigten angeführt. Stimmt, wenn man alle
Selbstständigen, gleich ob sie von der eigenen oder von anderer Menschen Arbeitskraft leben, in einen
Topf wirft. Das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen der Selbstständigen lag laut einer Untersuchung
von Prof. Dr. Joachim Merz für das Forschungsinstitut Freie Berufe im Jahr 2003 mit 38562 Euro um 43%
über dem der abhängig Beschäftigten (26975 Euro). Allerdings: 50% der Selbstständigen
haben jedoch ein Jahreseinkommen von 14252 Euro, und das liegt um ein Drittel unterhalb des mittleren
Einkommens der abhängig Beschäftigten (22480 Euro). In diese Einkommenskategorie fallen
überwiegend Solo-Selbstständige. Im September 2008 erklärte die Bundesregierung auf Anfrage
der Linkspartei, 108000 Selbstständige seien — ob als „Aufstocker” oder
vollständig — auf ALG II angewiesen — das stützt die Vermutung.
Auch unter Ver.di-Mitgliedern gibt es
Selbstständige, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern. Ver.di bietet deshalb Plattformen, wie
etwa auf unserem letzten Selbstständigentag, diese Option aus der Perspektive der Selbstständigen
zu diskutieren. Aber das Ziel „Bedingungsloses Grundeinkommen” bestimmt nicht unsere Arbeit. Was
dann?
Unser Kerngeschäft als Gewerkschaft ist
die Regulierung von Erwerbsbeziehungen — in unserem Fall, dem der gewerkschaftlichen
Selbstständigenarbeit, die Interessenvertretung einzeln arbeitender Selbstständiger gegenüber
der Politik und mächtigen Auftraggebern. Wir können kollektive Interessen der Solo-
Selbstständigen identifizieren und artikulieren. Ein Beispiel:
Warum eigentlich sollten Arbeitgeber, die
sich durch Auslagerung von Unternehmen zunehmend der Sozialversicherungspflicht entziehen, gleichzeitig aber
in einer marktmächtigen Position Honorare diktieren, nicht für die Sozialversicherungskosten der
von ihnen Beauftragten mit herangezogen werden? Oder: Warum sollen einzeln arbeitende Selbstständige
etwa bei der Belastung durch eine GEZ-Gebühr für internetfähige PCs ebenso viel zahlen wie
ein gesamter Betriebsteil mit Tausenden Arbeitsplätzen — etwa die Hauptverwaltung des Allianz-
Konzerns? An solchen Stellschrauben können wir versuchen, eine Umverteilung von unten (Solo-
Selbstständige) nach oben (mächtige Auftraggeber/Konzerne) zu bekämpfen.
Für das gewerkschaftlich derzeit im
Fokus stehende Instrument „gesetzliches Mindesteinkommen” sind die Tätigkeitsfelder unserer
selbstständig erwerbstätigen Mitglieder zu heterogen, um hier modellhafte Forderungen zu
entwickeln. Es könnte jedoch in einigen fest umrissenen Branchen greifen, in denen die formal
selbstständige Beschäftigung der abhängigen vergleichbar ist — etwa in der
Weiterbildung. Eine weitere Hürde: Das Kartellrecht setzt den nicht verkammerten (nicht einer
Berufskammer angehörenden) Selbstständigen Grenzen, wenn sie Preisabsprachen zur Stabilisierung
ihrer Vergütungen treffen wollen: Selbstständigen sind Preisabsprachen verboten — darin sind
sie formal großen Konzernen gleichgestellt.
Unterhalb von „Absprachen” gibt
es trotzdem Handlungsmöglichkeiten, die die Einkommensbedingungen auch für Selbstständige
stabilisieren können: Markttransparenz und Vernetzung — und das Bewusstsein jedes bzw. jeder
Einzelnen, dass das eigene (Ver-)Handeln Einfluss auf das Auf oder Ab von Preisspiralen hat. Hehre Ideale?
Mag sein — aber die Erfahrung zeigt: Wer den Markt kennt, wer sich in Netzwerke begibt und damit nicht
ständig in jedem Selbstständigen eine potenzielle Konkurrenz sieht, wer den Wert der eigenen
Arbeit reflektiert, wer auch mal Nein sagt angesichts unanständiger Honorarangebote, hat in der
Selbstständigkeit bessere Chancen.
Unsere konkrete, derzeit wichtigste Aufgabe
als Gewerkschafter sehen wir darin, die Rahmenbedingungen für Solo-Selbstständige und ihnen selbst
den Rücken zu stärken.
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