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Wenn der Milchpreis so niedrig bleibt wie jetzt, droht vielen Milchbauern die
Pleite.
Maria Heubuch kämpft ums
Überleben. Der Erzeugerpreis für einen Liter Milch ist von 38 Cent 2007 auf weniger als 24 Cent
gesunken. Um existenzsichernd zu sein, erklärt die Milchbäuerin aus dem Allgäu, müssten
die Milchbauern mindestens 40 Cent pro Liter bekommen.
Berit Thomsen von der Arbeitsgemeinschaft
bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) erklärt, wie Milchwirtschaft funktioniert. Jeder Hof hat eine
feste Milchmenge, die er jährlich an die Molkerei abliefern darf. Jeden Monat verkünden die
Molkereien, ob das jeweilige Kontingent eingehalten worden ist, ob zu viel oder zu wenig geliefert wurde.
Abgerechnet wird nicht in Litern, sondern in Kilo. Wieviel der Bauer für die Milch bekommt, weiß
er erst am Ende des Monats, was zu seiner wirtschaftlichen Sicherheit nicht beiträgt. Die Molkereien
sind Genossenschaften, zu 70% in der Hand der Bauern, zu 30% in der Hand der Milchindustrie — von
Betrieben wie Landliebe, Müller usw.
Mitte Mai wurde es rund 250 Milchbäuerinnen zu viel, sie fuhren nach Berlin und zelteten neben dem
Kanzleramt, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit der verantwortlichen Politiker und der Medien zu erhaschen.
Es dauert, bis sich jemand für ihre Anliegen interessiert — nicht umsonst beschließen die
Bäuerinnen, von denen die meisten noch nie in ihrem Leben demonstriert haben, in den Hungerstreik zu
treten. Es funktioniert — obwohl sich Angela Merkel nicht mit ihnen trifft.
Das Interesse ist da und mündet, rund
eine Woche nach dem Protest sogar in einem Auftritt bei Beckmann, der montäglichen Talkshow der ARD.
Stefanie Butscher, Elfriede Lehmann und Christine Schneebichler vertreten dort selbstbewusst ihr Anliegen,
wie Maria Heubuch fordern sie vehement eine grundlegende Änderung der Milchwirtschaft. Die drei
Bäuerinnen sind Mitglied im Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), der in Opposition zum Deutschen
Bauernverband steht. Sie wollen, dass die Quote für die Milcherzeugung, die es seit 1984 gibt, nicht,
wie auf EU-Ebene geplant, nach und nach abgeschafft, sondern reduziert und vor allem flexibel gehandhabt
wird. Eines der Grundübel sehen sie in der Tatsache, dass in den letzten Jahren viel zu oft eine
„Überlieferung” der Quote geduldet wurde, also dass die Bauern mehr Milch lieferten, als
sie sollten. Die Quote muss aber runter, wenn der Preis stabilisiert werden soll.
Am 25.Mai, als in Berlin die Traktoren auffuhren und sich die europäischen Agrarminister trafen,
protestierten auch die französischen Milchbauern. Der Bauernverband FSNEA hatte dazu aufgerufen, weil
auch in Frankreich der Milchpreis an die Bauern im letzten Jahr um 30% gesunken ist. 81 Molkereien wurden
blockiert, die Protestaktionen riefen breites Medienecho hervor. Der Haken dabei ist, sagt Maria Heubuch,
dass derselbe französische Bauernverband, der nun die Proteste der Bauern stützt, vor nicht allzu
langer Zeit die Preissenkung ausgehandelt hat — ähnlich wie in Deutschland. Auch hier trat der
Bauernverband für eine Liberalisierung, eine Erhöhung und die sukzessive Abschaffung der Quote
ein.
Anders als in Frankreich missbilligte jedoch
der Deutsche Bauernverband die Aktion der Milchbäuerinnen und rief zu eigenen Protesten auf. Diese
richteten sich jedoch nicht gegen die zu niedrigen Milchpreise, sondern gegen die hohen Steuern für
Agrardiesel. Zeitgleich zur „Journée blanche” in Frankreich fuhren in Berlin die Traktoren
auf und erreichten prompt, was sie wollten: Für Agrarbetriebe wird der reduzierte
Mineralölsteuersatz von 25,56 Cent pro Liter (befristet für auf zwei Jahre)weiter gelten —
wie vor 2005.
Maria Heubuch erklärt, warum das den
Bauern nicht wirklich hilft: Die jetzt zugesagte Senkung der Steuern auf Agrardiesel bringt den Bauern
insgesamt eine Ersparnis von rund 300 Mio. Euro jährlich; der niedrige Milchpreis aber belastet die
Bauern mit einem Einkommensminus von jährlich 4 Milliarden Euro.
Maria Heubuch, die auch Vorsitzende der AbL
ist, fordert — wie ihre Kolleginnen vom BDM — Marktmacht für die Bauern und eine flexible
Quote, die auf die Marktbedürfnisse abgestimmt ist. Denn wenn die Quote ausläuft, werden die
Molkereien die Lieferrechte vorgeben — und die Molkereien sind schon jetzt sehr weit vom
Genossenschaftsprinzip entfernt, einige sind sogar an der Börse notiert.
Die streitbaren Milchbäuerinnen, die
bei Beckmann zu Gast waren, stießen auf Widerstand. Nach ihnen kamen die Agrarministerin Ilse Aigner
und die Abgeordnete der Freien Wähler, die dem Bauernverband nahestehende Kreisbäuerin Ulrike
Müller zu Wort. Die Kreisbäuerin zeigte sich um einiges streitbarer als die Ministerin. Sie
brüstete sich damit, sie und ihr Mann hätten in den letzten 28 Jahren halt die richtigen
Investitionen getätigt, ihr Sohn hat schon mitarbeitet, die Tochter auch Landwirtschaft studiert, und
ihr Mann macht im Winter Schneeräumdienst. Immerhin räumte auch sie ein, 24 Cent pro Liter Milch
seien zu wenig, aber das Quotensystem funktioniere nicht und überhaupt seien Bauern Unternehmer, die
versuchen müssten, ihren Grund und Boden ressourcenbringend zu bewirtschaften. Das kam bei den drei
Bäuerinnen, die noch in diesem Jahr die Pleite ihrer Milchwirtschaft befürchten, nicht gut an.
Angela Merkel hat ein bisschen eingelenkt.
Hatte sie den hungerstreikenden Bäuerinnen noch ein Treffen verwehrt, während sie sich parallel
auf einem niedersächsischem Hof mit Christian Wulff und dem Leiter des Deutschen Bauernverbands (DBV),
Gerd Sonnleitner traf, wird Ende Mai ein Treffen stattfinden, bei dem neben dem Deutschen Bauernverband auch
Maria Heubuch von der AbL und Vertreter des BDM anwesend sein werden.
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