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Liliane Cordova-Kaczerginski hat an der Konferenz teilgenommen. Wir trafen
sie in Berlin — eine Frau mittleren Alters, die einen erstaunlichen Lebensweg hinter sich hat:
Hineingeboren in eine jüdisch-kommunistische Familie, die nach Argentinien auswandern musste, musste
sie sich auch dort vor der Militärdiktatur retten; als glühende Zionistin wanderte sie nach Israel
aus, wo sie jedoch gründlich eines Besseren belehrt wurde. Als überzeugte Antizionistin kehrte sie
dem Land in den 70er Jahren wieder den Rücken und lebt seither in Paris.
Liliane Cordova-Kaczerginski ist
Mitbegründerin des International Jewish Anti-Zionist Network (IJAN, www.ijsn. net), das in Genf die
massive Intervention israelischer Vertreter sowie zionistischer Organisationen und Apologeten kritisierte,
die die Durban Review Conference haben entgleisen lassen und das Gedenken an den Völkermord der Nazis
dazu missbrauchte, um die israelische Unterdrückung Palästinas und dessen ethnische Säuberung
zu rechtfertigen. Mit ihr sprachen Sophia Deeg und Angela Klein.
Durban I war für die Zionisten ein
Trauma, erklärt uns Liliane. Die UN-Konferenz gegen Rassismus hatte 2001 Israel zu einem rassistischen
Staat erklärt. „Das ist das Schlimmste, was ihnen passieren kann, schlimmer noch als der Vorwurf,
dass sie die Menschenrechte mit Füßen treten. Zionisten meinen, sie haben ein Recht, die
Menschenrechte zu missachten — Palästinenser sind eh alles nur Terroristen. Aber wenn man ihnen
Rassismus vorwirft, dann verlieren sie ihre jüdische Ausnahmerolle, ihre Singularität.”
Zionisten sehen im jüdischen Volk etwas Besonderes, auf das die allgemeinen Regeln des
Völkerrechts nur bedingt anwendbar sind.
Das wollen wir genauer verstehen. Dazu holt
Liliane sehr grundsätzlich aus: „Nach zionistischen Vorstellungen basiert die Konzeption der
jüdischen Nation auf der Blutszugehörigkeit; sie ist insofern rassistisch: Jude ist, wessen Mutter
jüdisch ist.” Eine solche Konzeption der nationalen Identität schließt andere von
vornherein aus: „Wie kann man da jüdisch sein, ohne Teil der Unterdrücker zu sein?” In
dieser Logik kann man nicht zur jüdischen Nation gehören, ohne Zionist zu sein.
Die Begründung für eine solch
identitäre Definition der Nation speist sich aus der Suche nach der „jüdischen
Besonderheit” Diese leitet sich in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts natürlich aus dem
Holocaust ab, der mit nichts anderem in der Geschichte vergleichbar sei.
Liliane ist mit dieser Auslegung der
Einzigartigkeit des Holocaust nicht einverstanden: „Sicher war er einzigartig, weil es geplanter,
industriell durchorganisierter Völkermord war. Aber was uns an der Shoah aufrütteln muss, ist
nicht die Besonderheit ihrer Durchführung, sondern dass sie Teil der allgemeinen Unmenschlichkeit war.
Diese Unmenschlichkeit begegnet uns immer wieder, auf Schritt und Tritt. Aus dieser jüdischen
Besonderheit muss man heraustreten”, denn sie führt dazu, eine „jüdische
Essenz” zu konstruieren, und „das ist im Kern antisemitisch” Die Lage der Juden heute sei
mit der bis zur Mitte des 20.Jahrhunderts nicht vergleichbar: Juden gehören heute überall zur
privilegierten Schicht. Und in Israel führen sie sich als Herrenvolk auf. Dafür gibt es keine
Rechtfertigung, es sei denn, man betont die „jüdische Ausnahme”, die „jüdische
Einzigartigkeit”
Liliane legt Wert darauf, dass der Zionismus eine historische Erscheinung ist, die ihre Wurzeln nicht in
der Shoah hat. Auch dass er die tragende Ideologie der in Israel lebenden Juden wurde, hat weniger mit der
Shoah als mit der Gründung des Staates Israel zu tun.
"Erst 1934 hat eine religiöse
Strömung angefangen, den religiösen Zionismus zu erfinden. Der Bau jüdischer Siedlungen in
Palästina wurde aus Frankreich und den USA bezahlt; die Siedler ließen sich dort mit einer Haltung
der Überlegenheit der weißen Rasse gegenüber der einheimischen Bevölkerung nieder. Bis
1947 war die große Mehrheit der Juden nicht zionistisch."
Liliane sieht im Zionismus eine Variante des
Imperialismus; Israel war und ist ein Kolonialprojekt. Aber noch wichtiger findet sie die Charakterisierung
Israels als Apartheidstaat. „Es ist ein institutionalisiertes Apartheidsystem. Das israelische Gesetz
unterscheidet zwischen der Nation und den Bürgerrechten. Die Nation hat alle Privilegien, alle Rechte,
und den Anspruch auf den Boden. Kein Nichtjude kann die vollen Bürgerrechte bekommen."
93% alles Bodens in Israel gehört dem
Jüdischen Nationalfonds; er hat sich alle Ländereien angeeignet, die den Palästinensern
gestohlen wurden. Theoretisch könnten damit nur 7% des Grund und Bodens an Palästinenser verkauft
werden. Der Fonds reserviert die Nutzung der Ländereien aber für Juden. Er hat den Status einer
karitativen Vereinigung und ist in Ländern wie den USA, Großbritannien und Kanada
steuerbegünstigt. Daneben sorgt die Jewish Agency, eine weitere weltweit operierende zionistische
Organisation, für die Anwerbung jüdischer Immigranten nach Palästina, für deren
Versorgung mit Wohnungen und Arbeitsplätzen und für ihre zionistische Erziehung. Die Jewish Agency
hat einen paragouvernementalen, halbdiplomatischen Status; sie kann Forderungen aufstellen, die der
israelische Staat nicht aufstellen kann.
Seit 2001 hat sich Israel auf die Durban-
Nachfolgekonferenz vorbereitet. Im Bündnis mit den USA und der EU hat es alles daran gesetzt zu
verhindern, dass in Genf eine Erklärung verabschiedet wird, die den Zionismus als eine Form von
Rassismus kritisiert. Der Vorwurf der Apartheid trifft Israel am härtesten. Die Abschlusserklärung
von Genf spricht deshalb von Islamophobie, von Sklaverei, aber nicht von Palästina und auch nicht
über Entschädigungen.
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