SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 21

Das Gespenst

kräftigen

von Dieter Braeg

Jutta Ditfurth: Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft, München: Droemer, 2009, 267 Seiten, 16,95 Euro

Es ging ein Gespenst um in der Welt, das Gespenst des Kommunismus, stellte Karl Marx im Kommunistischen Manifest fest. „Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet."
Liest man, wie die Wirkung dieser vereinigten Mächte war und ist, die die Hetzjagd länger als seit 1848 betreiben, als das Kommunistische Manifest erstmals veröffentlicht wurde, wird klar, es könnte noch dauern. Jammern hilft da nicht, eher schon die Lektüre von Jutta Ditfurths neuer Streitschrift, die viele Leserinnen und Leser verdient. Schon auf der ersten Seite wird deutlich, dass es nicht leicht sein wird:
"Staatliche Obrigkeit und Kapital ahnen, dass es in den Köpfen Hunderttausender, wenn nicht Millionen Menschen brodelt. Aber Politiker wie Manager sind so weit vom normalen Leben der Menschen entfernt, dass sie vom Ausmaß der großen Wut nichts wissen. Oft sind nur Chauffeure, Taxifahrer und Pförtner ihr stark gefilterter Kontakt zum wirklichen Leben, den Rest der Gesellschaft, erklären ihnen die BILD-Zeitung und Gala."
Diese Groschenzeitungswelt, die den Auftrag hat, Groschenhirne mit Groschenbewusstsein zu erzeugen, hat kein Problem, sich mit Begriffen zu schmücken, für die die internationale Arbeiterbewegung geblutet hat und die ihr jetzt wieder entrissen werden sollen. Die Sklaverei kehrt zurück, schön versteckt hinter den Wortungetümen „Zeitarbeit” und „Praktikum"; die Verstaatlichung, die die abgewirtschaftete Politik fordert, ist eine bei der das Kapital überlebt, das den eigenen betrügerischen Konkurs dort retten lässt, woher es bisher seine Profitmaximierung bezog — beim Volk! „Der Kapitalismus zerbricht nicht, sondern er verwandelt sich — einmal mehr. Der Staat wird eine Zeitlang einige Sektoren beeinflussen, er ist der Garant für das Fließen der Finanzströme und wird dafür sorgen, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr aufrechterhalten wird. Ohne staatliche Regelung ist der Kapitalismus nie ausgekommen, das ist ein ebensolcher Mythos wie der Glaube, der Kapitalismus könne durch staatliche Regulierung krisenfrei werden."
Die Streitschrift schildert eine Realität, die die Autorin ge- und erlebt hat. Es wird immer finsterer in dieser Welt: Die freie Meinungsäußerung, demokratische Grundrechte, die Pflicht zum Widerstand — sie werden Schritt für Schritt aus dem Leben der Menschen entfernt. Solidarische Modelle wurden und werden vernichtet und ausgehebelt. Da diskutiert ein Betriebsrat, ob er von Fiat oder Magna übernommen wird, und verschweigt, dass vor wenigen Monaten Magna seine Mitarbeiter in Österreich gezwungen hat, „freiwillig” auf bis zu 20% der Einkünfte zu verzichten. „Arbeitsplatzrettungserpressung” wird so etwas genannt, und still schauen die Vorstände der Gewerkschaften zu, bis sie nur noch Filialen der Kapitalverbände sind. Vor dem „Gespenst”, das da mal umging, fürchten sich die, die es betrifft, schon lange nicht mehr.
"Der Kapitalismus ist schon im Normalzustand eine Katastrophe für Mensch und Natur. Es gibt ihn nicht ohne Profit und nicht ohne Ausbeutung. Die beiden einzigen Quellen des Reichtums sind die Arbeitskraft des Menschen und die Naturressourcen. Der Kapitalismus strebt danach, sich diese Quellen alles Reichtums zu unterwerfen und sie maximal zu verwerten. Dass der Mensch dabei ruiniert, um Glück und Gesundheit und oft genug das Leben gebracht wird, dass die Natur dabei so vergiftet und zerstört wird, dass der Mensch in ihr nicht mehr gesund leben kann, ist dem Kapital vollkommen gleichgültig.” „Die kapitalistische Produktion”, schreibt Karl Marx 1867 im Kapital, „entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter”, stellt Jutta Ditfurth fest. Nach der Streitschrift müssen wir zu streitbarem Handeln finden.
"Sackgasse Linkspartei” — das ist das achte Kapitel der Schrift, und es sollte zur Pflichtlektüre des Karl-Liebknecht-Amts werden. „Schritt für Schritt für Schritt, doch verändern, das will sie nicht”, die Partei, kann man da nur konstatieren. Auch da, im Bürokratiedschungel, entsteht nichts Streitbares. Das zurzeit im Entwurf vorliegende Programm zur Bundestagswahl zeigt das deutlich. Trotz wütender Proteste eines großen Teils der Mitgliedschaft scheint man nicht bereit, entscheidende Änderungen im Sinne einer kämpferischen Systemänderung durchzusetzen. „Von Wahl zu Wahl”, heißt die Devise; endlich zur mobilisierenden Basisarbeit (Betriebsgruppen mit Betriebszeitungen, Initiativen in Bereichen sozialer Brennpunkte) zu finden, das ist die Ausnahme.
Jutta Ditfurth gibt auch Antworten, wie man zu streiten hat, und mahnt: „Allen wirklichen Fortschritt für die Mehrheit der Menschen gibt es nur als Resultat von sozialen Kämpfen. Nie ist eine grundsätzliche soziale Reform — die diesen Namen wirklich noch verdient hätte — im Parlament eines kapitalistischen Staates geboren worden. Immer waren ihre Voraussetzungen außerparlamentarische Kämpfe; manchmal, wenn diese Kämpfe stark genug waren, konnte politischer Druck entfacht werden, der auch Parlamentsparteien und Regierungen in Zugzwang brachte, so dass diese Institutionen die — meist verwässerten Versionen der ursprünglichen — Forderungen in Gesetze und Verordnungen gossen."
Keine Rückzugsgefechte: Lohnverzicht einstellen, Überwachungswahnsinn bekämpfen. Es gibt viel zu tun, das Gespenst zu kräftigen, damit es reicht, dem Kapitalismus Paroli zu bieten.


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