SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 02

Mehr Staat?

Welcher Staat?

von Angela Klein

Herr Middelhoff ist einer von denen, die Arcandors Konzernvermögen veruntreut haben — 4 Mrd. Euro allein aus dem Verkauf von Immobilien — und den Konzern mit 280 Mio. Euro in die Miesen wirtschafteten. Dafür droht mehreren tausend Beschäftigten jetzt der Verlust des Arbeitsplatzes.
Das Bankhaus Sal. Oppenheim, einer der Hauptaktionäre von Arcandor, interessiert sich dafür wenig. Für die größte deutsche Privatbank, die ihren Sitz nach Luxemburg verlegt hat, um Steuern zu sparen, ist der Verlust aus dem Arcandor-Engagement (167 Mio. Euro) „absolut verkraftbar” Kein Wunder, hat doch Sal.Oppenheim aus dem Treiben von Middelhoff gutes Kapital geschlagen: Ihr Geschäftspartner, Josef Esch, hat die Immobilien nämlich von Arcandor gekauft und für jede einzelne von ihnen zusammen mit Oppenheim einen geschlossenen Immobilienfonds aufgelegt und die Karstadt-Häuser „zu außergewöhnlich hohen Preisen” an das Warenhaus zurückvermietet.
Fondszeichner sind u.a. Middelhoff, Gesellschafter von Sal.Oppenheim und Frau Schickedanz von Quelle, die lauthals darüber klagt, wieviele Milliarden sie bei Arcandor verloren hat. Sie ist zu einem Drittel an der Oppenheim-Esch-Managementgesellschaft beteiligt, die den Fonds betreibt.
Die Immobiliengeschäfte haben Karstadt ruiniert: 20% der Warenhausumsätze wurden für die Mieten kassiert. Aktionäre und Management verdienten doppelt und dreifach: als Aktionäre von Karstadt, als Fondsanleger und als Vermieter.
Middelhoffs Nachfolger Eick ist Teil der Mischpoke: Er muss sich wegen Insolvenzverschleppung vor Gericht verantworten. Auch ihm tut das nicht weh: Sein Fünfjahresvertrag sieht vor, dass er auch bei früherem Ausscheiden „voll ausbezahlt” wird — das sind 10 Mio. Euro, plus „variable Einnahmen” Den Vertrag garantiert Sal.Oppenheim.
Im Krisenjahr 2008 schütteten die Dax-30-Konzerne an die Aktionäre 22,5 Mrd. Euro Dividende aus — die dritthöchste Ausschüttung in der 20-jährigen Dax-Geschichte. 45,4% der Nettoprofite wurden an die Aktionäre weiter gereicht. Manche Konzerne haben 2008 die Dividende erhöht, obwohl ihre Gewinne zurückgingen. Einige zahlten die Dividende sogar aus der Substanz — so die Allianz, die durch Spekulationen ihrer früheren Tochter Dresdner Bank 2,44 Mrd. Euro Verlust gemacht hat; aber auch die Post und die Deutsche Bank.
Das Diktat der Aktionäre ist ungebrochen. Ebenso die Selbstbedienungsmentalität des oberen Managements und die Spekulationslust. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art.14 (2) GG setzt einen Staat voraus, der diesem Treiben Einhalt gebietet und darüber wacht, dass das Eigentum (öffentlich oder privat) dem Wohl der Allgemeinheit dient. Das tut der deutsche Staat aber nicht (mehr). Wie sein Handeln im Falle der IKB, der HRE und der Landesbanken zeigt, stellt er sich blind und taub, entschärft seine Kontrollorgane gegenüber den Finanzinstituten und prostituiert sich gegenüber privaten Interessen. „Private Wirtschaftsprüfer machen die Kontrolle und private Kanzleien machen die Gesetze”, schreibt Benedict Ugarte-Chacón. Dieselben Wirtschaftsprüfer, die dem Staat die Gesetze diktieren, prüfen auch die Banken (vor und nach dem Krach) und fädeln selber Bankenzusammenschlüsse ein.
Dieser Staat ist zur Pfründe privater Kapitalinteressen geworden — ein Prozess der Re-Feudalisierung. Das sollte man sorgfältig bedenken, wenn man die „Verstaatlichung” von Banken oder Konzernen fordert. Ob eine Verstaatlichung den Kapitalisten nützt oder den Beschäftigten, hängt vom Charakter des Staates ab.
Banken unter öffentliche Kontrolle und Betriebe in Arbeitnehmerhand können das Dilemma umgehen, wenn Formen der öffentlichen Kontrolle geschaffen werden, die die Öffentlichkeit und die Beschäftigten effektiv beteiligen — u.a. indem die Geschäftsbücher offen gelegt werden. Bei einer Verstaatlichung muss mehr herauskommen als eine neue Form der Kungelei zwischen öffentlicher Hand, Betriebsräten und Privatunternehmern, wie sie jetzt bei bestimmten Banken und Konzernen praktiziert wird.
Dass Betriebsräte gefährdeter Betriebe auf höchster Ebene mit Regierungsvertretern und Managern verhandeln, dass sie gemeinsam mit „ihren” Unternehmern demonstrieren, um den Staat für eine Bürgschaft oder einen Kredit zu erwärmen, gibt den Belegschaften keine eigene Handlungsperspektive an die Hand. Angesichts der Finanzlage mancher Aktionäre und der Machenschaften hoch bezahlter Manager wäre es besser, den Beschäftigten würde der Geduldsfaden reißen und sie arbeiteten auf die Enteignung der verantwortungslosen Aktionäre hin.
Ende August sind Kommunalwahlen in NRW und im September Bundestagswahlen. DIE LINKE hat jetzt die Chance, einen Wahlkampf zu führen, der die Menschen aufrüttelt und ihnen eine Handlungsperspektive zeigt. Kein Wahlkampf, der hilflos und passiv Forderungen stellt, sondern einer, der sich an die Wählenden richtet, was sie machen können, damit sie zu ihrem Recht kommen. Betriebsbesetzungen und Generalstreik sollten dabei eine Rolle spielen. Und keine Angst vor dem Vorwurf des Populismus — so etwas kann die Wählerschaft nur aus ihrem (bislang leider berechtigten) Desinteresse reißen...


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang