SoZ - Sozialistische Zeitung |
Viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland lassen sich
— wahrscheinlich aus Unkenntnis der internen komplexen Zusammenhänge im Iran,
manche Linke sogar aus versteckter Sympathie für den „großen” US- und
Israel-Widersacher und angeblichen Freund der Armen im Iran, Ahmadinejad — zu folgenden
zwei falschen Aussagen verleiten:
1. Ahmadinejad hätte durch seine konsequente Politik gegen die
Korruption und die reiche Elite sehr viel Rückhalt in der Bevölkerung und daher auch
die Wahl tatsächlich gewonnen — entgegen der Behauptung der Reformbewegung, hinter
der vor allem die Reichen und westlich Orientierten aus dem Norden Teherans stünden.
2. Die Reformbewegung sei zum Scheitern verurteilt, da die
Streitkräfte des Iran voll hinter dem Präsidenten und dem Revolutionsführer
stünden.
Im Folgenden möchte ich
genauere Aussagen zum Wahlbetrug und zur weiteren Entwicklung machen:
Insider aus dem iranischen
Innenministerium haben anonym folgende detaillierte Angaben zu den Wahlen am 12.Juni 2009 im
Iran veröffentlicht:
Stimmberechtigte: 49322412
Abgegeb.Stimmen: 42044178(100%)
Mousavi: 19075623 (45,4%)
Karroubi: 13378109 (31,8%)
Ahmadinejad: 5698417 (13,6%)
Rezai: 3754218 ( 8,9%)
Ungültige Stimmen: 137816 ( 0,3%)
Viele Indizien sprechen dafür, dass diese Details die tatsächliche Zählung
wiedergeben. Die Detailinfos haben sowohl Mousavi als auch Mohsen Rezai, der andere Kandidat,
jeweils auf ihrer Webseite veröffentlicht. Wären
die Angaben wahrheitswidrig, hätten sie dem Regime einen triftigen Vorwand für ihre
Verhaftung und Verurteilung wegen aufrührerischer Falschmeldung geliefert. Dies gilt in
noch stärkerem Maße für Mohsen Rezai, da er als Sekretär des Expertenrats
(der Institution, die Khamenei formal abwählen könnte) sogar zum Landesverrat
verurteilt, zumindest seines Amtes enthoben werden könnte. Nichts dergleichen geschah
bisher, offensichtlich aus dem einfachen Grund, es könnte eine noch größere
Schlappe des Regimes vor Gericht oder ein Schauprozess daraus werden.
Ein weiterer Beleg, der den
Wahrheitsgehalt der obigen Zahlen untermauert, sind die offiziell bestätigten
Wahlergebnisse der Exiliraner in Deutschland. Demnach entfallen bei den in den Konsulaten in
Berlin, Bonn, Frankfurt/M., Hamburg und München abgegebenen 8886 (100%) Stimmen auf
Mousavi 6894 (77,6%), Ahmadinejad 1137 (12,8%), Karroubi 598 (7,9%), Rezai 146 (1,5%),
ungültig 111 (1,2%). Die Zahlen stehen auf den Webseiten der jeweiligen Konsulate bzw.
der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Berlin. Während der Anteil von 12,8%
für Ahmadinejad in Deutschland sich weitgehend mit dem im Iran deckt, ist der Anteil von
77,6% für Mousavi (im Iran 45,4%) offenbar deshalb deutlich höher, weil die anderen
zwei Gegner Ahmadinejads, Karroubi und Rezai, bei den Exiliranern weniger bekannt sind.
Im Übrigen belegen die
Bekanntmachungen in Deutschland, dass die Wahlergebnisse nicht bei den Wahlurnen, sondern
zentral im Innenministerium gefälscht worden sein müssen. Bei den Unstimmigkeiten in
einigen Wahlbezirken, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch geschehen sind, handelt es sich
offenbar um den Versuch des Wächterrats, von der gigantischen zentralen Fälschung
der eingegangenen Stimmen im Innenministerium abzulenken.
Ahmadinejad hat ganz sicher
5—6 Millionen Wähler für sich mobilisieren können. Hierunter fällt
die Landbevölkerung, die — über die wirklichen sozialen und ökonomischen
Folgen von Ahmadinejads Politik uninformiert — auf dessen „Wahlgeschenke”
hereingefallen ist. Zu festen Anhängern des Präsidenten zählen Teile der
Revolutionswächter und der Bassidjis (paramilitärischen Kräfte), die die
unmittelbaren Nutznießer seiner klientelistischen Politik sind und die deshalb auch
bereit sind, sich hinter den Präsidenten zu stellen und auf demonstrierende Menschen
erbarmungslos einzuschlagen. Es wäre verhängnisvoll, den Klientelismus eines
Präsidenten in einem klassischen Rentiersstaat mit einer Arbeitsbeschaffungsstrategie zu
verwechseln. Der Klientelismus ist in Wahrheit das Fundament der Korruption und
Misswirtschaft.
Abschließend eine
wichtige Nachricht: Gerade las ich den Offenen Brief von Ebrahim Nabavi, ein sehr bekannter
und zugleich moslemisch frommer Schriftsteller, an Ayatollah Khamenei, mit der
Überschrift: „Das Volk wird Sie zurückweisen.” In diesem emotionalen,
aber die Gefühle vieler Iraner m.E. authentisch reflektierenden Brief schreibt Nabavi
u.a.: „Das, was im Zusammenhang mit den Wahlen stattfand, beschränkt sich nicht auf
die große Lüge, eine derart große Lüge, die man leichter beweisen als
zurückweisen kann. Was das Volk ärgert und auf die Straße treibt, ist die
Dreistigkeit und Unverschämtheit des Staatspräsidenten, der vor laufenden Kameras
sich nicht scheute, alle Wahrheiten zu leugnen. Er zollte nicht nur der Intelligenz der
Menschen keinen Respekt, sondern auch nicht der logischen Kraft einfacher Rechenaufgaben. Die
Menschen sind zornig, weil der Präsident glaubt, die Stimmen und das Denken der Menschen
so billig kaufen zu können. Die Menschen sind zornig, weil er ihnen ins Gesicht lügt
und ihnen weis zu machen versucht, dass das, was wirklich geschehen ist, gar nicht
stattgefunden hat. Die Menschen sind zornig, weil der Präsident das Volk als
niederträchtig beleidigt. Herr Khamenei, wir sind nicht niederträchtig..."
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