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Dieser Tage scheint Italiens Teflon-Mann, der Premierminister
Berlusconi, zum ersten Mal seit langem leicht ins Straucheln zu kommen. Kurioserweise nahm
dies seinen Ausgang in dem Bereich, durch den er die italienische Kultur und Politik seit 30
Jahren am meisten schleichend ruiniert: von seinen privaten Fernsehsendern.
Ende April lancierte seine
Frau, Veronica Lario, eine heftige Kritik gegen ihn: Sie bezeichnete es als „schamlosen
Plunder im Namen der Macht”, dass die Mehrzahl der Kandidatinnen für die
Europawahlen fast ausschließlich aus der Reihe der „Veline” (wörtl.:
Fähnchen, die sog. Fernseh-Showgirls) kamen. „All das dient zur Unterhaltung des
Imperators”, so Veronica Lario weiter in einem offenen Brief an die Tageszeitung La
Repubblica. Kurz darauf reichte sie die Scheidung ein. Auslöser war Berlusconis Besuch
beim Geburtstag einer blonden 18-jährigen Neapolitanerin, die ihn nach eigenen Worten oft
besuchte, gemeinsam mit ihm sang und in der Zukunft gerne vielleicht mal ins Parlament
möchte — „Papi” (Berlusconi) würde schon dafür sorgen.
Parallel dazu wurde
Berlusconis ehemaliger britischer Anwalt Mills wegen Korruption und falscher Zeugenaussage zu
vier Jahren Haft verurteilt. Durch Mills Schweigen (mit 600000 Euro vergoldet) ersparte er dem
Teflon-Mann juristische Probleme. Seither gibt es fast täglich Schlagzeilen, einmal
werden pikante Fotos aus seiner Villa in Sardinien beschlagnahmt und dann in Spanien
veröffentlicht, ein anderes Mal erzählt eine Kandidatin auf der Regionalliste
Apuliens der Presse, dass sie für eine Nacht mit Berlusconi von einem apulischen
Unternehmer bezahlt wurde. Als dann auch noch Erdbebenopfer aus LAquila in Rom gegen die
Art und Weise protestierten, wie mit ihnen und dem Wiederaufbau umgegangen wird, flog
Berlusconi nur noch mit dem Helikopter über die zerstörte Region, aus Angst,
öffentlich angefeindet zu werden. Das geschieht immer öfter, im Fußballstadion,
bei Wahlveranstaltungen; Berlusconi kontert mit Beschimpfungen wie „arme
Kommunisten”, „Analphabeten der Freiheit”
Beistand findet er stets in
seinem Machthafen, dem Fernsehen, dem privaten und, da er ja Regierungschef ist, auch im
öffentlichen. Einmal im Monat kann er auf RAI Uno bei seinem Freund Bruno Vespa in einer
abendlichen Talkshow unwidersprochen monologisieren und Lügengebäude entwerfen; die
Nachrichtensendung RAI 1 (die italienische Tagesschau) vermeidet es, peinliche Dinge wie den
Prostitutionsvorwurf zu vermelden.
All das hat großen
Unterhaltungswert. Wie sehr die demokratischen Ordnung Italiens bereits erodiert ist, zeigt
ein wahrhaft einzigartiger Fall, der im allgemeinen totgeschwiegen wird: ein Fernsehsender,
der seit zehn Jahren eine Konzession hat, aber bis heute nicht senden kann.
Der Unternehmer Francesco Di
Stefano verkaufte Ende der 90er Jahre seinen privaten lokalen Fernsehsender VOXson und bewarb
sich um eine nationale Konzession, was ihm prompt gelang. Italienweit gibt es drei
öffentliche Sender der RAI und acht Privatsender. Berlusconi kontrolliert derzeit die RAI
und besitzt drei Privatsender, Tele5, Rete4 und Italia1. Rete4, der berlusconifreundlichste
Sender, hat seit 1999 keine Konzession mehr, sendet aber trotzdem weiter — die
Frequenzen hätten an Francesco Di Stefanos Sender Europa7 übergeben werden
müssen. Das geschah nicht, Di Stefano klagte. 2002 bestätigte der
Verfassungsgerichtshof, kein Privatmann dürfe mehr als 20% der Frequenzen haben,
Berlusconi müsse Rete4 daher aufgeben.
Im Sommer 2003 gab es ein
neues Gesetz über das digitale Fernsehen; es enthielt einen Passus, der eine
Übergabe der Frequenzen von Rete4 an Europa7 weiter verzögert — als der
Staatspräsident seine Zustimmung verweigerte, setzte sich Berlusconi per Dekret durch.
Der Fall kam vor den Europäischen Gerichtshof. Dieser urteilte 31.Januar 2008, dass das
italienische System nicht den europäischen Rechtsnormen entspricht, das Objektivität
und Transparenz bei der Vergabe der Frequenzen vorsieht. Mit anderen Worten: Di Stefano solle
nun gefälligst seine rechtmäßig erworbene Fernsehfrequenz erhalten.
Bis heute ist nichts
geschehen. Der EuGH verdonnerte Italien zudem zu einer Geldstrafe von rund 350000 Euro pro
Tag, zahlbar ab 1.Januar 2009. Bis dato zahlt Italien nicht.
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