SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 04

Der Teflon-Mann

Schlüpfrige Geschichten um Berlusconi

von Angela Huemer

Dieser Tage scheint Italiens Teflon-Mann, der Premierminister Berlusconi, zum ersten Mal seit langem leicht ins Straucheln zu kommen. Kurioserweise nahm dies seinen Ausgang in dem Bereich, durch den er die italienische Kultur und Politik seit 30 Jahren am meisten schleichend ruiniert: von seinen privaten Fernsehsendern.
Ende April lancierte seine Frau, Veronica Lario, eine heftige Kritik gegen ihn: Sie bezeichnete es als „schamlosen Plunder im Namen der Macht”, dass die Mehrzahl der Kandidatinnen für die Europawahlen fast ausschließlich aus der Reihe der „Veline” (wörtl.: Fähnchen, die sog. Fernseh-Showgirls) kamen. „All das dient zur Unterhaltung des Imperators”, so Veronica Lario weiter in einem offenen Brief an die Tageszeitung La Repubblica. Kurz darauf reichte sie die Scheidung ein. Auslöser war Berlusconis Besuch beim Geburtstag einer blonden 18-jährigen Neapolitanerin, die ihn nach eigenen Worten oft besuchte, gemeinsam mit ihm sang und in der Zukunft gerne vielleicht mal ins Parlament möchte — „Papi” (Berlusconi) würde schon dafür sorgen.
Parallel dazu wurde Berlusconis ehemaliger britischer Anwalt Mills wegen Korruption und falscher Zeugenaussage zu vier Jahren Haft verurteilt. Durch Mills Schweigen (mit 600000 Euro vergoldet) ersparte er dem Teflon-Mann juristische Probleme. Seither gibt es fast täglich Schlagzeilen, einmal werden pikante Fotos aus seiner Villa in Sardinien beschlagnahmt und dann in Spanien veröffentlicht, ein anderes Mal erzählt eine Kandidatin auf der Regionalliste Apuliens der Presse, dass sie für eine Nacht mit Berlusconi von einem apulischen Unternehmer bezahlt wurde. Als dann auch noch Erdbebenopfer aus L‘Aquila in Rom gegen die Art und Weise protestierten, wie mit ihnen und dem Wiederaufbau umgegangen wird, flog Berlusconi nur noch mit dem Helikopter über die zerstörte Region, aus Angst, öffentlich angefeindet zu werden. Das geschieht immer öfter, im Fußballstadion, bei Wahlveranstaltungen; Berlusconi kontert mit Beschimpfungen wie „arme Kommunisten”, „Analphabeten der Freiheit”
Beistand findet er stets in seinem Machthafen, dem Fernsehen, dem privaten und, da er ja Regierungschef ist, auch im öffentlichen. Einmal im Monat kann er auf RAI Uno bei seinem Freund Bruno Vespa in einer abendlichen Talkshow unwidersprochen monologisieren und Lügengebäude entwerfen; die Nachrichtensendung RAI 1 (die italienische Tagesschau) vermeidet es, peinliche Dinge wie den Prostitutionsvorwurf zu vermelden.
All das hat großen Unterhaltungswert. Wie sehr die demokratischen Ordnung Italiens bereits erodiert ist, zeigt ein wahrhaft einzigartiger Fall, der im allgemeinen totgeschwiegen wird: ein Fernsehsender, der seit zehn Jahren eine Konzession hat, aber bis heute nicht senden kann.
Der Unternehmer Francesco Di Stefano verkaufte Ende der 90er Jahre seinen privaten lokalen Fernsehsender VOXson und bewarb sich um eine nationale Konzession, was ihm prompt gelang. Italienweit gibt es drei öffentliche Sender der RAI und acht Privatsender. Berlusconi kontrolliert derzeit die RAI und besitzt drei Privatsender, Tele5, Rete4 und Italia1. Rete4, der berlusconifreundlichste Sender, hat seit 1999 keine Konzession mehr, sendet aber trotzdem weiter — die Frequenzen hätten an Francesco Di Stefanos Sender Europa7 übergeben werden müssen. Das geschah nicht, Di Stefano klagte. 2002 bestätigte der Verfassungsgerichtshof, kein Privatmann dürfe mehr als 20% der Frequenzen haben, Berlusconi müsse Rete4 daher aufgeben.
Im Sommer 2003 gab es ein neues Gesetz über das digitale Fernsehen; es enthielt einen Passus, der eine Übergabe der Frequenzen von Rete4 an Europa7 weiter verzögert — als der Staatspräsident seine Zustimmung verweigerte, setzte sich Berlusconi per Dekret durch. Der Fall kam vor den Europäischen Gerichtshof. Dieser urteilte 31.Januar 2008, dass das italienische System nicht den europäischen Rechtsnormen entspricht, das Objektivität und Transparenz bei der Vergabe der Frequenzen vorsieht. Mit anderen Worten: Di Stefano solle nun gefälligst seine rechtmäßig erworbene Fernsehfrequenz erhalten.
Bis heute ist nichts geschehen. Der EuGH verdonnerte Italien zudem zu einer Geldstrafe von rund 350000 Euro pro Tag, zahlbar ab 1.Januar 2009. Bis dato zahlt Italien nicht.


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