SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 10

Nicht nur Amerika

Der Mord an einem amerikanischem Arzt und die Reaktionen bei uns

von Gisela Notz

Am Pfingstsonntag, dem 31.Mai 2009, wurde der Arzt Georg Tiller im US-Bundesstaat Kansas von einem fanatischen religiösen Abtreibungsgegner während des Gottesdienstes niedergeschossen. Tiller war einer der wenigen US-Ärzte, die sich auf Spätabtreibungen spezialisiert haben. In seiner Klinik führte er Schwangerschaftsabbrüche auch nach der 12.Schwangerschaftswoche durch, wenn eine Frau darauf angewiesen war. Bereits 1993 war er bei einem Mordanschlag verwundet worden.
Der wenige Stunden nach dem Mord festgenommene mutmaßliche Mörder Scott Roeder war laut Medienberichten schon seit Jahren in der Antiabtreibungsbewegung aktiv. Er habe regelmäßig an Demonstrationen gegen Abtreibungen teilgenommen, habe rechtes Gedankengut vertreten und sympathisiere mit der rechtsextremen Freemen-Bewegung. Einen Tag vor dem mutmaßlichen Attentat habe er versucht, eine andere Abtreibungsklinik zu zerstören. 1996 war er wegen Besitz von Material zum Bombenbau zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Auf der Webseite der militanten Pro-life-Organisation Operation Rescue verglich er Tiller mit Josef Mengele, dem Naziarzt von Auschwitz.
Der feige Mord führte in der BRD zu entsetzten Reaktionen. Aber auch in Deutschland werden Menschen, die für sexuelle und reproduktive Rechte und die Selbstbestimmung von Frauen eintreten, nicht selten als Mörder bezeichnet, denn die „Lebensschützer” bedienen sich einer aufhetzenden Rhetorik und ignorieren die grundgesetzlich verbriefte Würde der Frau. Mit ihren fanatisch und missionarisch vertretenen Positionen schüren sie ein Klima von Hass, Verachtung und Gewalt.
Die Versuche, die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und Männern sie zu unterlaufen und zu diskreditieren, sind vielfältig. Ärzte, medizinische Zentren, Verbände und Beratungsstellen, die Frauen bei der Inanspruchnahme dieser Rechte unterstützen, sehen sich hasserfüllten Reaktionen ausgesetzt. Die katholische Internetplattform kreuz.net hatte nichts Eiligeres zu tun, als den ermordeten Arzt als „Mörder” hinzustellen. Sie zitierte Abtreibungsgegner, die schrieben: „Gestern traf ihn das Schicksal, das er Hunderttausenden von kleinen Buben und Mädchen bereitet hat, die auch gerne die Sonne gesehen hätten."
Die in Deutschland monatelang vor allem hinter den Kulissen der Öffentlichkeit geführte politische Auseinandersetzung um das Gesetz, das einen Abbruch mit medizinischer Indikation erschweren soll, liegt gerade hinter uns. Am 13.Mai 2009 beschloss der Bundestag mehrheitlich die Verschärfung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Zur Freude der „Lebensschützer” Denn nun müssen Ärzte zusätzliche Auflagen erfüllen, wodurch ihre Bereitschaft, eine medizinische Indikation auszustellen, weiter sinken wird.


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