SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 13

Ausgeschlachtet und verjubelt

Warum Arcandor in die Insolvenz geht und was stattdessen möglich wäre

von Helmut Born

Der Warenhauskonzern Arcandor (Karstadt, Quelle, Cook) ging nicht wegen der Finanzkrise pleite — oder doch? Die Mechanismen waren jedenfalls dieselben: Der Druck zur Kapitalkonzentration und das Heuschreckengebahren des geschassten Vorsitzenden.
Im vergangenen Mai beantragte der Vorstand des Handels- und Touristikkonzerns Arcandor bei der Bundesregierung eine Bürgschaft für einen am 12.Juni zu verlängernden Kredit der Royal Bank of Scotland, Commerzbank und Bayerischen Landesbank über 620 Millionen Euro. Die Zeit schien günstig: Die Bundesregierung hatte gerade mit Bürgschaften und direkter finanzieller Hilfe Opel vor der Pleite gerettet.
Doch die Situation bei Arcandor ist eine andere als bei Opel. Ging es bei Opel auch darum, einen Automobilhersteller aus dem amerikanischen Autokonzern GM wieder herauszulösen und damit die Konkurrenz zu schwächen, will die Bundesregierung bei Arcandor, wie die Kanzlerin verlauten lies, eine „privatwirtschaftliche Lösung” durchsetzen.
Privatwirtschaftlich heißt in diesem Fall, dass der Metro-Konzern, mehrheitlich im Besitz der Familie Haniel, Interesse an der Übernahme eines großen Teil der Karstadt-Warenhäuser signalisiert hat.
Dazu muss man wissen, dass der Metro-Vorstandsvorsitzende Cordes Mitglied im CDU-Wirtschaftsrat ist und über ausgezeichnete Beziehungen zur größeren Regierungspartei verfügt. Cordes wiederum möchte gerne die zum Metro-Konzern gehörende Kaufhof-Gruppe loswerden, da sie nicht mehr zu den strategischen Geschäftsfeldern gehört, sprich eine Nummer zu klein ist für einen der größten europäischen Handelskonzerne. Er schlug vor, Kaufhof und Karstadt zu einer „Deutschen Warenhaus-AG” zu verschmelzen, an der Metro und Arcandor jeweils eine Minderheitsbeteiligung halten sollen.
Zum Arcandor-Konzern gehören auch das Versandhaus Quelle, mit einer Menge Tochterunternehmen, und der Touristikkonzern Thomas Cook. Arcandor ist eine neue Bezeichnung für die Konzernholding, die sich der vor kurzem geschasste ehemalige Vorstandsvorsitzende, Thomas Middelhoff, hatte kreieren lassen. Die vormalige Bezeichnung Karstadt-Quelle-Konzern war ihm nach dem Verkauf mehrerer Geschäftsfelder wohl zu bieder, ein neuer, kreativer Name sollte her.
Die Hauptaktionärin von Arcandor, Madeleine Schickedanz, hatte Middelhoff 2004 geholt, um den Konzern zu sanieren. Middelhoff war zwei Jahre zuvor im Unfrieden von Bertelsmann geschieden und hatte zwischenzeitlich für eine Heuschrecke gearbeitet. Trotz vieler Verkäufe und Tricks — die Unternehmen Neckermann, Runners Point, Golf House, 60 kleinere Warenhäuser und alle Immobilien wurden verkauft — ist Middelhoff bis zu seinem Ausscheiden die Sanierung von Arcandor nicht gelungen.
2008 wies der Konzern einen Verlust von 280 Millionen Euro aus. Anfang dieses Jahres musste Middelhoff seinen Stuhl räumen und dem ehemaligen Telekom-Vorstand, Karl-Gerhard Eick, Platz machen.
Eick gilt in Unternehmerkreisen als ein Sanierer, der es versteht, Betriebsräte einzubinden. Dementsprechend lief auch die Kampagne um die beantragte Bürgschaft: Zuerst wurden der Gesamtbetriebsrat und die „Arbeitnehmervertreter” im Aufsichtsrat über die schwierige Situation des Konzerns informiert. Da die stellvertretende Vorsitzende von Ver.di, Margrit Mönig-Raane, im Aufsichtsrat von Arcandor sitzt, mussten dort die Weichen gestellt werden. Das war nicht schwer, hat Ver.di doch ein Interesse am Erhalt von Arcandor. Von da an war es nicht mehr weit, auch die Betriebsräte für die Idee der Bürgschaft zu gewinnen.

Ver.di fällt nichts ein

Leider haben weder Ver.di noch die Betriebsräte weitergehende Vorstellungen artikuliert. Keine Rede von einer anteiligen oder gesamten Verstaatlichung, von erweiterten Mitbestimmungsrechten oder gar von einer Kontrolle durch die Beschäftigten. Stattdessen kritikloses Befolgen der Linie des Vorstands, mit dem gemeinsam die Kundgebungen in Berlin und Düsseldorf organisiert wurden! Kein Wort der Kritik an der Arbeit des alten Vorstands unter Middelhoff, der diese Situation zu verantworten hat. Kein Wort darüber, dass die Beschäftigten schon zweimal mit Sanierungstarifverträgen zur Ader gelassen wurden. Keine Nachfrage, wo die 4 Mrd. Euro geblieben sind, die durch den Verkauf der Immobilien erzielt wurden. Dass Middelhoff Anteile an dem Fonds besitzt, der die Immobilien gekauft hat, scheint nur für die Essener Staatsanwaltschaft interessant zu sein, die inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.
Die Bundesregierung lehnte den Antrag auf eine Bürgschaft letztendlich mit der Begründung ab, die Situation bei Karstadt sei nicht durch die Finanzkrise verursacht worden. Trotz Mahnwachen, Kundgebungen, Demonstrationen und über einer Million Unterschriften von Kunden konnte der Arcandor-Vorstand sein erstes Ziel nicht erreichen. Daraufhin ging er am 10.Juni in die Insolvenz und wird nun auf diesem Weg versuchen, den Konzern zu „sanieren."
Bei Arcandor kommen verschiedene Krisenmomente zusammen; es ist dieses Zusammentreffen, das bewirkt, dass eines der ältesten Handelsunternehmen in Deutschland verschwindet:
— die Krise im Einzelhandel, hervorgerufen durch sinkende Einkommen breiter Bevölkerungsteile, durch die ständige Ausdehnung der Verkaufsflächen und neue Verkaufsformen;
— die derzeitige Wirtschaftskrise, die zu Umsatzeinbußen im Einzelhandel und in der Tourismusbranche führt und mehrere Warenhäuser in die Pleite zu treiben droht (Woolworth, Hertie, Karstadt); dazu kommen wahrscheinlich Tausende kleiner Einzelhandelsunternehmen;
— die Finanzkrise, die alle drei Banken des Kreditkonsortiums für Arcandor stark gebeutelt hat — die Royal Bank of Scotland wurde für 25 Mrd. Euro verstaatlicht; die Commerzbank wurde von der Bundesregierung durch die Übernahme eines 1,8 Milliarden. Euro schweren Aktienpakets plus einer stillen Einlage in Höhe von 8,3 Mrd. Euro gestützt; die Bayern LB bekam eine Risikoabschirmung in Höhe von 6 Mrd. Euro — und die deshalb Risiken scheuen;
— die Krise der Gewerkschaften, denen nichts anderes mehr einfällt als den Erhalt kapitalistischer Unternehmen durch den Staat zu fordern.
Dass die Gewerkschaften keine gesellschaftliche Alternative auufzeigen, schlägt sich auch in den Köpfen der Beschäftigten nieder. Wo es nur noch um den Erhalt des Kaufhauses geht, gibt es keine Diskussion über Alternativen, die über die derzeitige Situation hinaus weisen.
Es gibt keine Debatte darüber, wie Einzelhandel unter gesellschaftlicher Verantwortung aussehen könnte. Keine Debatte, ob Handel getrieben werden soll, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen oder um die Profite großer Konzerne zu realisieren. Kaum noch eine Diskussion darüber, welche Produkte verkauft werden und von wem sie unter welchen Bedingungen hergestellt wurden. Keine Debatte darüber, dass Läden, die geschlossen werden sollen, von den Beschäftigten weitergeführt werden könnten.
Nicht nur in der Automobilindustrie muss über alternative Produktion und Eigentumsverhältnisse nachgedacht werden. Auch im Einzelhandel braucht es diese Debatte und eigenständiges Handeln. Gesellschaftliche Alternativen müssen von den Beschäftigten und ihren Organisationen durchgesetzt werden. Es wird Zeit, dass sie sich dieser Debatte stellen und Alternativen zum kapitalistischen Wahnsinn entwickeln.


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