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Der Warenhauskonzern Arcandor (Karstadt, Quelle, Cook) ging nicht
wegen der Finanzkrise pleite — oder doch? Die Mechanismen waren jedenfalls dieselben: Der
Druck zur Kapitalkonzentration und das Heuschreckengebahren des geschassten Vorsitzenden.
Im vergangenen Mai beantragte der
Vorstand des Handels- und Touristikkonzerns Arcandor bei der Bundesregierung eine Bürgschaft
für einen am 12.Juni zu verlängernden Kredit der Royal Bank of Scotland, Commerzbank und
Bayerischen Landesbank über 620 Millionen Euro. Die Zeit schien günstig: Die
Bundesregierung hatte gerade mit Bürgschaften und direkter finanzieller Hilfe Opel vor der
Pleite gerettet.
Doch die Situation bei Arcandor ist
eine andere als bei Opel. Ging es bei Opel auch darum, einen Automobilhersteller aus dem
amerikanischen Autokonzern GM wieder herauszulösen und damit die Konkurrenz zu schwächen,
will die Bundesregierung bei Arcandor, wie die Kanzlerin verlauten lies, eine
„privatwirtschaftliche Lösung” durchsetzen.
Privatwirtschaftlich heißt in
diesem Fall, dass der Metro-Konzern, mehrheitlich im Besitz der Familie Haniel, Interesse an der
Übernahme eines großen Teil der Karstadt-Warenhäuser signalisiert hat.
Dazu muss man wissen, dass der
Metro-Vorstandsvorsitzende Cordes Mitglied im CDU-Wirtschaftsrat ist und über ausgezeichnete
Beziehungen zur größeren Regierungspartei verfügt. Cordes wiederum möchte gerne
die zum Metro-Konzern gehörende Kaufhof-Gruppe loswerden, da sie nicht mehr zu den
strategischen Geschäftsfeldern gehört, sprich eine Nummer zu klein ist für einen der
größten europäischen Handelskonzerne. Er schlug vor, Kaufhof und Karstadt zu einer
„Deutschen Warenhaus-AG” zu verschmelzen, an der Metro und Arcandor jeweils eine
Minderheitsbeteiligung halten sollen.
Zum Arcandor-Konzern gehören
auch das Versandhaus Quelle, mit einer Menge Tochterunternehmen, und der Touristikkonzern Thomas
Cook. Arcandor ist eine neue Bezeichnung für die Konzernholding, die sich der vor kurzem
geschasste ehemalige Vorstandsvorsitzende, Thomas Middelhoff, hatte kreieren lassen. Die vormalige
Bezeichnung Karstadt-Quelle-Konzern war ihm nach dem Verkauf mehrerer Geschäftsfelder wohl zu
bieder, ein neuer, kreativer Name sollte her.
Die Hauptaktionärin von
Arcandor, Madeleine Schickedanz, hatte Middelhoff 2004 geholt, um den Konzern zu sanieren.
Middelhoff war zwei Jahre zuvor im Unfrieden von Bertelsmann geschieden und hatte zwischenzeitlich
für eine Heuschrecke gearbeitet. Trotz vieler Verkäufe und Tricks — die Unternehmen
Neckermann, Runners Point, Golf House, 60 kleinere Warenhäuser und alle Immobilien wurden
verkauft — ist Middelhoff bis zu seinem Ausscheiden die Sanierung von Arcandor nicht gelungen.
2008 wies der Konzern einen Verlust
von 280 Millionen Euro aus. Anfang dieses Jahres musste Middelhoff seinen Stuhl räumen und dem
ehemaligen Telekom-Vorstand, Karl-Gerhard Eick, Platz machen.
Eick gilt in Unternehmerkreisen als
ein Sanierer, der es versteht, Betriebsräte einzubinden. Dementsprechend lief auch die Kampagne
um die beantragte Bürgschaft: Zuerst wurden der Gesamtbetriebsrat und die
„Arbeitnehmervertreter” im Aufsichtsrat über die schwierige Situation des Konzerns
informiert. Da die stellvertretende Vorsitzende von Ver.di, Margrit Mönig-Raane, im
Aufsichtsrat von Arcandor sitzt, mussten dort die Weichen gestellt werden. Das war nicht schwer, hat
Ver.di doch ein Interesse am Erhalt von Arcandor. Von da an war es nicht mehr weit, auch die
Betriebsräte für die Idee der Bürgschaft zu gewinnen.
Leider haben weder Ver.di noch die Betriebsräte weitergehende Vorstellungen artikuliert.
Keine Rede von einer anteiligen oder gesamten Verstaatlichung, von erweiterten Mitbestimmungsrechten
oder gar von einer Kontrolle durch die Beschäftigten. Stattdessen kritikloses Befolgen der
Linie des Vorstands, mit dem gemeinsam die Kundgebungen in Berlin und Düsseldorf organisiert
wurden! Kein Wort der Kritik an der Arbeit des alten Vorstands unter Middelhoff, der diese Situation
zu verantworten hat. Kein Wort darüber, dass die Beschäftigten schon zweimal mit
Sanierungstarifverträgen zur Ader gelassen wurden. Keine Nachfrage, wo die 4 Mrd. Euro
geblieben sind, die durch den Verkauf der Immobilien erzielt wurden. Dass Middelhoff Anteile an dem
Fonds besitzt, der die Immobilien gekauft hat, scheint nur für die Essener Staatsanwaltschaft
interessant zu sein, die inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.
Die Bundesregierung lehnte den
Antrag auf eine Bürgschaft letztendlich mit der Begründung ab, die Situation bei Karstadt
sei nicht durch die Finanzkrise verursacht worden. Trotz Mahnwachen, Kundgebungen, Demonstrationen
und über einer Million Unterschriften von Kunden konnte der Arcandor-Vorstand sein erstes Ziel
nicht erreichen. Daraufhin ging er am 10.Juni in die Insolvenz und wird nun auf diesem Weg
versuchen, den Konzern zu „sanieren."
Bei Arcandor kommen verschiedene
Krisenmomente zusammen; es ist dieses Zusammentreffen, das bewirkt, dass eines der ältesten
Handelsunternehmen in Deutschland verschwindet:
— die Krise im Einzelhandel,
hervorgerufen durch sinkende Einkommen breiter Bevölkerungsteile, durch die ständige
Ausdehnung der Verkaufsflächen und neue Verkaufsformen;
— die derzeitige
Wirtschaftskrise, die zu Umsatzeinbußen im Einzelhandel und in der Tourismusbranche führt
und mehrere Warenhäuser in die Pleite zu treiben droht (Woolworth, Hertie, Karstadt); dazu
kommen wahrscheinlich Tausende kleiner Einzelhandelsunternehmen;
— die Finanzkrise, die alle
drei Banken des Kreditkonsortiums für Arcandor stark gebeutelt hat — die Royal Bank of
Scotland wurde für 25 Mrd. Euro verstaatlicht; die Commerzbank wurde von der Bundesregierung
durch die Übernahme eines 1,8 Milliarden. Euro schweren Aktienpakets plus einer stillen Einlage
in Höhe von 8,3 Mrd. Euro gestützt; die Bayern LB bekam eine Risikoabschirmung in
Höhe von 6 Mrd. Euro — und die deshalb Risiken scheuen;
— die Krise der
Gewerkschaften, denen nichts anderes mehr einfällt als den Erhalt kapitalistischer Unternehmen
durch den Staat zu fordern.
Dass die Gewerkschaften keine
gesellschaftliche Alternative auufzeigen, schlägt sich auch in den Köpfen der
Beschäftigten nieder. Wo es nur noch um den Erhalt des Kaufhauses geht, gibt es keine
Diskussion über Alternativen, die über die derzeitige Situation hinaus weisen.
Es gibt keine Debatte darüber,
wie Einzelhandel unter gesellschaftlicher Verantwortung aussehen könnte. Keine Debatte, ob
Handel getrieben werden soll, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen oder um
die Profite großer Konzerne zu realisieren. Kaum noch eine Diskussion darüber, welche
Produkte verkauft werden und von wem sie unter welchen Bedingungen hergestellt wurden. Keine Debatte
darüber, dass Läden, die geschlossen werden sollen, von den Beschäftigten
weitergeführt werden könnten.
Nicht nur in der Automobilindustrie
muss über alternative Produktion und Eigentumsverhältnisse nachgedacht werden. Auch im
Einzelhandel braucht es diese Debatte und eigenständiges Handeln. Gesellschaftliche
Alternativen müssen von den Beschäftigten und ihren Organisationen durchgesetzt werden. Es
wird Zeit, dass sie sich dieser Debatte stellen und Alternativen zum kapitalistischen Wahnsinn
entwickeln.
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