SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 19

Ist in der Krise noch genug Geld

für linke Zwecke da?

von Ingo Schmidt

„Geld ist genug da.” Über Jahre war dies die linke Antwort auf die neoliberale Behauptung, der zufolge leere Staatskassen zu Sozialabbau und unzureichende Unternehmensgewinne zu Lohnzurückhaltung zwingen.
Trotz unzulänglicher Daten zur Einkommens- und Vermögensverteilung konnten linke Ökonomen plausibel zeigen, dass öffentliche Armut mit der Explosion privaten Reichtums in den Händen einer kleinen Schar von Superreichen einherging.
Ebenso eindeutig war der Nachweis, dass die Unternehmensgewinne den unbegrenzt ins Kraut schießenden Gewinnerwartungen von Vermögensbesitzern und Börsenhändlern zwar hinterher hechelten, nach dem Rückgang in den 70er und frühen 80er Jahren aber wieder an Werte aus der Wirtschaftswunderzeit anknüpfen konnten. Diese Gewinnzunahme war umso bemerkenswerter, als die Wachstumsraten der 50er und 60er Jahre nicht wieder erreicht werden konnten; einzelne Branchen hatten mit Überkapazitäten zu kämpfen, und auf dem industriellen Profit lastete die Forderung nach steigenden Dividenden.
Als Ursache für diese Entwicklung konnte die Umverteilung zulasten der Arbeitseinkommen ausgemacht werden. Anders als in der Nachkriegszeit konnte Produktivitätswachstum nicht mehr in steigende Reallöhne übersetzt werden und floss daher in die Kassen privater Unternehmen. Obwohl ein steigender Anteil der Erlöse von dort in die Taschen der Besitzer von Finanzvermögen floss, konnte sich auch der industrielle Profit von seinem zeitweiligen Niedergang erholen.
Die Schlussfolgerung aus der Analyse war eindeutig: Geld ist genug da.
Daraus ergaben sich Forderungen: Statt den Ansprüchen der Aktionäre konnten Unternehmen ebenso gut gewerkschaftliche Lohnforderungen erfüllen und trotzdem weiterhin eine großzügige Profitrate erzielen. Private Finanzvermögen konnten zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben herangezogen werden, statt Börsenumsätze, Spekulationsblasen und letztlich Finanzkrisen zu fördern. Anlage suchendes Kapital konnte von der Börse und aus privaten Schuldverschreibungen abgezogen und in Kredite oder sogar in Steuern an die öffentlichen Haushalte umgelenkt werden — damit wurde nicht nur die Gefahr von Finanzkrisen vermindert, es konnten im öffentlichen Sektor auch Arbeitsplätze geschaffen werden, die zur Schaffung zusätzlichen Reichtums beitragen würden.
Aus steigenden Reallöhnen ergab sich eine steigende Massenkaufkraft, die ihrerseits für steigende Wachstumsraten gesorgt hätte.

Begrenzte Resonanz

So schlüssig diese Argumentation auch war, ihre Resonanz blieb begrenzt. Industrie- und Finanzkapital ließen sich durchaus nicht, wie im linkskeynesianischen Expansionsprogramm vorgesehen, gegeneinander ausspielen, weil Produktionsmittelbesitzer in aller Regel auch groß im Finanzgeschäft aktiv sind und an der Durchsetzung neoliberaler Akkumulationsstrategien tätigen Anteil haben.
Gewerkschaften bedienten sich zwar gern der linkskeynesianischen Rhetorik, wollten aber im entscheidenden Augenblick bei Tarifverhandlungen nicht die Reste ihrer sozialpartnerschaftlichen Verbindungen ins Unternehmerlager auf dem Altar steigender Löhne und Massenkaufkraft opfern. Umweltschützer kritisierten, dass linkskeynesianische Wachstumsprogramme nicht mit dem notwendigen Übergang zu einer ökologischen Produktionsweise vereinbar seien, und radikale Linke mochten der Klassenkollaboration keine zweite Chance geben.
Solche Einwände hinderten allerdings weder die Aktivisten neuer sozialer Bewegungen noch die kleine Schar radikaler Linker an dem gelegentlichen Versuch, ihren jeweiligen Forderungen mit dem linkskeynesianischen Ceterum Censeo Nachdruck zu verschaffen: Geld ist genug da.
Bevor sich aus dieser Gemengelage eine politisch wirkungsvolle Einheitsfront gegen den Neoliberalismus durchsetzen konnte, war die Wirtschaftskrise da. In deren Folge wurden riesige Finanzvermögen vernichtet und erhebliche öffentliche Gelder zur Eindämmung der finanziellen Kernschmelze ausgegeben.
Selbst Prognostiker, die für das nächste oder übernächste Jahr einen Wirtschaftsaufschwung versprechen, gehen davon aus, dass die Unternehmensgewinne mangels Umsatz auf absehbare Zeit sehr niedrig ausfallen werden.
Zudem ist ein sozialpsychologischer Effekt zu beachten: Vor der Krise überführte der demonstrative Luxuskonsum von Vermögensbesitzern, Industriellen und ihren Führungskadern deren gegenüber Gewerkschaften, Sozialverbänden und Finanzministern ständig behauptete Geldknappheit der Lüge — und trug damit erheblich zum Legitimationsverlust des Neoliberalismus bei.
In der Krise aber klingt das Argument, angesichts der Vermögens- und Unternehmensverluste, der Berge von alten und neuen Schulden sei für Löhne oder soziale und ökologische Wohlfühlprogramme kein Geld da, viel überzeugender, als vor dem Ausbruch Krise. Wenn im Herzen des Kapitalismus Finanzgiganten wie Lehman Brothers und Industriekonzerne wie General Motors den Gang zum Konkursrichter antreten, muss es um die internationale Bourgeoisie schlecht bestellt sein. Fast hat man den Eindruck, die Eigentümer von Finanzvermögen und Produktionsmitteln seien von der Krise viel stärker betroffen als die Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz oder Teile ihrer Löhne und Sozialversicherungen verlieren. Der Eindruck wird noch dadurch unterstrichen, dass der Luxuskonsum gegenwärtig weniger einer gaffenden Öffentlichkeit demonstriert, als hinter verschlossenen Türen genossen wird.

Geld ist nicht alles...

Folgt daraus, dass nach Ausbruch der Krise nicht mehr genug Geld da ist, um steigende Löhne, Sozialleistungen, öffentliche Infrastruktur und vielleicht sogar den Übergang zu einer ökologischen Produktionsweise zu finanzieren?
Ein Blick auf die Börsenkurse lässt vermuten, dass zumindest zum Spekulieren immer noch genug Geld da ist. Beherzte Interventionen von Finanzministern und Zentralbanken konnten die vollständige Entwertung von Finanzvermögen verhindern.
Wie die dabei aufgelaufenen Staatsschulden zurückgezahlt werden, bereitet Vermögensbesitzern keine Sorge. Sozialpartnerschaftlich begründete Forderungen: „Wenn Geld zur Rettung von Finanzvermögen da ist, muss auch etwas für den Sozialstaat abfallen”, werden schon jetzt durch eine „Schuldenbremse” ausgebremst.
Aus der Reservierung der Staatskasse für die Sanierung von Finanzvermögen und Profiten folgt freilich noch lange nicht, dass die Kredite irgendwann einmal zurückgezahlt werden können. Sollte es statt zu einem Aufschwung zu anhaltender Stagnation kommen, werden die dafür aufgenommenen Staatsschulden ebenso zu „Abschreibungsfällen” wie die Kredite, die in der Vergangenheit spekulative Börsengeschäfte finanziert und die gegenwärtige Krise schließlich herbeigeführt haben.
Doch soweit mögen Vermögensbesitzer und Industrielle nicht in die Zukunft sehen. Augenblicklich sind sie froh, den Börsenkrach mit einem blauen Auge überstanden zu haben. Fürs erste fühlen sie sich als Krisengewinnler, die ihr gerade noch vor dem Untergang gerettetes Geld fleißig an der Börse investieren.
Ob dahinter der Glaube an einen künftigen Aufschwung oder bloß der Mut der Verzweiflung steckt, mag dahingestellt bleiben. Aus der gegenwärtigen Börseneuphorie bereits Anzeichen für einen dauerhaften Aufschwung herauslesen zu wollen, scheint kühn — bestenfalls handelt es sich um ein kurzes Zwischenhoch durch Auffüllung von Lagerbeständen, und die beginnende Stagnation hat schon wieder eine neue Blase herbeigeführt.
Wichtiger für die Linke ist, dass die Krisengewinne gegenwärtig zulasten der Arbeiterklasse und der Natur eingefahren werden, ist die Frage nach dem Geld für soziale und ökologische Zwecke.
Wie heutige und frühere Finanzkrisen zeigen, kann sich Geld als flüchtige Illusion erweisen. An einem Tag reicht die Hoffnung auf neue Börsenrekorde, um der Bank einen Kredit aus dem Rücken zu leiern, am andern Tag fordert die Bank Rückzahlung in bar. In einer modernen Geldwirtschaft ist natürlich nicht viel Bares in der Kasse und lässt sich auch nicht auftreiben, wenn über Nacht alle Kreditnehmer um Barzahlung gebeten werden — außer der Staat hilft kurzfristig aus.
In diesem Geschäft wird die Arbeiterklasse die letzte sein, die kurzfristig Geld auftreiben kann, weil sie von vornherein die eigentumslose Klasse sind.
Aus diesem Grund sollte die Linke weniger nach dem Geld sehen als nach den sozialen Verhältnissen, die das Geld im Kapitalismus repräsentiert. Nach Marx ist Geld allgemeiner Wertausdruck. Dieser Wert wird von den besitzlosen Klassen geschaffen, der darin enthaltene Mehrwert von den Vermögens- und Produktionsmittel besitzenden Klassen angeeignet.
Wenn das stimmt, geht es nicht darum, Geld in die Hand zu bekommen, sondern die Produktions- und Lebensbedingungen in die eigenen Hände zu nehmen.


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