SoZ - Sozialistische Zeitung |
Kann das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort auf die
Krise sein? Ist es nicht besser, jedem ein Exstenzgeld zu geben, statt Arbeitsplätzen
hinterherzujagen, die doch nicht zu halten sind? Die Mai-Ausgabe der SoZ hat mit
Beiträgen von Wolfgang Ratzel einen Aufschlag gemacht, der als Gewerkschafter der
Forderung ablehnend gegenübersteht. In dieser Ausgabe erteilen wir prekär lebenden
Akademikern das Wort, unter denen die Forderung populär ist. JAN OLE ARPS ist Politologe
und Mitglied der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) in Berlin.
In meiner Vorstellung von
einer sozialistischen Gesellschaft steht die gesicherte Existenz jedes Menschen vor der
Pflicht zu arbeiten. Die Produktion für einen gesellschaftlichen Bedarf (statt für
einen anonymen Markt) schließt die Auseinandersetzung darüber ein, was gebraucht
wird und sinnvoll ist - und wie man „die Arbeit” daran so organisieren kann, dass
sie Spaß macht. Schädliche oder unbestreitbar überflüssige Dinge
würden nicht mehr hergestellt, gesundheitsschädliche oder verdummende
Arbeitsprozesse abgeschafft — hoffe ich wenigstens.
Diesen Gedanken enthält
auch das Existenzgeld (oder bedingungslose Grundeinkommen): Es würde allen Menschen
ermöglichen, ihre Fähigkeiten nach eigenem Ermessen einzusetzen, anstatt sich dem
Zwang unterzuordnen, ein marktfähiges Produkt zu schaffen.
Ein Existenzgeld würde
deshalb hervorragend zu meiner aktuellen Situation als Freiberufler passen. Als Politologe
ohne feste Berufsperspektive bin ich Teil des „akademischen Prekariats”
Während meines Studiums hat politischer Aktivismus einen großen Teil meiner Zeit
ausgefüllt. Das kann ich mir jetzt immer weniger erlauben. Nicht nur weil ich gern mehr
Zeit hätte, bin ich ein Anhänger des Existenzgelds. Wenn ich als Politologe arbeiten
möchte, ohne Verbrechen zu begehen oder mich an Projekte zu verkaufen, die ich als Linker
ablehne, sind meine Möglichkeiten doch sehr begrenzt. Ein Existenzgeld würde mir die
Entscheidung gegen manche Jobs erleichtern.
An dieser Stelle ist
vielleicht eine kurze Verständigung darüber notwendig, was ich unter Existenzgeld
oder einem bedingungslosen Grundeinkommen verstehe. Ich habe kein exaktes Modell in der
Tasche, aber ich meine mit Existenzgeld eine Zahlung, die jeder Mensch erhält, ohne
Prüfung des Bedarfs, und zwar in einer Höhe, die nicht nur das Überleben,
sondern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sichert. Die Summe von 1500 Euro, die in
verschiedenen Modellen genannt wird, scheint mir da ganz passend. Zugleich gehört
für mich zum Existenzgeld auch eine radikale Verkürzung der Normalarbeitszeit (auf
bspw. 30 Stunden pro Woche) sowie — damit das Grundeinkommen nicht zur Subvention eines
Niedriglohnsektors wird — die Einführung eines Mindeststundenlohns von sagen wir
zehn Euro netto, zusätzlich zum Existenzgeld.
Dass das illusorisch ist,
braucht mir keiner zu erzählen. Wenn sich im Sozialstaat ein Kräfteverhältnis
zwischen Kapital und Arbeit ausdrückt (nämlich die Frage, ob eine bestimmte
Regulierung nötig ist, um die Arbeitskraft politisch ruhig zu stellen und in die
Produktion zu integrieren), dann können wir wohl davon ausgehen, dass das Existenzgeld in
nächster Zeit nicht auf der Tagesordnung steht. Insofern hat es derzeit keinen Charakter
einer realen politischen Forderung — eher einer Utopie, die dabei hilft zu denken, was
alles sein könnte.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich halte das Existenzgeld nicht schon für den
Sozialismus. Denn dazu würde gehören, dass nicht nur für die materielle
Versorgung gesorgt, sondern auch die Produktion gesellschaftlich organisiert ist. Umgekehrt
ist das Existenzgeld mit keinem Kapitalismus vereinbar. Es ist ein Blick darauf, was
(technisch) möglich wäre, politisch aber nicht ist. Gerade, weil es diesen
Widerspruch enthält, gefällt mir die Forderung.
Ich begreife das Existenzgeld
also als eine Richtungsforderung. Sie zielt darauf, das Leben dem Zwang zur Verwertung zu
entziehen bzw. den Zugriff des Kapitals auf das Leben und die Arbeitskraft
einzuschränken. In diesem Sinne markiert die Existenzgeldforderung für mich die
Richtung, in die die Reise gehen muss. Das hat seinen Sinn auch in 99,9% der Kämpfe, in
denen die Forderung gar keine Rolle spielt. Ich unterstütze alles, was in diese Richtung
geht, etwa die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 500 Euro, um ein Beispiel zu nennen.
Dass die Forderung nach einem
Existenzgeld derzeit in keine (oder nur sehr marginale) gesellschaftliche Kämpfe und
Bewegungen eingebettet ist, ist nicht zu übersehen. Eine Forderung kann solche Bewegungen
auch nicht erzeugen. Mir ist sie dennoch wichtig, denn ich bin von der Notwendigkeit
überzeugt, dass Linke nicht nur aus einer politischen Analyse, sondern auch von ihrer
eigenen sozialen Position aus für Verbesserungen kämpfen müssen. Die Forderung
nach einem bedingungslosen Existenzgeld ermöglicht es mir, mich als prekärer
Akademiker mit inhaltlichem Anspruch an seine Arbeit (und nicht nur als Träger einer
politischen Meinung) auf andere Kämpfe zu beziehen.
Auf eine beliebte linke Kritik am Existenzgeld möchte ich noch eingehen. Der
Grundeinkommensforderung wird immer wieder vorgeworfen, den Klassenwiderspruch zu verschleiern
— und dazu noch aus dem durch kapitalistische Ausbeutung erwirtschafteten Reichtum
bezahlt zu werden. Der an den Staat gerichteten Forderung wird dann gern der Kampf am
Arbeitsplatz entgegengestellt, in dem die Arbeitskraftverkäufer sich als direkte
Kontrahenten des Kapitals erlebten und „Klassenbewusstsein” entwickelten. Diese
Kritik übersieht meines Erachtens, dass Verteilungskämpfe immer auch
Klassenkonflikte sind, egal wo sie stattfinden. Es spielt keine Rolle, ob man einem
Unternehmen einen Teil des kapitalistisch angeeigneten Mehrwerts durch höhere
Lohnzahlungen oder durch höhere Sozialabgaben wegnimmt.
Zum anderen entgeht diesen
Kritikern, dass ein großer Teil der Arbeitsplätze (mein eigener eingeschlossen)
heute so vereinzelt ist, dass Lohnkämpfe dort kaum möglich sind. Sonst würde es
sie ja vermutlich geben. In dieser Situation scheint mir die Grundeinkommensforderung
sinnvoll, da sie es verschiedenen Gruppen von Lohn-, Gehalts- und Honorarabhängigen
ermöglicht, sich gemeinsam als solche zu begreifen. Wie daraus ein politischer Kampf
werden kann, das steht auf einem anderen Blatt.
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