SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der Titel ist aus journalistischen Gründen gewählt und
eigentlich irreführend. Zum einen gibt es überhaupt keine im politischen Sinn
revolutionäre Musik — weder in Afrika noch sonstwo. Soweit die Formenwelt der Musik
gemeint ist, kann „revolutionär” nur den Bruch mit tradierter Ästhetik
bedeuten, und das kann, wie bspw. die sehr unterschiedlichen Positionen der Vertreter des
Futurismus im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts deutlich gemacht haben,
für gegensätzliche politische Ziele genutzt werden, oder besser: mit solchen
verbunden werden. „Revolutionär” sind höchstens die Texte zur Musik.
Dass etwa Leo Trotzki umfassend zur Literatur schrieb, aber die Musik ignorierte, hat genau
damit zu tun.
Das alles ist in Afrika nicht
anders, aber hier — gemeint ist insbesondere „Schwarzafrika” — sind
Musik und der mit ihr verbundene Tanz, ebenso wie die Bildhauerei/Holzschnitzerei,
überall verbreitete, tradierte Kunstarten. Die Musik stand in den fast ausnahmslos
illiteraten Gesellschaften im Zentrum; darüber wurden auch konkrete Inhalte
transportiert.
In religiösen Kulten wie
dem Voodoo in Dahomey (heute Benin) werden durch das Schlagen bestimmter Trommeln und Rhythmen
gewisse Götter an- und in die Mitglieder des Kults hineingerufen. Andernorts werden
Botschaften durch Trommeln über größere Entfernungen hinweg überbracht.
Und vor allem in staatlich organisierten Gesellschaften werden dynastische Epen und andere
Arten letztlich politischer Botschaften von spezialisierten „Barden” (im
Kulturbereich der Mande in Westafrika unter dem Namen „griots” bekannt) meist mit
konservativer Zielsetzung zur Musik, z.B. der Kora, vorgetragen.
Angesichts des bis heute
grassierenden Analphabetismus ist es offensichtlich, dass hier die über Musik
transportierte kognitive Botschaft eine wesentlich größere soziale Bedeutung hat als
etwa im heutigen Europa, und dass angesichts der unvergleichlich katastrophaleren
gesellschaftlichen und politischen Zustände Künstler mit einer sozialen und
politischen Botschaft eine wesentlich größere Popularität genießen
können.
Natürlich wollen auch in
Afrika die Menschen in erster Linie keine politischen Botschaften hören, sondern von der
Musik unterhalten werden, dazu tanzen und emotional von ihr angesprochen werden. Dennoch kann
hier Musik, oder besser: können hier Lieder und deren Interpreten, die sich (auch) offen
gegen soziale und politische Missstände wenden, viel leichter aus einem subkulturellen
Ghetto ausbrechen als in Europa.
In den beiden Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten
haben insbesondere antiimperialistische populistische Regime Sänger genutzt, um den
antikolonialen Kampf der Vergangenheit und den von ihnen zumindest verbal vertretenen
Panafrikanismus der Gegenwart zu glorifizieren und zu propagieren.
So genoss etwa in Guinea der
aus einer Griot-Familie stammende Kouaté Sory Kandia die Förderung von
Staatspräsident Sékou Touré, dessen Partei PDG er, sich mit der Kora
begleitend, ebenso besang wie die antikolonialen Taten von El Hadj Omar, einer der Vorfahren
Sékou Tourés.
Nachdem die großen
„Väter der Nation” gestürzt wurden und eher einen schalen Beigeschmack
hinterlassen haben, ist es mit der regimebejahenden Musik weitgehend vorbei — ebenso wie
mit dem „Antiimperialismus” der afrikanischen Führer. Seitdem ist eine
wachsende Zahl afrikanischer Musiker eher ins oppositionelle Lager abgewandert und musste sich
damit abfinden, ein gefährliches Leben zu führen.
Der wohl bekannteste „revolutionäre” Musiker Afrikas ist der verstorbene
Fela „Anikulapo” Kuti. Fela führte zunächst in Nigeria eine High-Life-
Band. Nach einer Konzerttournée in den USA, musikalisch beeinflusst von Soul und Funk und
ideologisch von den Black Panthers, wurde er in den 70er Jahren unter dem Militärregime
zu einem oppositionellen Volkshelden und (zusammen mit dem Drummer Tony Allen) Schöpfer
eines neuen Stils, des „Afro Beat”
In seinen auf Pidgin English,
der plebejischen Lingua Franca Nigerias und anderer ehemaliger britischer Kolonien
Westafrikas, gesungenen Songs griff er ganz offen die Militärmachthaber, aber auch die
hinter diesen stehenden multinationalen Konzerne an — so in dem 1980
veröffentlichten Stück „ITT 2” Sein „unabhängiges
Kulturzentrum”, wo er mit einer Anzahl Frauen, Kindern, den Musikern seiner Bigband und
weiteren Anhängern residierte, wurde schließlich vom Militär auf brutalste
Weise geschleift. Er selbst starb später an Aids. Seit 2008 hat seine Musik auch
außerhalb Afrikas wachsendes Interesse gefunden.
Die malische Sängerin Oumou Sangaré, die 1989 mit ihrem ersten Album Mousoulou
(Frauen) gegen Polygamie und Mädchenbeschneidung ansang und damals eine Vielzahl
gefährlicher Drohungen von reaktionären Kräften erhielt, wurde, da sie sich
ansonsten politischer Angriffe auf die Machthaber enthielt, 2003 zur Botschafterin der UN-
Welternährungsorganisation (FAO) ernannt. Im Zusammenhang mit ihrem Anfang des Jahres
erschienenen neuen Album Seya (Lebensfreude) erklärte sie: „Die Botschaft wird
immer in meiner Musik an erster Stelle stehen."
Die Botschaft nimmt naturgemäß auch bei vielen Musikern der jüngeren
Generation, die sich afrikanischen Formen des HipHop verschrieben haben, eine wichtige Stelle
ein. So heißt es bspw. im Song Nyelaka (Help!) des Duos Coal Citys Finest aus
Enugu und Südostnigeria:
"Whos responsible
for bomb blasts, the masses react
Against the leadership, with
false promises of scholarships
Better road networks, clinics
in rural areas
No power policies just paper
work and mad embezzlement of oil proceeds
Lets proceed in judging
these thieves..."
("Wer ist verantwortlich
für die Bomben, die Massen reagieren gegen die Obrigkeit mit ihren falschen
Versprechungen von Stipendien, besseren Straßen, Kliniken in ländlichen Gebieten.
Keine Machtpolitik, nur Bürokratie und abgedrehte Unterschlagung der Ölprofite.
Lasst uns über diese Diebe zu Gericht sitzen...")
In einer ebenso sozialen und sich selbst teilweise als revolutionär verstehenden
Tradition stehen viele afrikanische Reggae-Künstler. In der Elfenbeinküste, obwohl
eine ehemalige französische Kolonie, ist Reggae seit Alpha Blondy — seit den 80er
Jahren die lokale Ausgabe von Bob Marley — extrem populär.
Ein neuerer Vertreter des
Genres, der Sänger Kajun, wies darauf hin: „Aber hier spielte man, als die Armee
die Macht übernahm, [im Radio] Reggae, weil in unserem Land der Reggae als die Musik des
Wandels bekannt ist, die Musik des Kampfes.” Während des inzwischen eingestellten
Bürgerkriegs fand allerdings auch eine Art Musikerkrieg statt zwischen Reggae-Musikern,
die Staatspräsident Gbagbo unterstützten, und solchen, die es mit seinen Gegnern im
Norden hielten.
Der zusammen mit Alpha Blondy
wohl bekannteste afrikanische Reggae-Künstler war Südafrikas Lucky Dube.
Während Südafrikas bekannteste Sängerin Miriam Makeba ihren politischen Kampf
gegen die Apartheid, d.h. die rassistische Unterdrückung der schwarzen Mehrheit des
Landes, führte, widmete sich der erst 1964 geborene Lucky Dube nach dem Ende des
Apartheidregimes vor allem den weiter bestehenden und sich zum Teil verschärfenden
sozialen Problemen der neuen Gesellschaft mit Titeln wie „Crime & Corruption”,
„Slave” oder „Prisoner” Er selbst wurde am 19.10.2007 Opfer von
Straßenräubern — eines der zunehmenden Probleme im Nachapartheidstaat.
Der neben Fela
möglicherweise bekannteste afrikanische Sänger, der unmittelbar Opfer staatlicher
Willkür wurde, ist aber Lapiru de Mbanga, der im „Makossa"-Stil singt, der mit
der in Afrika überall verbreiteten kongolesischen Tanzmusik verwandt ist. Er wurde im
September 2008 in Kamerun zu drei Jahren Haft verurteilt. Angeblich hatte er an
Demonstrationen gegen Präsident Paul Biya teilgenommen — er selbst leugnet das
—, als sich dieser nach einer 25-jährigen, von Korruption und Krise geprägten
Herrschaft, durch eine Verfassungsänderung eine weitere Amts- und Pfründezeit
verschaffen wollte.
Lapiru de Mbanga steht an der
Spitze der im ganzen Land bekannten Künstler, die sich als „Krieger gegen die
Korruption” betätigen. Nach den viertägigen gewaltsamen Demonstrationen im
Februar hat das Schicksal einer ganzen Reihe von Journalisten nun auch die bis dahin durch
ihre Popularität geschützte Sänger ereilt.
Die Tatsache, dass Sänger
mit derartigen Botschaften, deren Auftreten und Musik ansonsten nichts Subkulturelles an sich
haben, wie das oft im Westen für „revolutionäre” Künstler typisch
ist, derart zu Publikumslieblingen geworden sind — hier vielleicht vergleichbar mit
Grönemeyer, Heino oder Udo Jürgens —, zeigt die Isolation der herrschenden
Klasse, die sich immer mehr auf die bewährte Kombination aus Repression und dem Fehlen
einer politisch organisierten Alternative stützt.
Das Fehlen der politischen
Alternative allerdings schlägt sich auch in den Liedern der genannten und vieler weiterer
ähnlicher Künstler nieder. Ihr Horizont mischt in unterschiedlichen Varianten
bürgerlichen Demokratismus, afrikanischen Nationalismus und Antiimperialismus.
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