SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 25

Ende der Vertretung, Dokumentarfilm

BRD 2009, Regie: Bärbel Schönafinger

von Angela Huemer

Der Fall Emmely hat im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht. Aufgrund der angeblichen „Aneignung” eines Getränkebons von wenig mehr als einem Euro wurde eine Verkäuferin — Emmely (Pseudonym der Betroffenen) — der Supermarktkette Kaiser‘s entlassen. Das Arbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung, denn ein Verdacht ist laut Arbeitsrecht Grund genug für eine Entlassung. Tatsächlicher Grund für die Kündigung war die Tatsache, dass sie in ihrer Kaiser‘s-Filiale einen Streik organisiert hatte, Teil des Einzelhandelsstreiks, der sich von Ende 2007 bis Mitte 2008 hinzog.
Bärbel Schönafinger begleitete diesen Streik filmisch und gibt den Betroffenen damit ein Gesicht und eine Stimme. Die gebürtige Südtirolerin hat nach ihrem Sprachphilosophiestudium lange Jahre Erfahrungen im Film- und Fernsehbereich gesammelt. 2000 gründete sie mit Volker Moritz kanalB, eine Internetplattform für sozialkritische dokumentarische Videoarbeiten. Seit einigen Jahren macht sie eigene Filme, darunter den Kurzfilm Scham über den Armutsbericht der Bundesregierung, und Des Wahnsinns letzter Schrei (zusammen mit Tanja von Dahlern) über die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und die politischen Ursachen dafür.
Zu Beginn stellen sich einige der Protagonistinnen vor, Frauen, die schon lange Jahre im Einzelhandel tätig sind und den Mut aufbringen, aktiv um mehr Lohn zu kämpfen. Im Auftakt erfahren wir auch, dass von 2000 bis 2006 die Löhne im Einzelhandel um 11,4%, die Gewinne jedoch um 64,3% angestiegen sind. Dabei steigt der Druck auf die Verkäuferinnen. Viele sind nur für 20, 15 oder sogar nur 10 Stunden pro Woche angestellt. Trotz ihres niedrigen Lohns wird erwartet, dass sie „parat” stehen, also bereit sind, einzuspringen, wenn Not am Mann ist — wodurch es noch schwerer ist, einer finanziell absolut notwendigen zweiten Tätigkeit nachzugehen.
Der Film ist ehrgeizig, er versucht, klassisch dokumentarisch den Streik zu begleiten und gleichzeitig die komplexen Zusammenhänge rundherum deutlich zu machen. Meist gelingt das. Die Einblicke in die Dynamiken des Streiks sind sehr interessant, vor allem wenn man sieht, wie eine solche Streikaktion tatsächlich organisiert wird und wie das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Streikenden funktioniert (bzw. nicht funktioniert).
In einem wesentlichen Moment des Films sehen wir, wie die Tarifkommission, zusammengesetzt aus Betriebsräten, entscheidet, den Streik in der Woche vor Weihnachten auszusetzen, um den Arbeitgebern Zeit zu geben, einen Vorschlag zu machen. Die Streikenden selber sind eindeutig gegen die Unterbrechung, trotzdem entscheiden ihre Vertreter dafür. Diese Momente der Hinterfragung der Effizienz und Sinnhaftigkeit überkommener gewerkschaftlicher Struktur und Arbeit gehören zu den stärksten des Films. Auch der Titel des Films wird dadurch klar, Ende der Vertretung — er behandelt nämlich die Frage, ob der offensichtliche Misserfolg der Tarifverhandlungen (3 statt der geforderten 6% Lohnerhöhung und Streichung der Samstagszulagen) nicht die gewerkschaftliche Arbeit, die „Vertretung”, grundlegend in Frage stellt.
Bärbel Schönafinger widersteht fast durchwegs der Versuchung, explizit Stellung zu beziehen. Die Solidaritätsaktionen linker Gruppen im Rahmen des Mayday (und nicht nur) sind spannend, vor allem die Aktion vor dem Supermarkt, als Demonstrierende versuchen, Kunden am Streik zu beteiligen. Die Interviews mit einigen der Aktivisten lenken jedoch vom Thema des Films etwas ab, vielleicht deshalb, weil es ohnehin viele Protagonisten gibt.
Sehr klug setzt Bärbel Schönafinger den gesprochenen Kommentar ein. Am Ende wünscht man sich, dass dies der erste Film von vielen über das Thema sein möge.
Zu sehen ist der Film online auf www.kanalB.org (dort kann auch eine DVD gekauft werden). Die nächsten Vorführtermine sind: 6.Juli, 21 Uhr, b_books, Lübbenerstr.11, Berlin; 9.Juli, 19.30 Uhr Metroproletan, Eberhardshofstr.11, Nürnberg; 10.Juli, 19.30 Uhr, Kulturladen „Die ganze Bäckerei”, Reitmayrgässchen 4, Augsburg; 11.Juli, 19 Uhr Kulturladen Westend, Ligsalzstr.44, München; 18.Juli, 17 Uhr, Uni Bremen, streik-adacemy, Plantage 13.


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