SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der Fall Emmely hat im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht.
Aufgrund der angeblichen „Aneignung” eines Getränkebons von wenig mehr als
einem Euro wurde eine Verkäuferin — Emmely (Pseudonym der Betroffenen) — der
Supermarktkette Kaisers entlassen. Das Arbeitsgericht bestätigte diese
Entscheidung, denn ein Verdacht ist laut Arbeitsrecht Grund genug für eine Entlassung.
Tatsächlicher Grund für die Kündigung war die Tatsache, dass sie in ihrer
Kaisers-Filiale einen Streik organisiert hatte, Teil des Einzelhandelsstreiks, der sich
von Ende 2007 bis Mitte 2008 hinzog.
Bärbel Schönafinger
begleitete diesen Streik filmisch und gibt den Betroffenen damit ein Gesicht und eine Stimme.
Die gebürtige Südtirolerin hat nach ihrem Sprachphilosophiestudium lange Jahre
Erfahrungen im Film- und Fernsehbereich gesammelt. 2000 gründete sie mit Volker Moritz
kanalB, eine Internetplattform für sozialkritische dokumentarische Videoarbeiten. Seit
einigen Jahren macht sie eigene Filme, darunter den Kurzfilm Scham über den Armutsbericht
der Bundesregierung, und Des Wahnsinns letzter Schrei (zusammen mit Tanja von Dahlern)
über die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und die politischen Ursachen
dafür.
Zu Beginn stellen sich einige
der Protagonistinnen vor, Frauen, die schon lange Jahre im Einzelhandel tätig sind und
den Mut aufbringen, aktiv um mehr Lohn zu kämpfen. Im Auftakt erfahren wir auch, dass von
2000 bis 2006 die Löhne im Einzelhandel um 11,4%, die Gewinne jedoch um 64,3% angestiegen
sind. Dabei steigt der Druck auf die Verkäuferinnen. Viele sind nur für 20, 15 oder
sogar nur 10 Stunden pro Woche angestellt. Trotz ihres niedrigen Lohns wird erwartet, dass sie
„parat” stehen, also bereit sind, einzuspringen, wenn Not am Mann ist —
wodurch es noch schwerer ist, einer finanziell absolut notwendigen zweiten Tätigkeit
nachzugehen.
Der Film ist ehrgeizig, er
versucht, klassisch dokumentarisch den Streik zu begleiten und gleichzeitig die komplexen
Zusammenhänge rundherum deutlich zu machen. Meist gelingt das. Die Einblicke in die
Dynamiken des Streiks sind sehr interessant, vor allem wenn man sieht, wie eine solche
Streikaktion tatsächlich organisiert wird und wie das Verhältnis zwischen
Gewerkschaft und Streikenden funktioniert (bzw. nicht funktioniert).
In einem wesentlichen Moment
des Films sehen wir, wie die Tarifkommission, zusammengesetzt aus Betriebsräten,
entscheidet, den Streik in der Woche vor Weihnachten auszusetzen, um den Arbeitgebern Zeit zu
geben, einen Vorschlag zu machen. Die Streikenden selber sind eindeutig gegen die
Unterbrechung, trotzdem entscheiden ihre Vertreter dafür. Diese Momente der Hinterfragung
der Effizienz und Sinnhaftigkeit überkommener gewerkschaftlicher Struktur und Arbeit
gehören zu den stärksten des Films. Auch der Titel des Films wird dadurch klar, Ende
der Vertretung — er behandelt nämlich die Frage, ob der offensichtliche Misserfolg
der Tarifverhandlungen (3 statt der geforderten 6% Lohnerhöhung und Streichung der
Samstagszulagen) nicht die gewerkschaftliche Arbeit, die „Vertretung”, grundlegend
in Frage stellt.
Bärbel Schönafinger
widersteht fast durchwegs der Versuchung, explizit Stellung zu beziehen. Die
Solidaritätsaktionen linker Gruppen im Rahmen des Mayday (und nicht nur) sind spannend,
vor allem die Aktion vor dem Supermarkt, als Demonstrierende versuchen, Kunden am Streik zu
beteiligen. Die Interviews mit einigen der Aktivisten lenken jedoch vom Thema des Films etwas
ab, vielleicht deshalb, weil es ohnehin viele Protagonisten gibt.
Sehr klug setzt Bärbel
Schönafinger den gesprochenen Kommentar ein. Am Ende wünscht man sich, dass dies der
erste Film von vielen über das Thema sein möge.
Zu sehen ist der Film online
auf www.kanalB.org (dort kann auch eine DVD gekauft werden). Die nächsten
Vorführtermine sind: 6.Juli, 21 Uhr, b_books, Lübbenerstr.11, Berlin; 9.Juli, 19.30
Uhr Metroproletan, Eberhardshofstr.11, Nürnberg; 10.Juli, 19.30 Uhr, Kulturladen
„Die ganze Bäckerei”, Reitmayrgässchen 4, Augsburg; 11.Juli, 19 Uhr
Kulturladen Westend, Ligsalzstr.44, München; 18.Juli, 17 Uhr, Uni Bremen, streik-adacemy,
Plantage 13.
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