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Nachdem das Bundesverfassungsgericht die ersten Begleitgesetze
zum Lissabon-Vertrag abgelehnt hat, hat die Bundesregierung kurz vor der Wahl geänderte
Begleitgesetze durch den Bundestag gebracht. Es sind vier Begleitgesetze; drei davon wurden
allein von der LINKEN abgelehnt, das vierte auch von den Grünen.
Um die Begleitgesetze noch
rechtzeitig vor dem 2.10. durch den Bundestag zu peitschen, wurde die Sommerpause des
Bundestages eigens unterbrochen. Der 2.10. ist der Tag, an dem in Irland ein zweites Mal
über den Lissabon-Vertrag abgestimmt werden muss — damit die Bevölkerung ihm
diesmal zustimmt. Für eine ausführliche parlamentarische und öffentliche
Debatte über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und den Lissabon-Vertrag
blieb deshalb selbstverständlich keine Zeit. Aber eine solche Debatte war von Anfang an
auch nicht gewollt.
Immerhin geht es — wie
das Bundesverfassungsgericht betont — beim Lissabon-Vertrag um verfassungsrechtliche
Grundlagen: Art.1 (Menschenwürde) und Art.20 (Sozialstaatsgebot) sind als
unveränderliche Bestandteile in das Grundgesetz hineingeschrieben. In Erklärung 17
zum Lissabon-Vertrag heißt es hingegen: „Die Konferenz weist darauf hin, dass die
Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im
Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der
Mitgliedstaaten haben.” Mit dieser Vorrangerklärung ist das Grundgesetz
ausdrücklich dem Lissabon-Vertrag nachgeordnet — mit anderen Worten: der Lissabon-
Vertrag bricht das Recht der Mitgliedsländer.
Das Bundesverfassungsgericht
hat diese Regelung als problematisch erkannt und mit seiner Entscheidung ausdrücklich dem
Parlament die Pflicht auferlegt, sich zukünftig intensiv mit allen rechtlichen Regelungen
der EU zu befassen, um sie insbesondere auf ihre Verträglichkeit mit dem Grundgesetz zu
überprüfen.
Das hätte eine große
Chance für den Bundestag wie auch für die EU werden können. Aber genau diese
Chance hat der Bundestag mit großer Mehrheit vertan, bzw. er hat sie bewusst
zurückgewiesen. Im zentralen Bereich der EU-Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik hat die Bundestagsmehrheit bewusst auf Mitspracheregelungen verzichtet.
Eine zentrale Aufgabe des
Bundestags besteht in der Kontrolle der Regierung. Im Bereich der EU-Rechtssetzung räumen
die Begleitgesetze der Bundesregierung aber ausdrücklich das Recht ein, sich über
Stellungnahmen des Bundestags hinwegzusetzen — ganz im Gegenteil zu den EU-Staaten
Dänemark, Finnland und Österreich, in denen die Regierungen eng an parlamentarische
Vorgaben gebunden sind. Diese Regelungen haben der EU bisher keineswegs geschadet und die
Verhandlungspositionen der entsprechenden Regierungen eher gestärkt als geschwächt.
Obgleich das
Bundesverfassungsgericht ausdrücklich eine verfassungsgerichtliche Überprüfung
von EU-Rechtsakten für geboten hält, enthalten die Begleitgesetze keine
entsprechenden Regelungen.
Ebenso hat das
Bundesverfassungsgericht bei Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU
ausdrücklich Volksentscheide für zulässig erklärt. Die Begleitgesetze
schweigen zu diesem Punkt beredt.
Auch die Einwirkungsrechte der
Bundesländer auf EU-Recht sind unzureichend geregelt. Damit bleibt die öffentliche
Daseinsvorsorge weitgehend schutzlos dem Privatisierungsinteresse der EU ausgeliefert.
Schließlich hat die LINKE
gefordert, dass die Bundesregierung bei der Übergabe der Ratifizierungsurkunde zum
Lissabon-Vertrag der EU und den anderen Mitgliedstaaten gegenüber erklärt, dass der
Vertrag in der BRD nur nach den Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
Anwendung findet, und dass dementsprechend auch die sog. Vorrangerklärung keinen
Geltungsvorrang von EU-Recht vor dem bundesdeutschen Recht begründet. Die Mehrheit des
Bundestags hat dies abgelehnt. Damit sind die neuen Begleitgesetze zu einer rein kosmetischen
Operation geworden — zum Schaden des Bundestags.
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