SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 04

Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag

Zum Schaden des Bundestags

von Jürgen Klute

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die ersten Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag abgelehnt hat, hat die Bundesregierung kurz vor der Wahl geänderte Begleitgesetze durch den Bundestag gebracht. Es sind vier Begleitgesetze; drei davon wurden allein von der LINKEN abgelehnt, das vierte auch von den Grünen.
Um die Begleitgesetze noch rechtzeitig vor dem 2.10. durch den Bundestag zu peitschen, wurde die Sommerpause des Bundestages eigens unterbrochen. Der 2.10. ist der Tag, an dem in Irland ein zweites Mal über den Lissabon-Vertrag abgestimmt werden muss — damit die Bevölkerung ihm diesmal zustimmt. Für eine ausführliche parlamentarische und öffentliche Debatte über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und den Lissabon-Vertrag blieb deshalb selbstverständlich keine Zeit. Aber eine solche Debatte war von Anfang an auch nicht gewollt.
Immerhin geht es — wie das Bundesverfassungsgericht betont — beim Lissabon-Vertrag um verfassungsrechtliche Grundlagen: Art.1 (Menschenwürde) und Art.20 (Sozialstaatsgebot) sind als unveränderliche Bestandteile in das Grundgesetz hineingeschrieben. In Erklärung 17 zum Lissabon-Vertrag heißt es hingegen: „Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.” Mit dieser Vorrangerklärung ist das Grundgesetz ausdrücklich dem Lissabon-Vertrag nachgeordnet — mit anderen Worten: der Lissabon- Vertrag bricht das Recht der Mitgliedsländer.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung als problematisch erkannt und mit seiner Entscheidung ausdrücklich dem Parlament die Pflicht auferlegt, sich zukünftig intensiv mit allen rechtlichen Regelungen der EU zu befassen, um sie insbesondere auf ihre Verträglichkeit mit dem Grundgesetz zu überprüfen.
Das hätte eine große Chance für den Bundestag wie auch für die EU werden können. Aber genau diese Chance hat der Bundestag mit großer Mehrheit vertan, bzw. er hat sie bewusst zurückgewiesen. Im zentralen Bereich der EU-Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat die Bundestagsmehrheit bewusst auf Mitspracheregelungen verzichtet.
Eine zentrale Aufgabe des Bundestags besteht in der Kontrolle der Regierung. Im Bereich der EU-Rechtssetzung räumen die Begleitgesetze der Bundesregierung aber ausdrücklich das Recht ein, sich über Stellungnahmen des Bundestags hinwegzusetzen — ganz im Gegenteil zu den EU-Staaten Dänemark, Finnland und Österreich, in denen die Regierungen eng an parlamentarische Vorgaben gebunden sind. Diese Regelungen haben der EU bisher keineswegs geschadet und die Verhandlungspositionen der entsprechenden Regierungen eher gestärkt als geschwächt.
Obgleich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich eine verfassungsgerichtliche Überprüfung von EU-Rechtsakten für geboten hält, enthalten die Begleitgesetze keine entsprechenden Regelungen.
Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht bei Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU ausdrücklich Volksentscheide für zulässig erklärt. Die Begleitgesetze schweigen zu diesem Punkt beredt.
Auch die Einwirkungsrechte der Bundesländer auf EU-Recht sind unzureichend geregelt. Damit bleibt die öffentliche Daseinsvorsorge weitgehend schutzlos dem Privatisierungsinteresse der EU ausgeliefert.
Schließlich hat die LINKE gefordert, dass die Bundesregierung bei der Übergabe der Ratifizierungsurkunde zum Lissabon-Vertrag der EU und den anderen Mitgliedstaaten gegenüber erklärt, dass der Vertrag in der BRD nur nach den Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Anwendung findet, und dass dementsprechend auch die sog. Vorrangerklärung keinen Geltungsvorrang von EU-Recht vor dem bundesdeutschen Recht begründet. Die Mehrheit des Bundestags hat dies abgelehnt. Damit sind die neuen Begleitgesetze zu einer rein kosmetischen Operation geworden — zum Schaden des Bundestags.


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