SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Produktionskosten von Atomstrom sind zwar geringer als die
von herkömmlichem Strom. Doch billig wird Atomenergie trotzdem nicht verkauft.
Die Atomkraft wurde zum
Wahlkampfthema, denn die Stromkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall drängen auf
Laufzeitverlängerungen für ihre alten AKW. CDU und FDP kündigen an, im Falle
eines Sieges bei der Bundestagswahl im kommenden September wieder auf die Atomenergie zu
setzen, und begründen dies neuerdings mit den drastisch steigenden Energiepreisen. Jeder,
der an einer Tankstelle über den teuren Sprit klagt, soll mit der Verheißung von
billigem Atomstrom gelockt werden.
Elektrizität aus
abgeschriebenen Altreaktoren ist in der Tat billiger herzustellen als Strom aus Gas oder
Kohle. Doch der Verkaufspreis für den gesamten Strom wird an der Leipziger
Strombörse festgesetzt und richtet sich nach dem Preis, den die Kraftwerke mit den
höchsten Produktionskosten verlangen. Somit zahlt also der Verbraucher denselben Preis
für Atomstrom wie für Strom aus anderen Kraftwerken, und die AKW-Betreiber streichen
die Differenz alleine ein. Das macht für jeden der 17 laufenden Meiler einen
jährlichen Gewinn von 200 bis 300 Millionen Euro. Der Atomkonzern RWE hat errechnet, dass
eine Verlängerung der Laufzeiten auf 50 bis 60 Jahre noch einmal zusätzlich 250
Milliarden Euro in die Kassen der vier großen Energieunternehmen bringen würde.
Dass die Energie aus den AKW
derzeit als preiswerte Alternative dargestellt werden kann, hat einen einfachen Grund: Seit
Beginn des Atomzeitalters hat der Staat nicht nur die ökonomischen Risiken der
Stromerzeugung mittels Kernspaltung abgedeckt, sondern große Teile des Atomprogramms
gleich selbst finanziert.
Insbesondere das schmutzige
Ende der Atomwirtschaft fällt kaum denen zur Last, die jetzt daran verdienen. Der Bau von
Forschungsreaktoren wurde in der Bundesrepublik bisher mit 20 Milliarden Euro subventioniert.
In gescheiterte Atomprojekte wie Wackersdorf, Kalkar und Mülheim-Kärlich flossen 9
Milliarden Euro öffentliche Mittel. Die Sanierung der Uranabbaugebiete in Thüringen
und Sachsen hat nach der Wiedervereinigung 6,6 Milliarden Euro Steuergelder verschlungen. Der
1990 begonnene „Rückbau” einer kleinen Pilotanlage zur Wiederaufarbeitung von
Atommüll in Karlsruhe dauert voraussichtlich noch bis 2019 und kostet 3 Milliarden Euro,
wovon staatlicherseits 2,5 Milliarden übernommen werden. Der Abriss der DDR-
Atomkraftwerke in Greifswald kostet den Staat 3,7 Milliarden Euro. Dem Finanzminister sind
bisher durch die steuerfreie Gewinne der Atomwirtschaft 23 Milliarden Euro entgangen, weil die
Konzerne diese Summe als Rückstellungen für die „Entsorgung” deklariert,
aber nicht wirklich zurückgelegt, sondern damit Firmenkäufe im In- und Ausland
finanziert haben.
Betrieb und Stilllegung des
einsturzgefährdeten „Endlagers” für schwachaktiven Müll in
Morsleben (Sachsen-Anhalt) haben die Bundesrepublik bisher 1,2 Milliarden Euro gekostet. Die
Aufwendungen für die Polizeieinsätze bei Anti-Atom-Demonstrationen und zur
Durchsetzung der Castor-Transporte liegen insgesamt bei etwa 3 Milliarden Euro. Der Betrieb
des absaufenden „Probe-Endlagers” Asse beläuft sich derzeit zwar auf
vergleichsweise geringe 100 Millionen Euro jährlich. Müssen die 126000 Fässer
mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll allerdings wieder herausgeholt werden, bevor
die strahlende Suppe im Grundwasser ankommt, dann werden auch hier noch etliche Milliarden
fällig.
Das
Bundeswirtschaftsministerium rechnet bei einem Super-Gau in einem deutschen Reaktor mit einem
volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von 5000 Milliarden Euro. Versichert sind die
Atomkraftwerke nur bis zu 2,5 Mrd. Euro, also gerade mal 0,5 Promille der möglichen
Schadenssumme. Den Rest des Risikos trägt der Staat. Keine Versicherung der Welt ist
bereit, diesen Schaden abzudecken. Und würde sich eine finden, wäre sie so teuer,
dass Atomstrom unverkäuflich wäre. Bleibt noch zu erwähnen, dass hierzulande
auf die Brennstoffe Öl, Gas und Kohle Steuern erhoben werden, der Kernbrennstoff Uran
dagegen steuerbefreit ist.
Holger Krawinkel,
Energiefachmann des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, rechnete den Anhängern des
Atomstroms rund um Kanzlerin Angela Merkel vor, wie groß die Entlastung wirklich
wäre, würden zwei Drittel der Reaktoren zehn Jahre länger laufen als
ursprünglich geplant. Er kam auf eine Ersparnis von etwa 50 Cent pro Monat für einen
Durchschnittshaushalt. Sein Fazit: „Schon der Austausch einer 60-Watt-Glühbirne
durch eine gleich helle 11-Watt-Energiesparlampe bringt bereits eine Ersparnis von 60 bis 90
Cent pro Monat."
Der Autor ist seit 1996 mit
Unterbrechungen Sprecher der Anti-Atom-Kampagne „X-tausendmal quer” gegen die
Castor-Transporte nach Gorleben.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |