SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 07

Kommunalwahlen in NRW

LINKE ohne Schwung

Die Kommunalwahlen in NRW am 30.August 2009 haben die Tendenz, die durch die Landtagswahlen angedeutet wurden, bestätigt: Nochmaliger Rückgang der Wahlbeteiligung, Verluste für die CDU, die durch Gewinne der FDP nicht ausgeglichen werden konnten, vereinzelt Erfolge für die SPD (Rückeroberung der OB-Ämter in Köln, Essen und Dortmund, hohe Gewinne für die Grünen). Der Partei DIE LINKE hat die Wahl ein eher schwaches Ergebnis gebracht, mit nur zwei Ergebnissen über 7% (Duisburg und Oberhausen). Dabei zeigt sich, dass das jeweilige Auftreten der Partei vor Ort sehr unterschiedlich war.

In Köln: DIE LINKE bleibt unter Niveau

In der größten Stadt von NRW waren 764878 Bürger wahlberechtigt, aber nur 375564 (49,1%) haben ihr Wahlrecht wahrgenommen; somit ist die Mehrheit dieser Wahlveranstaltung ferngeblieben. 4125 Stimmen waren ungültig, was die Wahlbeteiligung nochmals senkt, nämlich auf genau 48%.
103568 Wähler votierten für die CDU, die damit im Vergleich zur letzten Wahl in Köln 11180 Stimmen verloren hat.
Die radikale Unternehmerpartei FDP scheint ebenso wie bei der Europawahl stark im CDU-Lager gewildert zu haben. Sie konnte 8889 Stimmen hinzugewinnen und kam auf 34907 Stimmen.
Wenige 100 Wählerstimmen stärker im Vergleich zur CDU wurde der Block der SPD mit 103918 Stimmen, was aber ebenfalls einen Verlust um 4702 Stimmen gegenüber der letzten Wahl bedeutet.
Die Grünen als große Sieger mit 80451 Stimmen konnten im Vergleich zur letzten Wahl 22394 Stimmen hinzugewinnen und „färbten” die gesamte City Kölns grün ein. Mit 34,68% sind sie im Innenstadtbereich vor der SPD mit 22,74% und der CDU mit 20,84% die stärkste Partei.
DIE LINKE erreichte in Köln 7601 Stimme mehr als bei der letzten Wahl und kam auf insgesamt 17970 Stimmen, die 4,84% ergaben. Da die DKP diesmal zur Wahl der Linkspartei aufgerufen hatte, muss das Abschneiden der LINKEN eindeutig als schwach bezeichnet werden; die Gründe dafür sind wohl nicht nur in den schwachen Wahlkampfaktivitäten zu suchen. Vermutlich lag es an den Wahlkampfaktivitäten, dass keine größeren Zugewinne erzielt werden konnten. Es rächt sich nun bitter, dass die Linkspartei in dem offen zutage liegenden Skandal um den Einsturz des Stadtarchivs völlig auf Tauchstation ging und diese Steilvorlage nicht für eine massive Kritik an Filz und Korruption nutzte. Stattdessen wollte vor allem die Fraktionsführung aus „wahlarithmetischen Gründen” nicht die Wahl des SPD-Kandidaten Jürgen Roters gefährden, der auch Mitglied im Aufsichtsrat der KVB ist und mit dem vor der Wahl entsprechende Absprachen getroffen worden waren.
Der SPD-Kandidat dachte jedoch gar nicht daran, diesen unterwürfigen Verzicht zu belohnen. Zwei Tage vor der Wahl verkündete er in einem Interview, er wolle 190 Millionen Euro im sozialen Bereich einsparen.
Rechnet man die 1522 Stimmen für die Ökolinke um Jutta Ditfurth (sie hat im Vergleich zur letzten Wahl 10 Stimmen verloren) noch zum linksradikalen Lager in der Stadt hinzu, so ist es mit 19402 Stimmen schwächer als die Rechtsradikalen.
Pro Köln wurde von 19961 Menschen gewählt. Mit den 141 NPD-Stimmen kommen die Rechtsradikalen auf 20109 Stimmen. Die Republikaner hatten auf einen Wahlantritt verzichtet. Diesen Erfolg von 5,38% verdanken die Rechtsradikalen einem gut organisierten und ausdauernd geführten Wahlkampf. Das Engagement der einzelnen Mitglieder war wesentlich höher und wurde effektiver eingesetzt als das, was die wesentlich mitgliederstärkere Linkspartei am gegnerischen Pol an organisiertem Einsatz zeigte.
SPD und Grüne werden in den nächsten vier Jahren die Kölner Politik verwalten, die Zeit „wechselnder Mehrheiten” ist nun vorbei. Die Linke wird nicht mehr das Zünglein an der Waage sein können, und damit wird die Bedeutung der Ratsarbeit auch innerhalb der Linkspartei abnehmen.

Konkurrenz von rechts

Dies ist auch angesichts der Polarisierung in einzelnen Stadtteilen dringend notwendig. Im nördlichen Kölner Problemstadtteil, dem Banlieughetto Chorweiler, kommen die Rechtsradikalen auf 10,9 %! Die Linke, obwohl dort schon seit Jahren im Bezirksrathaus vertreten, kommt auf 8,4%. Die Situation in diesem Problemgebiet könnte vielleicht ein Vorgeschmack darauf sein, was geschieht, wenn die Probleme in allen Stadtteilen zunehmen werden und die Rechtsradikalen sich als konsequentere Interessensachwalter darstellen können. Andererseits lässt sich auch argumentieren, dass die SPD dort potentielle Linksparteiwähler einfangen konnte. Die SPD konnte in dem Stadtteil enorm um 6% zulegen und wurde mit 36% stärkste Partei vor der CDU mit 27%.
Auch im sozial völlig entgegengesetzten Viertel Hahnwald mit der höchsten Millionärsdichte in NRW setzte sich der bereits bei der Europawahl sichtbare Radikalisierungsprozess weiter fort: Dort ist die SPD mit 4,7% traditionellerweise zur Splitterpartei degradiert, während die CDU 52% einfährt. Zugleich findet unter den „gut Betuchten” eine weitere Rechtsdrift mit 20,8% für die FDP und überdurchschnittlichen 10,2% für die Rechtsradikalen statt. In Marienburg und Hahnwald vermutet das Wahlamt „Unregelmäßigkeiten” wegen der Pro-Köln Stimmen.
Man kann feststellen, dass SPD und CDU im Bewusstsein großer Teile der Kölner Bevölkerung noch immer als die klassischen großen Blöcke der konservativ und sozial orientierten Kräfte betrachtet werden, während die Ausdifferenzierungen bei politisch suchenden Wählerschichten links und rechts deutlichere Konturen annehmen.
Wenn die Linkspartei in dieser Stadt weiterhin versucht, die klassische SPD zu kopieren, wird sie in der völligen Bedeutungslosigkeit verschwinden, bzw. von der SPD marginalisiert werden. Während sich das linke Glaubwürdigkeitsdefizit damit vergrößern wird, bieten sich den Rechtsradikalen vermehrte Möglichkeiten, sich als kämpferische Interessenssachwalter jener Menschen aufzuplustern, die eh immer zu Verlierern gemacht werden.
Horst Hilse

In Duisburg: Rot-Rot-Grün hat eine Mehrheit im Rat

Mit dem Ergebnis der Kommunalwahlen 2009 ist in Duisburg das seit den letzten Wahlen im Jahr 2004 bestehende Kapitel Schwarz-Grüne Ratskooperation, strukturell gestützt auf den rechten Rand, nicht länger möglich. Beide Parteien haben absolut und prozentual verloren. Sie verfügen im Rat zusammen nur noch über 31 von 74 Sitzen.
Das Kommunalwahlergebnis vom 30.8.2009 könnte in Duisburg ein neues Kapitel aufschlagen. In Rat und Bezirksvertretungen ist die von der LINKEN angestrebte Linksverschiebung — bei allem Vorbehalt und rein rechnerisch — eingetreten. Ob sie auch politisch fruchtbar wird, ist noch völlig offen. Die Duisburger LINKE hat mit 7,7% (+2,5%) nach Oberhausen wieder das zweitbeste Ergebnis in NRW erzielt. Sie kann durch das Ergebnis jetzt auch in den meisten Bezirken politisch mitmischen und Einfluss auf die Bürgermeisterwahl nehmen.
Rechtspopulistische Gruppen und Neonazis blieben auch diesmal eine Fußnote. Im Stadtteil Meiderich-Beeck ist der Einzug der NPD in die Bezirksvertretung erfreulicherweise gescheitert.
Ein Alarmsignal ist die historisch niedrige Wahlbeteiligung. Sie lag mit 45,7% nochmals hinter den 48% von 2004. Und diese Beteiligung liegt noch 6,6% unter dem sehr niedrigen Landesdurchschnitt. Frust und Entpolitisierung sind auch in Duisburg unübersehbar. Es sind vor allem die sozial am weitesten abgeschlagenen Stadt- und Wahlbezirke, in denen die niedrige Wahlbeteiligung katastrophale Ausmaße angenommen hat. Damit ist die politische Legitimation der gewählten Gremien und des OB stark angeschlagen. Rat und Bezirksvertretungen vertreten nach dem Wahlergebnis nicht die Mehrheit der rd. 350000 Wählerinnen und Wähler, von denen nur 168000 gewählt haben, davon noch rund 3000 ungültig.

OB-Wahl

OB bleibt — wie erwartet — mit 44,6% Adolf Sauerland von der CDU, sein Herausforderer Jürgen Brandt (SPD) lag mit 38,2% klar hinter ihm. Der OB Sauerland hat 11,1% mehr geholt als die CDU, Brandt hingegen 0,8% weniger als seiner Partei.
Die OB-Kandidatin der LINKEN, Brigitte Diesterhöft, holte mit knapp 5,6% ein achtbares Ergebnis. Deutlich abgeschlagen ist Bürgermeisterin Doris Janicki von den Grünen mit knapp 4,6%. Dafür dürfte es im Wesentlichen zwei Erklärungen geben: Doris Janicki personifiziert in der Grünen-Spitze wie keine andere die Fixierung auf die Zusammenarbeit mit der CDU. Sie hat ihre Kandidatur wie keine andere Kandidatin nur als Schaulaufen begriffen, um vor allem die Wiederwahl von Sauerland nicht zu gefährden.
Rückblickend war es richtig, eine eigene OB-Kandidatur aufzustellen. Ein Verzicht zugunsten von Brandt hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit politische Verunsicherung über den Kurs der LINKEN gebracht und ihn als Person mit negativer politischer Vergangenheit unklug aufgewertet.
Im Rat ist Schwarz-Grün stark geschwächt. Die CDU hat rund 55000 Stimmen geholt, 7700 weniger als 2004. Die Grünen haben 13900 Stimmen geholt, 3400 weniger — d.h. sie haben rund ein Viertel ihrer WählerInnen verloren! Zu einer strukturellen „Beinahe-Mehrheit” reicht es für CDU-Grüne nicht mehr.

Der Rat

Die SPD hat prozentual etwas zugelegt (absolut verloren) und kommt auf rund 39% bzw. 29 Sitze im Rat. Die FDP hat prozentual und absolut leicht verloren. Die LINKE hat 12674 Stimmen gewonnen, 3486 mehr als 2004. Sie ist die größte Wahlgewinnerin und steigert sich von 3 auf 6 Ratsmandate.
Das Ergebnis vom 30.08.09 bringt zum dritten Mal seit 1999 keine festgefügten Mehrheiten mehr unter Führung einer Partei. Daran hat DIE LINKE unter den heutigen Umständen auch kein Interesse. Rein rechnerisch wären drei verschiedene Kombinationen möglich:
Die deutlichste (rechnerische) Mehrheit würde sich aus einem Zusammengehen von SPD und CDU ergeben (zusammen 54 Sitze). Beide dürften daran in Duisburg derzeit kaum ein Interesse haben. Eine hauchdünne Mehrheit wären aus einer Kombination CDU-Grüne-FDP (zusammen 34 Sitze) mit weiteren 3 oder 4 Stimmen von Einzelmandaten und der Stimme des OB möglich. Der OB scheint diese Kombination zu favorisieren. Allerdings sträubt sich die FDP gegen ein Zusammengehen mit den Grünen.
Eine klare Mehrheit wäre rein rechnerisch aus SPD, Grünen und LINKEN (zusammen 41 Sitze) möglich. DIE LINKE hat deshalb mit diesen Parteien Gespräche aufgenommen. Sie wird sich aber nur auf Kooperationen einlassen, wenn die politische Ausrichtung und die Inhalte stimmen — die rechnerische sich also in eine politische Linksverschiebung im Rat umsetzen lässt.
DIE LINKE ist in Duisburg politisch erfahrbarer geworden. Organisatorisch hat sie immer noch viele Schwachstellen zu beseitigen, vor allem die Parteiorganisation muss dringend verbessert, die gesellschaftliche Verankerung und die politische Handlungsfähigkeit gestärkt, das inhaltliche Profil geschärft werden. Übertriebene Wahlerwartungen sollten nicht ihre Sache sein. Wahlen sind Gradmesser und Gremienarbeit ist ein Instrument. Aber darin erschöpft sich linke Politik nicht.
Die LINKE ist eine Programmpartei. Sie wird nicht um des „Regierens” willen als Mehrheitsbeschafferin auftreten. Ihr Wählerauftrag lautet vor allem: ein neues Kapitel in der kommunalen Sozialpolitik aufschlagen, die öffentlichen Unternehmen und Dienstleistungen erhalten und ausbauen, Entscheidungsprozesse demokratisieren und die Beteiligung aller Stadtbewohner organisieren, die besondere Benachteiligung der Einwanderungsbevölkerung bekämpfen, den begonnenen Prozess einer modernen Stadtgestaltung weiter treiben, die Umwelt sanieren und die kommunale Entschuldung von Bund und Land einzufordern, die Bildungssituation verbessern, kostenlose Kinderbetreuung durchsetzen und die Gleichstellung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen verwirklichen.
DIE LINKE hat ein Interesse daran, das Wahlergebnis als Instrument für ihre Politik einzusetzen. Sie ist deshalb grundsätzlich bereit, im Rat und in den Bezirken mit allen demokratischen Parteien zu verhandeln, wo es aus ihrer programmatischen Perspektive Sinn macht. Deshalb scheiden Verhandlungen auf Ratsebene mit CDU und FDP aus. Diese haben daran erklärtermaßen ebenfalls kein Interesse.

Hermann Dierkes



Der Autor ist Mitglied der Ratsfraktion der LINKEN in Duisburg.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang