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Nach der Krise und dem keynesianischen Zwischenspiel wird
kräftig daran gearbeitet, die Spielregeln des Neoliberalismus wieder in Kraft zu setzen.
Jetzt sind doch noch ein paar Rechnungen zu begleichen. Im ersten Halbjahr 2008 war das
große Sanierungsziel erreicht: Dank eines positiven Wirtschaftswachstums in den Jahren
2005—2007 stiegen die öffentlichen Einnahmen schneller als die Ausgaben. Ein
Zeitalter öffentlicher Budgetüberschüsse schien angebrochen. Jetzt kam es nur
noch darauf an, den Begehrlichkeiten organisierter Interessengruppen standzuhalten und
stattdessen die Budgetüberschüsse zum Schuldenabbau zu nutzen. Vom Abtragen des
öffentlichen Schuldenbergs erwarteten Wirtschaftslehrbücher und Finanzminister
sinkende Zinsen und in deren Folge eine Zunahme kreditfinanzierter Investitionen und
Konsumgüterkäufe. Statt konjunktureller Auf- und Abschwünge käme es zu
dauerhaftem Wachstum.
Im zweiten Halbjahr 2008 sah
die Welt schon anders aus. Als hätte sich die Wirtschaft in Deutschland unabhängig
von Wall Street und der amerikanischen Kauflaune entwickelt, erklärte Peer
Steinbrück noch im Spätsommer, die Finanzkrise in den USA sei ein hausgemachtes
Problem der unregulierten Amerikaner, könne die fleißigen Deutschen aber nicht an
der Erwirtschaftung steigenden Reichtums hindern. Im Herbst musste er zugeben, dass sich die
Weltwirtschaft an der amerikanischen Finanzgrippe angesteckt hatte.
Auf Anraten des
Internationalen Währungsfonds und nach losen Absprachen mit seinen Finanzministerkollegen
der G8- und G20-Staaten wurde dem auf Haushaltssanierung eingeschworenen Patienten eine
tüchtige Dosis Keynes verabreicht.
Inwiefern die staatlichen
Konjunkturprogramme zur Eindämmung der Krise beigetragen haben, ist unter Ökonomen
umstritten. Einige sind der Ansicht, hierdurch einen Zusammenbruch der Wirtschaft à la
1929—1932 verhindert zu haben, während andere die jüngste Stabilisierung der
Konjunktur darauf zurückführen, dass Unternehmen trotz trüber
Zukunftsaussichten ihre Lagerbestände auffüllen müssen, um im Geschäft zu
bleiben.
Weniger umstritten — und in den Medien weniger breitgetreten als das Für und
Wider keynesianischer Interventionen — sind die Folgen der nahezu kosten- und
grenzenlosen Versorgung des privaten Bankensektors mit staatlichen Geldern. Über billiges
Geld wird meistens in der Vergangenheitsform gesprochen. Mit niedrigen Zinsen, so der fast
einhellige Ökonomenkonsens, habe die amerikanische Zentralbank seit dem Zusammenbruch der
dot.com-Euphorie Spekulationsblasen und ungesicherte Kreditaufnahme gefördert und damit
schließlich die Finanzkrise 2008 herbeigeführt. Kein Wort davon, dass diese Politik
notwendig war, um langfristige Probleme der Wirtschaftsentwicklung unter der Last steigender
Profitansprüche wenigstens vorübergehend zu überspielen.
Denn die zum Zwecke der
Profitsteigerung niedrig gehaltene Löhne begrenzten die Nachfrage nach Konsumgütern
und drückten so auf den Absatz, während zugleich die Kosten für natürliche
Rohstoffe und die Folgekosten für den verschwenderischen Umgang stiegen. Beides lastete
auf der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Zentralbank versuchte deshalb, durch billiges Geld
und die Akkumulation eingebildeter Reichtümer samt der davon abgeleiteten Nachfrage die
Investitionslaune wenigstens zeitweilig aufrecht zu erhalten. Bis zum Ausbruch der Finanz- und
Wirtschaftskrise im vergangenen Herbst.
An solch langfristiger
Krisenanalyse haben die Denker des Bürgertums jedoch kein Interesse, weil sie dabei
beständig über die immanenten Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise
stolpern. Im Interesse steigender Investitionsneigung fabulieren sie, je nach Konjunkturlage,
lieber über die Vorzüge kapitalmarktgesteuerten Wachstums, oder sie kommentieren
staatliche Konjunkturprogramme als manchmal notwendige, aber unbedingt zeitlich zu begrenzende
Abweichung vom liberalen Tugendpfad. Die einzige Krisengefahr, die der Wirtschaft dieser
Denkweise zufolge in der Zukunft drohen kann, ist das Festhalten an staatlichen
Ausgabenprogrammen.
Im ideologischen Kampf gegen
Keynes, der in der dunklen Jahreszeit des Winters 2008/09 vorübergehend wie ein Heiliger
durch die Wirtschaftspresse geisterte, übersehen die liberalen Eiferer völlig, dass
billiges Geld, das sie im Nachhinein für Spekulationsblasen und Finanzkrise
verantwortlich gemacht haben, schon wieder ein neues Spekulationsfieber ausgelöst hat.
Kaum haben sich die
Rückgänge von Produktion, Absatz und Beschäftigung verlangsamt, sind die
Börsenkurse wieder gestiegen, und zwar drastisch. Weniger mit Ideologie, als mit endlosen
Zahlenreihen befasste Konjunkturbeobachter warnen denn auch vorsichtig vor neuen
Spekulationsblasen.
Ihr Missverständnis: Sie
nehmen die Theorie für bare Münze, der zufolge Börsenkurse die künftige
Wirtschaftsentwicklung voraussagen, so wie der Barometerstand von heute das Wetter von morgen
anzeigt. Davon kann aber in Zeiten des Finanzmarktkapitalismus keine Rede sein.
Börsenkurse sind kein Indikator der künftigen Wirtschaftsentwicklung, sondern
Ausdruck des Selbstvertrauens und Herrschaftsanspruchs des Finanzkapitals.
Nach dem Schock, den Selbstzweifeln und der Flucht in die schützenden Arme von
Finanzministern und Zentralbankchefs im vergangenen Herbst sind die Herren des Finanzkapitals
schon wieder oben auf und bereit, der Politik — bis zur nächsten Krise — die
Marschrichtung zu diktieren. Die lautet: Haushaltskonsolidierung und Steuergeschenke an die
Profitbedürftigen.
Bei der Bundestagswahl ging es
deshalb nicht um unterschiedliche Programme, sondern darum, wer bei der Restauration des
Neoliberalismus auf der Regierungs-, und wer auf der Oppositionsbank sitzt. Eine schwarz-gelbe
Regierung würde schnell in diese Richtung voranschreiten und ihre neoliberale Offensive
erst stoppen, wenn Abgeordnete von SPD und Linkspartei gemeinsame Presseerklärungen gegen
den Sozialabbau veröffentlichen, und Attac und DGB über Montagsdemonstrationen
nachdenken. Sollte sich die gegenwärtig verbreitete Konjunktureuphorie bis dahin wieder
verflüchtigt haben, kann man Lafontaine die Schuld geben.
Eine schwarz-rote Regierung
würde langsamer vorgehen, sich unter dem Druck der FDP als Koalition des
vernünftigen Ausgleichs zwischen sozialer Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit
präsentieren und im Interesse dieses Ausgleichs vor den gemeingefährlichen
Bestrebungen von Linkspartei und Gewerkschaften warnen.
Die Mannschaftsaufstellung ist
in beiden Fällen die gleiche: alle gegen Lafontaine und DIE LINKE. Dabei attackiert
Westerwelle als rechter Flügelstürmer: Nachdem die Banken kräftig von
Subventionen und Staatsbürgschaften profitiert haben, wollen auch die mittelklassigen
Hilfstruppen des Finanzkapitals ihren Schnitt machen. Deshalb: Steuersenkungen auf Teufel
komm raus.
Steinmeier deckt den linken
Flügel mit Ermahnungen an die gesamtwirtschaftliche Vernunft und Verantwortung, die es
gegen außerparlamentarische Interessengruppen vom Bund der Steuerzahler bis zu den
Gewerkschaften zu verteidigen gelte.
Merkel sorgt als Libero
dafür, dass der Bund der Steuerzahler stets ein wenig mehr als Ausdruck
gesamtwirtschaftlicher Vernunft angesehen wird und die Gewerkschaften ein wenig mehr in die
Ecke selbstsüchtiger Partikularinteressen gedrängt werden.
Die Grünen, obwohl sie
gern im Obama-Greenpeace-Trikot für einen Green New Deal auftreten, stellen doch nur die
Verteidiger im Westerwelle-Merkel-Steinmeier-Sturm dar.
Auf der anderen Seite steht
die Linkspartei. Deutlich kleiner, mit nur einer Sturmspitze, Lafontaine, und einem rechten
Flügel, der sich fragt, weshalb er überhaupt bei der Minderheitentruppe mitspielen
muss. Dazu ein linker Flügel, der alternative Strategien durchspielt, für die keine
Spieler bereit stehen.
Damit ähnelt die
Linkspartei Bebels SPD im Kaiserreich: Hinter einem charismatischen Führer verbirgt sich
eine Partei, die den Zuschauern von der Mehrheitstruppe als gesellschaftsumstürzende
Gefahr dargestellt wird, sich selbst aber keineswegs sicher ist, ob sie diese Rolle
überhaupt spielen will.
Bei dieser
Mannschaftsaufstellung ist das Match zur neoliberalen Restauration kaum noch zu verlieren. Es
sei denn, die Zuschauer sind des Spiels einer Westerwelle-Steinmeier-Merkel-Mehrheit gegen
eine Lafontaine-Minderheit überdrüssig und greifen selbst ins Spielgeschehen ein.
Das wäre dann allerdings ein anderes Spiel, bei dem Ziel und Sieger nicht im Voraus
feststehen, sondern erst festzulegen und dann zu erkämpfen sind.
Linke Strategiediskussionen
können hierzu einen Beitrag leisten. Ohne die Mobilisierung neuer Mitspieler wird die
Rechnung für die Krise und das politische Krisenmanagement weiterhin den subalternen
Klassen präsentiert.
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