SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 17

Was erwartet uns nach der Wahl?

Die Restauration des Neoliberalismus

von Ingo Schmidt

Nach der Krise und dem keynesianischen Zwischenspiel wird kräftig daran gearbeitet, die Spielregeln des Neoliberalismus wieder in Kraft zu setzen.

Jetzt sind doch noch ein paar Rechnungen zu begleichen. Im ersten Halbjahr 2008 war das große Sanierungsziel erreicht: Dank eines positiven Wirtschaftswachstums in den Jahren 2005—2007 stiegen die öffentlichen Einnahmen schneller als die Ausgaben. Ein Zeitalter öffentlicher Budgetüberschüsse schien angebrochen. Jetzt kam es nur noch darauf an, den Begehrlichkeiten organisierter Interessengruppen standzuhalten und stattdessen die Budgetüberschüsse zum Schuldenabbau zu nutzen. Vom Abtragen des öffentlichen Schuldenbergs erwarteten Wirtschaftslehrbücher und Finanzminister sinkende Zinsen und in deren Folge eine Zunahme kreditfinanzierter Investitionen und Konsumgüterkäufe. Statt konjunktureller Auf- und Abschwünge käme es zu dauerhaftem Wachstum.
Im zweiten Halbjahr 2008 sah die Welt schon anders aus. Als hätte sich die Wirtschaft in Deutschland unabhängig von Wall Street und der amerikanischen Kauflaune entwickelt, erklärte Peer Steinbrück noch im Spätsommer, die Finanzkrise in den USA sei ein hausgemachtes Problem der unregulierten Amerikaner, könne die fleißigen Deutschen aber nicht an der Erwirtschaftung steigenden Reichtums hindern. Im Herbst musste er zugeben, dass sich die Weltwirtschaft an der amerikanischen Finanzgrippe angesteckt hatte.
Auf Anraten des Internationalen Währungsfonds und nach losen Absprachen mit seinen Finanzministerkollegen der G8- und G20-Staaten wurde dem auf Haushaltssanierung eingeschworenen Patienten eine tüchtige Dosis Keynes verabreicht.
Inwiefern die staatlichen Konjunkturprogramme zur Eindämmung der Krise beigetragen haben, ist unter Ökonomen umstritten. Einige sind der Ansicht, hierdurch einen Zusammenbruch der Wirtschaft à la 1929—1932 verhindert zu haben, während andere die jüngste Stabilisierung der Konjunktur darauf zurückführen, dass Unternehmen trotz trüber Zukunftsaussichten ihre Lagerbestände auffüllen müssen, um im Geschäft zu bleiben.

Krisenursachen schon wieder verdrängt

Weniger umstritten — und in den Medien weniger breitgetreten als das Für und Wider keynesianischer Interventionen — sind die Folgen der nahezu kosten- und grenzenlosen Versorgung des privaten Bankensektors mit staatlichen Geldern. Über billiges Geld wird meistens in der Vergangenheitsform gesprochen. Mit niedrigen Zinsen, so der fast einhellige Ökonomenkonsens, habe die amerikanische Zentralbank seit dem Zusammenbruch der dot.com-Euphorie Spekulationsblasen und ungesicherte Kreditaufnahme gefördert und damit schließlich die Finanzkrise 2008 herbeigeführt. Kein Wort davon, dass diese Politik notwendig war, um langfristige Probleme der Wirtschaftsentwicklung unter der Last steigender Profitansprüche wenigstens vorübergehend zu überspielen.
Denn die zum Zwecke der Profitsteigerung niedrig gehaltene Löhne begrenzten die Nachfrage nach Konsumgütern und drückten so auf den Absatz, während zugleich die Kosten für natürliche Rohstoffe und die Folgekosten für den verschwenderischen Umgang stiegen. Beides lastete auf der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Zentralbank versuchte deshalb, durch billiges Geld und die Akkumulation eingebildeter Reichtümer samt der davon abgeleiteten Nachfrage die Investitionslaune wenigstens zeitweilig aufrecht zu erhalten. Bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im vergangenen Herbst.
An solch langfristiger Krisenanalyse haben die Denker des Bürgertums jedoch kein Interesse, weil sie dabei beständig über die immanenten Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise stolpern. Im Interesse steigender Investitionsneigung fabulieren sie, je nach Konjunkturlage, lieber über die Vorzüge kapitalmarktgesteuerten Wachstums, oder sie kommentieren staatliche Konjunkturprogramme als manchmal notwendige, aber unbedingt zeitlich zu begrenzende Abweichung vom liberalen Tugendpfad. Die einzige Krisengefahr, die der Wirtschaft dieser Denkweise zufolge in der Zukunft drohen kann, ist das Festhalten an staatlichen Ausgabenprogrammen.
Im ideologischen Kampf gegen Keynes, der in der dunklen Jahreszeit des Winters 2008/09 vorübergehend wie ein Heiliger durch die Wirtschaftspresse geisterte, übersehen die liberalen Eiferer völlig, dass billiges Geld, das sie im Nachhinein für Spekulationsblasen und Finanzkrise verantwortlich gemacht haben, schon wieder ein neues Spekulationsfieber ausgelöst hat.
Kaum haben sich die Rückgänge von Produktion, Absatz und Beschäftigung verlangsamt, sind die Börsenkurse wieder gestiegen, und zwar drastisch. Weniger mit Ideologie, als mit endlosen Zahlenreihen befasste Konjunkturbeobachter warnen denn auch vorsichtig vor neuen Spekulationsblasen.
Ihr Missverständnis: Sie nehmen die Theorie für bare Münze, der zufolge Börsenkurse die künftige Wirtschaftsentwicklung voraussagen, so wie der Barometerstand von heute das Wetter von morgen anzeigt. Davon kann aber in Zeiten des Finanzmarktkapitalismus keine Rede sein. Börsenkurse sind kein Indikator der künftigen Wirtschaftsentwicklung, sondern Ausdruck des Selbstvertrauens und Herrschaftsanspruchs des Finanzkapitals.

Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot

Nach dem Schock, den Selbstzweifeln und der Flucht in die schützenden Arme von Finanzministern und Zentralbankchefs im vergangenen Herbst sind die Herren des Finanzkapitals schon wieder oben auf und bereit, der Politik — bis zur nächsten Krise — die Marschrichtung zu diktieren. Die lautet: Haushaltskonsolidierung und Steuergeschenke an die Profitbedürftigen.
Bei der Bundestagswahl ging es deshalb nicht um unterschiedliche Programme, sondern darum, wer bei der Restauration des Neoliberalismus auf der Regierungs-, und wer auf der Oppositionsbank sitzt. Eine schwarz-gelbe Regierung würde schnell in diese Richtung voranschreiten und ihre neoliberale Offensive erst stoppen, wenn Abgeordnete von SPD und Linkspartei gemeinsame Presseerklärungen gegen den Sozialabbau veröffentlichen, und Attac und DGB über Montagsdemonstrationen nachdenken. Sollte sich die gegenwärtig verbreitete Konjunktureuphorie bis dahin wieder verflüchtigt haben, kann man Lafontaine die Schuld geben.
Eine schwarz-rote Regierung würde langsamer vorgehen, sich unter dem Druck der FDP als Koalition des vernünftigen Ausgleichs zwischen sozialer Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit präsentieren und im Interesse dieses Ausgleichs vor den gemeingefährlichen Bestrebungen von Linkspartei und Gewerkschaften warnen.
Die Mannschaftsaufstellung ist in beiden Fällen die gleiche: alle gegen Lafontaine und DIE LINKE. Dabei attackiert Westerwelle als rechter Flügelstürmer: Nachdem die Banken kräftig von Subventionen und Staatsbürgschaften profitiert haben, wollen auch die mittelklassigen Hilfstruppen des Finanzkapitals ihren Schnitt machen. Deshalb: Steuersenkungen auf Teufel komm‘ raus.
Steinmeier deckt den linken Flügel mit Ermahnungen an die gesamtwirtschaftliche Vernunft und Verantwortung, die es gegen außerparlamentarische Interessengruppen vom Bund der Steuerzahler bis zu den Gewerkschaften zu verteidigen gelte.
Merkel sorgt als Libero dafür, dass der Bund der Steuerzahler stets ein wenig mehr als Ausdruck gesamtwirtschaftlicher Vernunft angesehen wird und die Gewerkschaften ein wenig mehr in die Ecke selbstsüchtiger Partikularinteressen gedrängt werden.
Die Grünen, obwohl sie gern im Obama-Greenpeace-Trikot für einen Green New Deal auftreten, stellen doch nur die Verteidiger im Westerwelle-Merkel-Steinmeier-Sturm dar.
Auf der anderen Seite steht die Linkspartei. Deutlich kleiner, mit nur einer Sturmspitze, Lafontaine, und einem rechten Flügel, der sich fragt, weshalb er überhaupt bei der Minderheitentruppe mitspielen muss. Dazu ein linker Flügel, der alternative Strategien durchspielt, für die keine Spieler bereit stehen.
Damit ähnelt die Linkspartei Bebels SPD im Kaiserreich: Hinter einem charismatischen Führer verbirgt sich eine Partei, die den Zuschauern von der Mehrheitstruppe als gesellschaftsumstürzende Gefahr dargestellt wird, sich selbst aber keineswegs sicher ist, ob sie diese Rolle überhaupt spielen will.
Bei dieser Mannschaftsaufstellung ist das Match zur neoliberalen Restauration kaum noch zu verlieren. Es sei denn, die Zuschauer sind des Spiels einer Westerwelle-Steinmeier-Merkel-Mehrheit gegen eine Lafontaine-Minderheit überdrüssig und greifen selbst ins Spielgeschehen ein. Das wäre dann allerdings ein anderes Spiel, bei dem Ziel und Sieger nicht im Voraus feststehen, sondern erst festzulegen und dann zu erkämpfen sind.
Linke Strategiediskussionen können hierzu einen Beitrag leisten. Ohne die Mobilisierung neuer Mitspieler wird die Rechnung für die Krise und das politische Krisenmanagement weiterhin den subalternen Klassen präsentiert.


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