SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 18

Der ewige Traum vom Business ohne Risiko

Deutsche Konzerne dürfen im Ausland wüten

von Gaby Weber

Die Daimler Benz AG wird für ihre Beteiligung an Gräueltaten unter der argentinischen Militärdiktatur nicht zur Rechenschaft gezogen.
Der District Court in San Francisco hat entschieden, das Verfahren gegen die Daimler AG nicht zu eröffnen. Die Hinterbliebenen der ermordeten Betriebsräte von Mercedes-Benz Argentina hatten 2004 geklagt. Rechtsgrundlage ist das Alien Tort Claims Act (ATCA) aus dem Jahr 1789, das Ausländern den Zugang zu US-Gerichten erlaubt, wenn internationales Recht verletzt ist.
Die Kläger werfen dem deutschen Autobauer vor, sich während der argentinischen Militärdiktatur seiner unbequemen Betriebsräte entledigt und Babys von verschwundenen Regimegegnern angeeignet zu haben.
In Deutschland wurden die Verfahren nicht eröffnet bzw. eingestellt, obwohl Verbrechen gegen die Menschheit nicht verjähren. Das Oberlandesgericht Karlsruhe verhinderte sogar die Klagezustellung: die nationale Sicherheit sei in Gefahr. In Argentinien kommen die Strafverfahren nicht voran, Akten verschwinden, Beweisanträge werden verfälscht, Zeugen bedroht. Da schien der Weg in die USA die letzte Möglichkeit, Gerechtigkeit herzustellen. Nicht zuletzt der Amtsantritt von Präsident Obama ließ die Kläger hoffen.
Doch zwei von drei Bezirksrichtern haben das negative Urteil der ersten Instanz bestätigt. Die Daimler AG hatte behauptet, durch das Verfahren in Kalifornien würde die Souveränität Deutschlands gefährdet. Die Richter waren ihnen gefolgt, in der ersten wie jetzt in der zweiten Instanz. Es gebe ein „alternatives Forum” (also einen anderen Gerichtsort als Argentinien oder Deutschland), und Mercedes-Benz USA sei nicht direkte Agentin des Stuttgarter Unternehmens und daher für die Handlungen der Daimler AG nicht gerichtlich zu belangen. Die beiden kalifornischen Richterinnen taten damit etwas, was nur dem Kongress zusteht: Sie annullierten ein Gesetz.
Mit keinem Wort gingen sie auf die von den Klägern vorgebrachten Argumente ein, sondern jonglierten mit Formalien: die Daimler AG besitze über ihre US-Niederlassung keine „systematische Kontrolle”, was damit bewiesen wurde, dass sich vor acht Jahren einmal Mercedes-Benz USA geweigert hatte, die G-Klasse zu verkaufen.
Auf über der Hälfte der 32-seitigen Urteilsbegründung brachte Richter Stephen Reinhardt seine abweichende Meinung zu Papier. Es scheint, dass nur er die Akte gelesen hat. Durch ein abweisendes Urteil, so Reinhardt, würden ausländische Konzerne vor der US-amerikanischen Justiz geschützt, während sie gleichzeitig auf dem US-Markt astronomische Profite einfahren würden. Die deutsche Daimler AG erziele 45% ihres gesamten Gewinnes mit Verkäufen in den USA, allein in Kalifornien 2,4%.
Das Stuttgarter Unternehmen ist alleiniger Inhaber des Aktienkapitals von Mercedes-Benz-USA, und die Niederlassung muss alle Werbekampagnen sowie die Besetzung von Chefposten absegnen lassen.
Reinhardt erklärte auch, durch die Eröffnung eines Verfahrens würde die deutsche Souveränität nicht verletzt. „Als die Daimler AG beschlossen hat, in den Vereinigten Staaten Geschäfte zu machen, ist sie das Risiko eingegangen, Objekt der US-Justiz zu werden.” Die Aufklärung der Ereignisse liege auch im Interesse der USA, um „den ewigen Traum zu realisieren, dass Menschen nie mehr brutale Gewalt erleiden müssen” Die beiden Richterinnen sahen das anders.
Unklar ist, ob politischer Druck aus Berlin bei der Entscheidung mitgespielt hat. Zwar teilte mir das deutsche Außenministerium mit, dass die „Bundesregierung (keine) Einwände gegen das Verfahren erhoben hat” Das Bundeskanzleramt allerdings verweigert bis heute eine Antwort, ob, und wenn ja welche, Meinung Angela Merkel zu den Menschenrechtsverletzungen in Argentinien hat.
Das Stuttgarter Unternehmen ist mit dem Urteil aus San Francisco „dem ewigen Traum” des Kapitals näher gekommen, überall auf der Welt Geschäfte zu machen aber nirgendwo dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Business grenzenlos und risikolos.
Dass die US-Justiz den Inhalt des ATCA aufgehoben hat, war nur der erste Schritt. Denn die Konzerne wollen sich auch nicht vor einem „alternativen Forum” verantworten — das zeigt gerade die Chevron Corp. auf ihrer Homepage (www.chevron.com/ecuador).
Der Konzern hat jahrelang den Regenwald Ecuadors zerstört und steht in Quito vor einem Zivilgericht. Es geht um eine Entschädigung in Höhe von 27 Mrd. US-Dollar. Die Richter seien voreingenommen und korrupt, sollen heimlich aufgezeichnete Videoaufzeichnungen belegen. Chevron will offensichtlich verhindern, dass ein Urteilsspruch aus Quito in den USA vollstreckt wird.

Das vollständige Urteil kann von der Homepage der Autorin heruntergeladen werden.


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