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Münterfering hat ein Bauernopfer gebracht, Andrea Nahles soll Generalsekretärin werden, Sigmar Gabriel
will die SPD demokratisieren — ist jetzt alles in Ordnung?
Zunächst mal ist es notwendig, dass es in der SPD einen grundsätzlichen Erneuerungsprozess gibt. Dafür
müssen auf dem Parteitag die Signale gesetzt werden, der Parteitag muss ein Beginn sein. „Alles ist wieder
gut”, davon sind wir noch weit entfernt.
Werdet ihr auf dem Parteitag zu konkreten Fragen Forderungen stellen?
Ja. Wir wollen, dass die SPD sich klar wird, warum sie in die Situation gekommen ist, in der sie jetzt ist. Dazu
gehört für uns eine inhaltliche, strategische und organisatorische Erneuerung.
Bei der inhaltlichen Erneuerung muss es vor allem um eine
Analyse gehen, wie es passieren konnte, das die Schere zwischen arm und reich so auseinander gegangen ist, obwohl die SPD
elf Jahre an der Bundesregierung beteiligt war — da ist auch die eigene Regierungspolitik kritisch zu hinterfragen.
Was die Rente mit 67 und die Hartz-Gesetze angeht, erwarten wir schon, dass es dazu selbstkritische Positionen gibt.
Gerade was Hartz IV betrifft, ist einiges in die falsche Richtung gelaufen. Es muss Signale geben, dass man sich jetzt
anders aufstellen will.
Zur inhaltlichen Erneuerung gehört außerdem
eine sehr grundsätzliche Diskussion darüber, wie man mit linken, alternativen Vorstellungen wieder in die
Offensive kommt. Es kann nicht angehen, dass man nur Rückzugsgefechte führt, man muss auch diskutieren: Wo
liegen die Probleme in unserer Gesellschaft? Was sind linke und alternative Antworten darauf? Auf dem Parteitag wird man
dazu zunächst nur Fragen und Richtungen formulieren können, die Diskussion darüber muss dann in einem
demokratischen Prozess in der Partei stattfinden.
Was die strategische Erneuerung angeht, sind wir der
Meinung, dass das Tabu: „Mit der Linkspartei darf nicht geredet werden”, fallen muss.
Organisatorische und strukturelle Erneuerung heißt
auf jeden Fall, dass die innerparteiliche Demokratie wieder ernst genommen werden muss, dass nicht mehr von oben nach
unten durchregiert wird.
Werdet ihr einen Antrag stellen, dass die SPD sich von der Agenda 2010 verabschieden muss?
Es wird einen Leitantrag geben, wir warten erst einmal ab, wie der ausfällt, und stellen gegebenenfalls
Änderungsanträge. Wir würden sicher keinen Antrag stellen, dass die SPD sich von der Agenda 2010 abwenden
soll, sondern wir würden fordern, dass es eine differenzierte Auseinandersetzung damit gibt. Es gab ja im Rahmen der
Agenda 2010 durchaus Sachen, die richtig waren: z.B. der Ausbau der Ganztagsschulen, auch die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist nicht per se falsch. Man muss danach fragen, was falsche Maßnahmen waren. Dazu
gehören für mich die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien, die Einführung von Sanktionen gegen
Langzeitarbeitslose, die verschärften Kontrollen über Arbeitslose, die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaften
— das wären so konkrete Punkte, die wir fordern würden abzuschaffen.
Gibt es bei euch auch eine Debatte über die Höhe der Regelsätze?
Ja, das gehört auch dazu, und vor allem ein eigenständiger Regelsatz für Kinder.
Die SPD hat ja am meisten bei Arbeitslosen und Arbeitern verloren. Ist das für euch ein zentrales Thema und
welche Vorstellungen habt ihr, da wieder Terrain gut zu machen?
Die SPD war immer die Partei, die für die sozial Schwächeren da war. Das ist der Anspruch, der an sie
gestellt wird. Dieses Vertrauen hat die SPD in den letzten elf Jahren verspielt. Mein Anspruch an die SPD ist, dass sie
dafür sorgt, dass jeder in dieser Gesellschaft menschenwürdig leben kann. Das Vertrauen der Arbeitslosen und
Geringverdienenden muss wiederhergestellt werden. Dafür ist es auch wichtig, dass man auf den Dialog z.B. mit
Vertretern von Arbeitsloseninitiativen und natürlich auch mit den Gewerkschaften setzt.
Nun ist Gabriel nicht gerade als jemand bekannt, der kritisch zur Agenda 2010 steht. Wie geht ihr damit um?
Das ist natürlich eine Schwierigkeit für die Gesamtpartei, es ist die eigene Politik, die da zur Diskussion
steht. Auf der anderen Seite führt aber kein Weg daran vorbei. Ich finde es ehrlicher und glaubwürdiger zu
sagen: Das hat damals eine Mehrheit anders gesehen, der Neoliberalismus war damals ideologisch dominant, man hat die
Weichen falsch gestellt. Heute sieht man, dass die gesellschaftliche Spaltung zugenommen hat, und deshalb kann man an der
Politik von damals nicht festhalten. Da führt kein Weg dran vorbei, die SPD kann ihre Augen vor dem Zustand der
Gesellschaft nicht verschließen. Das erwarte ich auch von Gabriel, auch wenn es schwer ist für die, die in den
letzten Jahren Verantwortung getragen haben.
Nun gibt es in der SPD viele, die den Schröder-Kurs gut fanden und auch noch gut finden. Habt ihr Mitstreiter
für eure Forderung nach einem Umdenken?
Ich habe schon das Gefühl, dass sehr viele Leute mitziehen. Die Jusos waren nicht die einzigen, die die Agenda
2010 kritisiert haben, der Unmut an der Basis ist sehr groß. Er betrifft natürlich die inhaltlichen Fragen, er
betrifft aber auch die Frage, wie Politik gemacht wird.
Stellt ihr euer Dokument „SPD erneuern” zur Abstimmung?
Ja, das ist unser Antrag als Jusos. Wir gehen aber davon aus, dass die zentrale Auseinandersetzung um den Leitantrag
gehen wird, und da wollen wir mit Änderungsanträgen arbeiten.
Gibt es für euch irgendwo einen Punkt, wo ihr sagen würdet: Da fährt der Zug aber in eine ganz
falsche Richtung?
Für uns ist entscheidend, dass es diese inhaltliche, strategische und organisatorische Erneuerung gibt. Das
hängt davon ab, wie sich die Diskussion um den Leitantrag darstellt. In jedem Fall kann man sagen, dass die Stimmung
an der Basis recht aufgeheizt ist, das konnte man jetzt auch auf dem Landesparteitag in Berlin wieder sehen. Auch im
Thüringer Landesverband gibt es eine lebhafte Diskussion.
In eurem Antrag spielt der Einsatz in Afghanistan keine Rolle. Ist das kein Thema für euch?
Bei den Jusos spielt das Thema eine große Rolle, weil der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr unter einer rot-
grünen Regierung stattfand. Ich war auch gegen den Afghanistan-Einsatz. Trotzdem kann man meines Erachtens nicht
sagen: Die Truppen sollen morgen raus. Die Bundeswehr ist da jetzt schon einige Jahre, ein überhasteter Abzug
würde zu einem Bürgerkrieg führen. Ziel muss sein, dass Afghanistan in Frieden lebt, es muss alles
für einen zivilen Wiederaufbau getan werden, dazu trägt der OEF-Einsatz definitiv nicht bei, deswegen fordern
wir auch dessen sofortige Beendigung. Was ISAF betrifft, sieht die Sache anders aus, da braucht es den Aufbau einer
zivilen Perspektive und die Erarbeitung eines Abzugsplans.
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