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Lange Jahre galt in Deutschland das geflügelte Wort, es sei unmöglich, nicht von
der FDP regiert zu werden. Tatsächlich waren die Liberalen mit Ausnahme der Zeit der ersten Großen Koalition
1966—1969 bis zum Wahlsieg von Rot-Grün 1998 an allen Bundesregierungen beteiligt. Als Partei des
Besitzindividualismus veränderte sie ihr Gesicht mehrfach, und als „Umfallerpartei” hatte sie immer ein
mehr als opportunistisches Verhältnis zur Macht.
Wiewohl es sich bei der FDP zunächst
hauptsächlich um eine antikatholische und antisozialistische Milieupartei des protestantisches Mittelstands
handelte, nahm sie ab 1949 in den vom Oberkatholiken Adenauer geführten Regierungen ihren Platz ein und
unterstützte auch die wesentlichen Grundausrichtungen des westdeutschen Staates wie die Westintegration,
Remilitarisierung und den NATO-Beitritt, die „soziale Marktwirtschaft” sowie die Gründung der EWG.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit setzte sich
zunächst der eher linksliberale Flügel um Theodor Heuss und Reinhold Maier (Mitglied der DDP in der Weimarer
Republik) mit seinen Demokratisierungsforderungen durch. Nach der Gründung der BRD kam es jedoch zu einem massiven
Zustrom von Leuten, die in der Nazizeit sozialisiert worden waren oder gar der NSDAP angehört hatten.
Diese schwarzbraunen Teile der FDP spielten besonders in
Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine bedeutende Rolle. Sie schimpften auf die Alliierten und die Methoden
der „Entnazifizierung” und beklagten das „Unrecht der Vertreibung” Sie verkündeten den Stolz
auf die Nation und verbaten sich Kritik am deutschen Soldatentum. Diese Strömung wollte aus der FDP eine Art
nationaler Sammlungsbewegung machen. Sie verfasste ein „Deutsches Programm”, das auf dem Parteitag 1952
sicherlich eine Mehrheit gefunden hätte; die Verfasser verzichteten aber schließlich auf eine Abstimmung, um
die drohende Spaltung der Partei abzuwenden. Doch die Bedeutung dieser Strömung zeigte sich noch 1960 in der Wahl
des Wehrmachtsoffiziers Erich Mende zum Parteivorsitzenden.
Als Gegenbewegung formierten sich seit Mitte der 50er Jahre die Jungtürken um Willi Weyer, Wolfgang Döring
und Walter Scheel, die sich der Umklammerung durch Adenauer entziehen wollten und 1956 in Nordrhein-Westfalen gegen den
Willen der Parteiführung die erste sozialliberale Koalition bildeten. Ihnen ging es darum, die FDP zu einer
„Scharnierpartei” zu machen, die ihren Handlungsspielraum durch Koalitionen mit beiden Volksparteien
erweitern konnte. Diese Politik setzte sich in den späten 60er Jahren unter Karl-Hermann Flach schließlich
durch und machte 1969 den Weg frei für die sozialliberale Koalition unter Brandt und Scheel.
In der Koalition mit der SPD setzte die FDP die neue
Ostpolitik und zahlreiche Reformen im Bereich der Bildung und des Strafrechts um; sie verstand sich aber auch als
wirtschaftsfreundlicher Wächter der Marktwirtschaft. Diese Rolle sorgte dafür, dass die Partei trotz geringer
Spendenbereitschaft der Mitgliedschaft über umfangreiche Zuwendungen aus der Industrie verfügen konnte.
Diese sozialliberale Ausrichtung und die Abspaltung der
Rechten verhinderten später, dass die FDP auf einen rechtspopulistischen Weg à la Österreich oder
Skandinavien einschwenkte, obwohl der FDP wegen des Koalitionswechsels 1982 zu Kohl der eigentliche linksliberale
Flügel großenteils wegbrach.
Nach dem Anschluss der DDR wuchs die Partei durch die
Übernahme der LDPD auf etwa 200000 Mitglieder an, von denen sie aber binnen weniger Jahre gut zwei Drittel wieder
verlor. Ihre Politik der Durchsetzung der Marktwirtschaft und der Massenarbeitslosigkeit durch Privatisierung führte
dazu, dass die Mitglieder in Scharen flüchteten und die Partei aus allen ostdeutschen Landtagen flog. Der
Genscherismus — eine Politik des Ausgleichs zwischen Ost und West — machte nach dem Zusammenbruch des
Ostblocks keinen Sinn mehr. Und die Parteiführung unter Kinkel, später Gerhardt, war nicht mehr in der Lage,
wichtige Reformen wie die Einführung der Pflegeversicherung oder die Gesundheitsreform zu verhindern, wie Teile des
Unternehmerlagers es von ihr erwarteten.
Kulturell wirkte die Partei entweder altbacken oder
yuppiemäßig (die „Partei der Besserverdienenden"), sodass der eher linksliberale neue akademische
Mittelstand sich zumeist an den Grünen orientierte. Am Ende der Ära Kohl waren die Liberalen finanziell und
personell ausgeblutet, und die Partei drohte, im Orkus der Geschichte zu verschwinden.
Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün 1998 begannen für die FDP im Bund elf lange Jahre auf den
Oppositionsbänken. In dieser Zeit setzte sich Guido Westerwelle zunächst als Generalsekretär durch und
erbte dann von Wolfgang Gerhardt den Parteivorsitz. Er richtete die FDP auf eine Art Dreiklang aus: ein Mann auf allen
Kanälen (Westerwelle), ein Thema (die Steuern) und eine Option (eine „bürgerliche Regierung”, keine
Ampelkoalition).
Vor dem Hintergrund einer sich weltweit immer
stärker durchsetzenden neoliberalen Wirtschaftsdogmatik und den gigantischen Kosten der deutschen Einheit, die bei
vielen Steuerzahlern Ärger hervorriefen, bediente er die gegen den „Steuer- und Abgabenstaat”
gerichteten Ressentiments zahlreicher Zeitgenossen. Die Schizophrenie dieser Politik liegt darin, dass die FDP dabei noch
stets die Subventionserwartungen ihrer Klientel (z.B. Bauern, Ärzte, Gewerbetreibende) reichlich bedient hat.
Westerwelle wurde in der Medienlandschaft zu einem
Politikverkäufer, der im „Guidomobil” durchs Land tingelte oder sogar dem Container von „Big
Brother” seine Aufwartung machte; daher sehen zwei Drittel der Deutschen in ihm einen
„Spaßpolitiker” ohne wirkliches politisches Profil. Er und seine Entourage achten darauf, immer
geschniegelt in Markenklamotten und dem neuesten Handy herumzulaufen, damit die brutalen Inhalte unter der gelackten
Oberfläche nicht zum Vorschein kommen.
Das mit 14,6% beste Wahlergebnis der FDP-Geschichte (Bundestagswahl 2009) muss auch als rechte Protestwahl gegen die
Große Koalition interpretiert werden, denn ein Drittel der FDP-Wähler hat die Erststimme an die Union vergeben.
Die FDP erhielt 1,1 Mio. Stimmen von der Union, aber auch 520.000 von der SPD, sogar 10% der Arbeitslosen sollen FDP
gewählt haben. Da aber die Parteibindungen stark nachlassen und demnächst die konkrete Politik der FDP bewertet
werden wird, dürfte es schnell zu Desillusionierungen kommen.
Die im Wahlkampf 2009 verwendete Hauptparole
„Arbeit muss sich wieder lohnen” (mit Anklängen an die Nazi-Ideologie) fasst die wirtschaftsliberale
Ideologie der FDP recht gut zusammen. Seit mindestens zehn Jahren wiederholt Westerwelle den immergleichen Satz, es
brauche eine einfachere, niedrigere und gerechtere Besteuerung.
Das Stufenmodell der FDP mit Sätzen von 10, 25 und
35% würde je nach Ausgestaltung zu Steuerausfällen von wahrscheinlich annähernd 100 Milliarden Euro
führen. Wie dann noch höhere Ausgaben in die Bildung finanziert werden sollen, von denen in allen
Wahlkampfreden gesprochen wurde, bleibt unbekannt; einige Illusionisten erwarten sich wohl ein solches
Wirtschaftswachstum, dass genügend Steuern fließen würden. Die Abschaffung der Gewerbesteuer würde
den Finanzrahmen der Kommunen noch weiter einschränken und sie zwingen, noch ihre letzten Eigenbetriebe zu
verramschen.
Der zweite und noch gefährlichere Teil des Mottos
richtet sich gegen die Abgaben für den Sozialstaat. „Mehr Netto vom Brutto” würde schlichtweg
bedeuten, dass man die Zahlungen in die Rentenkasse, an die Krankenkassen oder für die Arbeitslosenversicherung
reduziert und damit die Leistungen, die für die Alten und Kranken erbracht werden. Dies nennt sich dann
Stärkung der Eigenverantwortung.
Die steuerfinanzierten Sozialleistungen (also etwa Hartz
IV) sollen zu einem „Bürgergeld” zusammengefasst werden, dessen Höhe mit 662 Euro beziffert wird
— was zumindest angesichts des Mietniveaus in den Großstädten auf eine deutliche Absenkung der Leistungen
hinausliefe. Das trifft sich mit neoliberalen Professoren, die ebenfalls Sozialstaatskürzungen in der
Größenordnung von 30% propagieren. Außerdem drohen unter dem Motto „Konzentration aufs
Wesentliche” massive Ausgliederungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, die dann selbst
bezahlt oder privat versichert werden müssten.
Aus heutiger Sicht lässt sicher noch nicht erkennen,
ob und in welchem Umfang die Rechtskoalition, die keine strukturelle Mehrheit in der Gesellschaft hat, die Konfrontation
mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen suchen wird, denn Angela Merkels Erfahrungen mit der beinahe
verlorenen Wahl 2005 dürften ihren Aktionismus bremsen. Auf der andern Seite sind es die Verwerfungen der
Wirtschaftskrise, die auf Seiten des Kapitals und seiner Wortführer massiven Druck aufbauen, jetzt endlich
„ans Eingemachte” zu gehen.
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