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Auch in Ver.di beginnt wieder eine Diskussion über Arbeitszeitverkürzung. Die
Ver.di-Linke NRW hatte am 11.Oktober zu diesem Thema nach Dortmund eingeladen.
Der Wirtschaftswissenschaftler an der FH Gelsenkirchen,
Heinz-J.Bontrup, betonte gleich zu Anfang in seinem Einleitungsbeitrag: Arbeitszeitverkürzung bei vollem
Lohnausgleich ist verteilungsneutral, den Unternehmern wird von ihren Gewinnen nichts weggenommen.
Wie das, da wird Arbeit doch teurer? Ja, aber da die
Produktivität schneller steigt als das Wachstum, und die Beschäftigten ein Anrecht an dem Ertrag aus der
Produktivitätssteigerung haben, bleibt das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit gleich. Inflationsausgleich
plus Produktivitätssteigerung ist die Formel, mit der die Gewerkschaften ihre Tarifforderungen berechnen; in den
letzten Tarifrunden war allerdings häufig nur der Inflationsausgleich durchzusetzen.
Diese Rechnung sollte den Anwesenden die Angst davor
nehmen, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sei eine ungebührlich hohe Forderung und in der Krise
nicht zu vermitteln. Dem ist nicht so; es wird nur gefordert, dass die Beschäftigten ihren vollen Anteil an der
Zunahme der Produktivität erhalten und diese in Arbeitszeit ummünzen, nicht in Lohn. In den letzten Jahren
wurde ihnen dieser Anteil oft genug verweigert, wie die Abnahme der Lohnquote (des Anteils der Löhne und
Gehälter am Volkseinkommen: 74% im Jahr 2006 — so hoch wie 1970) zeigt.
Arbeitszeitverkürzung war in den 70er und 80er Jahren ein Thema, mit dem die Gewerkschaften eine konkrete
Alternative zum real existierenden Kapitalismus aufzeigen konnten. Der Kampf um die 35-Stunden-Woche wurde als Tarifkampf
geführt, aber die Lebensbereiche, in die die Arbeitszeitverkürzung ausstrahlen sollte, gingen weit über
den Betrieb hinaus: „Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen” war damals eine Hauptparole.
Trotz des Arbeitskampfs in der Druck- und Metallindustrie
1984/85 zog sich die Einführung der Arbeitszeitverkürzung über Jahre hin: Erst 1995 wurde endgültig
die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Druckindustrie eingeführt, später noch in der holzverarbeitenden
Industrie, in keinem anderen Wirtschaftssektor sonst.
Die Arbeitszeitverkürzung war verbunden mit einem
massiven Ausbau flexibler Arbeitszeiten und einer erheblichen Arbeitsverdichtung. Hinzu kommt, dass die Reallöhne
seit den 90er Jahren gesunken sind. Beides zusammen hat bewirkt, dass die Diskussion über Arbeitszeitverkürzung
in den Betrieben von der Bildfläche verschwunden ist; auch die Gewerkschaften wollen sie heute nicht mehr.
Die Produktivität wächst nach wie vor schneller als der Wirtschaftsausstoß — zwischen 1991 und
2006 um 2,1% gegenüber einem Wirtschaftswachstum von 1,8%. Das bedeutet, dass regelmäßig
Arbeitskräfte freigesetzt werden. Weil die Verkürzung der Arbeitszeit, die eine Kompensation für
höhere Produktivität sein könnte, bei Tarifverhandlungen keine Rolle mehr spielt, verfallen die
Löhne.
Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten 15 Jahren im
Durchschnitt auf 4 Millionen gestiegen. Das sind die offiziellen Zahlen. Tatsächlich unterbeschäftigt sind etwa
8—9 Millionen Menschen. Dieses „Überangebot” an Arbeitskraft drückt auf das Lohnniveau. Wer
es wieder anheben will, muss also dafür sorgen, dass die Arbeitszeit umverteilt wird, Erwerbslose wieder in
Beschäftigung kommen und die Arbeitszeit für die Beschäftigten verkürzt wird.
Arbeitszeitverkürzung ist aber vielfach auch eine
ganz dringende individuelle Notwendigkeit für solche Beschäftigte, die immer lauter unter unmenschlichen
Arbeitsbedingungen klagen. Ihnen erscheint ihre individuelle Arbeitszeitverkürzung einleuchtend.
Darüber hinaus ist Arbeitszeitverkürzung aber
auch eine absolute Voraussetzung dafür, dass abhängig Beschäftigte aktiv gesellschaftlich und politisch an
der Gesellschaft teilhaben können.
Von der Logik her leuchtet Arbeitszeitverkürzung unmittelbar ein. Dennoch wurde sie immer nur in Zeiten der
Revolution (1918 der Acht-Stunden-Tag) oder der Vollbeschäftigung (in den 50er Jahren die Fünf-Tage-Woche bei
einem Acht-Stunden-Tag) verwirklicht. In Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit wurden die Arbeitszeiten immer
verlängert. Ein Widersinn, der sich nur durch die verschärfte Konkurrenz bei insgesamt schlechterer
Wirtschaftslage zu erklären ist.
Diesen Kampf wieder aufzunehmen bedeutet, dem Streben des
Kapitals nach erhöhter bis grenzenloser Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben. Arbeitszeitverkürzung bei vollem
Lohnausgleich ist keine Unverschämtheit der Beschäftigten, sondern eine sachlich völlig richtige, dabei
gesellschaftlich verantwortliche Forderung, die allerdings dem Streben nach Maximalprofit entgegensteht.
Deswegen ist sie so schwer durchzusetzen, und deswegen
hat Heinz-J.Bontrup darauf verwiesen: Das ist eine Machtfrage. Auch Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart argumentierte
dafür, diese Auseinandersetzung nicht allein als tarifliche, sondern als eine gesellschaftspolitische anzugehen. Als
solche kann sie nicht nur von einer Gewerkschaft geführt werden, sie muss sich auf die andern Gewerkschaften, die
abhängig Beschäftigten, die Erwerbslosen und die Politik ausdehnen. Es bedarf einer anhaltenden, breit
angelegten Kampagne.
Die Ver.di-Linke will damit anfangen, dass die
Arbeitszeitverkürzung Bestandteil der kommenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst wird. Das Treffen hat eine
Erklärung verabschiedet, die auf die innergewerkschaftliche Willensbildung zielt.
Aber auch in den Betrieben ist Arbeit zu leisten. Da
reichen die Beschäftigungsverhältnisse von unterbeschäftigt bis zu 24-Stunden-Schichten. Unterschiedliche
Interessen sind auf einen Nenner zu bringen. Die etwa 50 Anwesenden aus verschiedenen Bundesländern waren sich
deshalb nicht einig, ob die Arbeitszeitverkürzung lieber in einer konkreten Zahl ausgedrückt werden sollte
(z.B. die 30-Stunden-Woche) oder ein flexiblerer Ansatz zu wählen sei. Denn nicht nur die Länge, auch die Lage
der Arbeitszeit spielt eine Rolle.
Frauen meldeten sich wieder zu Wort mit der Forderung,
die Familien- und Sorgearbeit in die Kampagne einzubeziehen. Erwerbslose beharrten auf der Notwendigkeit, über der
Arbeitszeitverkürzung nicht die angemessene Sicherung für Erwerbslose zu vergessen, und forderten das
bedingungslose Grundeinkommen, was in diesem Rahmen auf harschen Protest stieß; leider wurde das nicht weiter
diskutiert.
Die Schuldenbremse für die Staatsausgaben (im
öffentlichen Dienst) will solchen Ansprüchen natürlich einen Riegel vorschieben. Aber auch das kann
überwunden werden, wenn Menschen realisieren, dass die Zukunft ihrer Kinder wichtiger ist als das Wohlergehen von
Banken.
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