SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 9

Neuer Anlauf für Arbeitszeitverkürzung

Vorstoß der Ver.di-Linken für die kommende Tarifrunde

von Angela Klein

Auch in Ver.di beginnt wieder eine Diskussion über Arbeitszeitverkürzung. Die Ver.di-Linke NRW hatte am 11.Oktober zu diesem Thema nach Dortmund eingeladen.
Der Wirtschaftswissenschaftler an der FH Gelsenkirchen, Heinz-J.Bontrup, betonte gleich zu Anfang in seinem Einleitungsbeitrag: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist verteilungsneutral, den Unternehmern wird von ihren Gewinnen nichts weggenommen.
Wie das, da wird Arbeit doch teurer? Ja, aber da die Produktivität schneller steigt als das Wachstum, und die Beschäftigten ein Anrecht an dem Ertrag aus der Produktivitätssteigerung haben, bleibt das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit gleich. Inflationsausgleich plus Produktivitätssteigerung ist die Formel, mit der die Gewerkschaften ihre Tarifforderungen berechnen; in den letzten Tarifrunden war allerdings häufig nur der Inflationsausgleich durchzusetzen.
Diese Rechnung sollte den Anwesenden die Angst davor nehmen, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sei eine ungebührlich hohe Forderung und in der Krise nicht zu vermitteln. Dem ist nicht so; es wird nur gefordert, dass die Beschäftigten ihren vollen Anteil an der Zunahme der Produktivität erhalten und diese in Arbeitszeit ummünzen, nicht in Lohn. In den letzten Jahren wurde ihnen dieser Anteil oft genug verweigert, wie die Abnahme der Lohnquote (des Anteils der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen: 74% im Jahr 2006 — so hoch wie 1970) zeigt.

Je nötiger, desto schwerer

Arbeitszeitverkürzung war in den 70er und 80er Jahren ein Thema, mit dem die Gewerkschaften eine konkrete Alternative zum real existierenden Kapitalismus aufzeigen konnten. Der Kampf um die 35-Stunden-Woche wurde als Tarifkampf geführt, aber die Lebensbereiche, in die die Arbeitszeitverkürzung ausstrahlen sollte, gingen weit über den Betrieb hinaus: „Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen” war damals eine Hauptparole.
Trotz des Arbeitskampfs in der Druck- und Metallindustrie 1984/85 zog sich die Einführung der Arbeitszeitverkürzung über Jahre hin: Erst 1995 wurde endgültig die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Druckindustrie eingeführt, später noch in der holzverarbeitenden Industrie, in keinem anderen Wirtschaftssektor sonst.
Die Arbeitszeitverkürzung war verbunden mit einem massiven Ausbau flexibler Arbeitszeiten und einer erheblichen Arbeitsverdichtung. Hinzu kommt, dass die Reallöhne seit den 90er Jahren gesunken sind. Beides zusammen hat bewirkt, dass die Diskussion über Arbeitszeitverkürzung in den Betrieben von der Bildfläche verschwunden ist; auch die Gewerkschaften wollen sie heute nicht mehr.

Warum wieder Arbeitszeitverkürzung?

Die Produktivität wächst nach wie vor schneller als der Wirtschaftsausstoß — zwischen 1991 und 2006 um 2,1% gegenüber einem Wirtschaftswachstum von 1,8%. Das bedeutet, dass regelmäßig Arbeitskräfte freigesetzt werden. Weil die Verkürzung der Arbeitszeit, die eine Kompensation für höhere Produktivität sein könnte, bei Tarifverhandlungen keine Rolle mehr spielt, verfallen die Löhne.
Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten 15 Jahren im Durchschnitt auf 4 Millionen gestiegen. Das sind die offiziellen Zahlen. Tatsächlich unterbeschäftigt sind etwa 8—9 Millionen Menschen. Dieses „Überangebot” an Arbeitskraft drückt auf das Lohnniveau. Wer es wieder anheben will, muss also dafür sorgen, dass die Arbeitszeit umverteilt wird, Erwerbslose wieder in Beschäftigung kommen und die Arbeitszeit für die Beschäftigten verkürzt wird.
Arbeitszeitverkürzung ist aber vielfach auch eine ganz dringende individuelle Notwendigkeit für solche Beschäftigte, die immer lauter unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen klagen. Ihnen erscheint ihre individuelle Arbeitszeitverkürzung einleuchtend.
Darüber hinaus ist Arbeitszeitverkürzung aber auch eine absolute Voraussetzung dafür, dass abhängig Beschäftigte aktiv gesellschaftlich und politisch an der Gesellschaft teilhaben können.

Eine Machtfrage

Von der Logik her leuchtet Arbeitszeitverkürzung unmittelbar ein. Dennoch wurde sie immer nur in Zeiten der Revolution (1918 der Acht-Stunden-Tag) oder der Vollbeschäftigung (in den 50er Jahren die Fünf-Tage-Woche bei einem Acht-Stunden-Tag) verwirklicht. In Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit wurden die Arbeitszeiten immer verlängert. Ein Widersinn, der sich nur durch die verschärfte Konkurrenz bei insgesamt schlechterer Wirtschaftslage zu erklären ist.
Diesen Kampf wieder aufzunehmen bedeutet, dem Streben des Kapitals nach erhöhter bis grenzenloser Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist keine Unverschämtheit der Beschäftigten, sondern eine sachlich völlig richtige, dabei gesellschaftlich verantwortliche Forderung, die allerdings dem Streben nach Maximalprofit entgegensteht.
Deswegen ist sie so schwer durchzusetzen, und deswegen hat Heinz-J.Bontrup darauf verwiesen: Das ist eine Machtfrage. Auch Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart argumentierte dafür, diese Auseinandersetzung nicht allein als tarifliche, sondern als eine gesellschaftspolitische anzugehen. Als solche kann sie nicht nur von einer Gewerkschaft geführt werden, sie muss sich auf die andern Gewerkschaften, die abhängig Beschäftigten, die Erwerbslosen und die Politik ausdehnen. Es bedarf einer anhaltenden, breit angelegten Kampagne.
Die Ver.di-Linke will damit anfangen, dass die Arbeitszeitverkürzung Bestandteil der kommenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst wird. Das Treffen hat eine Erklärung verabschiedet, die auf die innergewerkschaftliche Willensbildung zielt.
Aber auch in den Betrieben ist Arbeit zu leisten. Da reichen die Beschäftigungsverhältnisse von unterbeschäftigt bis zu 24-Stunden-Schichten. Unterschiedliche Interessen sind auf einen Nenner zu bringen. Die etwa 50 Anwesenden aus verschiedenen Bundesländern waren sich deshalb nicht einig, ob die Arbeitszeitverkürzung lieber in einer konkreten Zahl ausgedrückt werden sollte (z.B. die 30-Stunden-Woche) oder ein flexiblerer Ansatz zu wählen sei. Denn nicht nur die Länge, auch die Lage der Arbeitszeit spielt eine Rolle.
Frauen meldeten sich wieder zu Wort mit der Forderung, die Familien- und Sorgearbeit in die Kampagne einzubeziehen. Erwerbslose beharrten auf der Notwendigkeit, über der Arbeitszeitverkürzung nicht die angemessene Sicherung für Erwerbslose zu vergessen, und forderten das bedingungslose Grundeinkommen, was in diesem Rahmen auf harschen Protest stieß; leider wurde das nicht weiter diskutiert.
Die Schuldenbremse für die Staatsausgaben (im öffentlichen Dienst) will solchen Ansprüchen natürlich einen Riegel vorschieben. Aber auch das kann überwunden werden, wenn Menschen realisieren, dass die Zukunft ihrer Kinder wichtiger ist als das Wohlergehen von Banken.


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