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Nach einer Reihe von Warnstreiks in der ersten Oktoberhälfte, in die 357 Objekte
einbezogen waren, hat eine Urabstimmung im Reinigungsgewerbe den Weg frei gemacht für den ersten unbefristeten
Erzwingungssteik, den es überhaupt in dieser Branche gibt.
Am Dienstag, dem 20.Oktober, wurde gewerkschaftliches
Neuland betreten. Um Null Uhr gab die IG BAU den Startschuss für einen Streik der Gebäudereinigerinnen,
für den 96,7% der gewerkschaftlich Organisierten gestimmt hatten. In der Branche sind 860.000 Beschäftigte
registriert. Etwa 90% der Beschäftigten arbeiten im Bereich der Unterhalts-/Innenreinigung, wo
Vollzeitarbeitsstellen die Ausnahme sind. Viele Reinigungskräfte arbeiten lediglich 2—3 Stunden pro Tag und
haben mehrere Jobs, um halbwegs über die Runden zu kommen. Etwa 80% der Beschäftigten sind weiblich, viele
haben einen Migrationshintergrund.
Ende September war der Mindestlohntarifvertrag für
450.000 Beschäftigte ausgelaufen, die Verhandlungen wurden nach sechs Runden ohne Ergebnis beendet. Die IG BAU
fordert 8,7% Lohnerhöhung für 12 Monate, eine zusätzliche Altersvorsorge und die schrittweise Angleichung
der Ost- an die Westlöhne. Das letzte Angebot der Unternehmer lag nach Berechnungen der Gewerkschaft bei 1,8% im
Westen und 2,1% im Osten. Die Reinigungsunternehmen waren bei ihrem Angbebot davon ausgegangen, dass sie keinen
Mindestlohn mehr zahlen müssen. Der IG-BAU-Vorsitzende Klaus Wiesehügel äußerte die Befürchtung,
ohne eine Einigung auf einen Mindestlohntarifvertrag, der mindestens das aktuelle Niveau halte, werde es dazu kommen,
dass die Lohnuntergrenzen bei Neueinstellungen im Westen auf unter 6 Euro, im Osten auf unter 5 Euro fallen.
Gegenwärtig liegt die Lohnuntergrenze im Westen bei 8,15, im Osten bei 6,58 Euro.
Die Arbeitsbedingungen sind hart. Die Gewerkschafterin
Angelika W., der von der TU wegen Teilnahme am Streik gekündigt wurde — die Kündigung wurde in der
Zwischenzeit gerichtlich für ungültig erklärt —, hat in drei Stunden 100 Räume zu reinigen. Die
Arbeit beginnt um 5.30 Uhr. Geputzt werden muss außer den Fußböden alles, auch die Fenster. Besonders
belastend sei die Arbeit mit den schweren Bohner- und Schamponiermaschinen und das Tragen der Wassereimer. Sie habe
mittlerweile einen kaputten Rücken und zwei Bandscheibenvorfälle.
Susanne Neumann, Bezirksvorsitzende des Emscher-Lippe-Au-
Kreises in NRW, beschrieb den Unmut ihrer Kolleginnen: Ihre Arbeit werde von niemandem honoriert, weder durch Respekt
noch durch einen angemessen Lohn. Es sei an der Zeit klarzumachen: „Wir machen zwar Dreck. Aber wir sind kein
Dreck, und das wird die Bevölkerung jetzt merken."
Am ersten Streiktag beteiligten sich rund 2200
Gebäudereinigerinnen an 134 Objekten. In Berlin waren das u.a. prominente Adressen wie die Technische
Universität, der Deutsche Bundestag, das Berliner Abgeordnetenhaus, der BND und das Schönebeger Rathaus.
Überall machten sich die Streikenden aus dem hinterlassenen Staub. Die IG BAU will eine flexible Streiktaktik
anwenden. Sie verzeichnet nach eigenen Angaben seit Streikbeginn einen „ungalublichen Mitgliederzuwachs” und
eine große Bereitschaft der Beschäftigten, den Arbeitskampf auf neue Objekte auszuweiten. Der gewerkschaftliche
Organisationsgrad lag vor Beginn des Arbeitskampfs bei 12,5%.
Der „Streik der Unsichtbaren” wird wohl einen
langen Atem benötigen. Die jetzt Sichtbaren brauchen dafür sichtbare Solidarität, die von einer
Solidaritätserklärung, über gemeinsame Besuche der örtlichen Streiklokale bis zur praktischen
Unterstützung der Streikenden reichen kann.
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