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Vom 27. bis 29.September fand in Diyarbakir im Südosten der Türkei
(Nordkurdistan) das 1.Mesopotamische Sozialforum (MSF) statt.
Die ca. 50 Workshops mit Simultanübersetzung in
Englisch, Türkisch sowie wechselweise in Arabisch, Kurdisch und Deutsch wurden von etwa 1000—1500
Teilnehmenden aus der Türkei und Syrien, dem Iran, Irak, Jordanien, Palästina und Europa besucht.
Die kurdische Frauenbewegung und Frauen aus den sozialen
Bewegungen waren sehr präsent, so gab es nach der Auftaktdemo (10.000 Leute, inklusive eines sonnenbebrillten
deutschen Antifablocks) einen beeindruckenden Fackelmarsch der Frauen durch die Innenstadt. Gleichzeitig lief fünf
Tage lang das „1. Internationale Amed-Camp” in der Tradition der europäischen „No Border"-
Camps (Amed ist der alte kurdische Name für Diyarbakir). Es wurde von deutschen autonomen und antifaschistischen
Aktivisten gemeinsam mit der kurdischen Jugendorganisation YÖKH organisiert. 150 Leute nahmen daran teil und nutzten
gemeinsam mit dem MSF die Gebäude und Rasenflächen des großzügig angelegten Sümer Parks.
Hauptorganisatorin des MSF war die kurdische
Freiheitsbewegung (Partei für eine demokratische Gesellschaft DTP, PKK, Frauenbewegung, Stadtverwaltungen). Ihr
Schlüsselbegriff „Demokratischer Konföderalismus” für eine neu zu konzipierende
sozialistische, demokratische und ökologische Gesellschaft war ein Bezugspunkt in vielen Debatten. Die Schärfe
des kurdischen Konflikts und der sozialen und politischen Kämpfe im Mittleren Osten findet sich in der
Abschlusserklärung des MSF wieder; sie greift die DTP-Parole „Freiheit oder nichts” (türkisch:
„Ya Özgürlük Ya Hiç") auf.
Das MSF war von Offenheit und Vielfalt geprägt. So
gab es bspw. einen Workshop „Warum wir nichts vom Staat fordern”, in dem kurdische und türkische
Anarchisten ihre Ideen vorstellten. Ihr Vorschlag, dass die kurdische Bewegung eine massenhafte Kriegsdienstverweigerung
sowie einen Boykott des staatlichen nationalistischen Schulwesens organisieren sollte, sorgte für eine lebhafte
Diskussion. Im Workshop „Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften im Mittleren Osten” wurde die Problematik des
informellen Sektors und der Armutsökonomie beleuchtet. Sami Evren, Vorsitzender des Dachverbands für linke
Gewerkschaften im öffentlichen Dienst (KESK), meinte, dass Gewerkschaften strukturell untauglich für den
informellen Sektor seien. Eine Veränderung wäre aber schwer, da die Funktionäre und Aktivisten sehr an den
alten Formen hingen.
Für mich als Teilnehmer aus Deutschland war das MSF
eine Gelegenheit, vom Mittleren Osten aus auf den Mittleren Osten zu schauen. So auch in der Debatte mit den
palästinensischen Teilnehmern der PFLP (Volksfront für die Befreiung Palästinas) und des jordanischen
Social Liberation Movement (SLM, ein Zusammenschluss sozialistischer und anarchistischer Linker). Die PKK kämpft
seit rund zehn Jahren nicht mehr für einen eigenen kurdischen Staat und propagiert eine antistaatliche,
kommunalistische Lösung. Dies kann vielleicht eine Anregung für einen Weg aus der Sackgasse des israelisch-
palästinensischen Konflikts sein, jenseits der Diskurse um das „Recht der Palästinenser auf einen eigenen
Staat” und das „Existenzrecht Israels”
Seit dem DTP-Erfolg bei den Kommunalwahlen im März
wurden mehr als 700 Mitglieder der DTP, des Gewerkschaftsdachverbands KESK und der Frauenbewegung verhaftet, die zum Teil
immer noch in den Gefängnissen sitzen. In der Regel wird den Verhafteten Unterstützung oder Mitgliedschaft in
der verbotenen PKK vorgeworfen. Eine kleinere, aber gezieltere Verhaftungswelle fand zwei Wochen vor dem MSF statt und
traf 19 Personen, die zumeist an der Vorbereitung beteiligt waren.
Trotzdem wurde die Veranstaltung erfolgreich und ohne
größere staatliche Behinderungen durchgeführt — zeitweilig verwirklichte Gegenmacht und befreiter
Raum mitten in einer Konfliktregion.
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