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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 17

Schwarz-Gelbe Koalitionsverhandlungen

Haushaltspläne auf Wachstumsillusionen gebaut

von Ingo Schmidt

Die Kürzungspläne liegen fertig in der Schublade. Vorerst vertraut die Regierung noch auf einen Anstieg des Wachstums. Die Blase kann in zwei Monaten platzen.
Der Amtsantritt der rot-grünen Regierungskoalition 1998 war von Visionen begleitet. Eine neue Ökonomie, eine Neudefinition sozialer Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung sollten nach 16 Jahren schwarz-gelben Muffs frischen Wind in die deutsche Gesellschaft bringen. Tatsächlich setzte sehr bald ein Kältestrom ein, der die Sozialdemokratie in Richtung 20%-Partei mit sich riss und die Grünen an den Ufern schwarz-(gelb-)grüner Landesregierung stranden ließ.
Vor solchen Turbulenzen sucht sich Schwarz-Gelb durch betont nüchternes Vorgehen zu schützen. Wie man es vom geschäftsführenden Ausschuss der Bourgeoisie erwarten kann, ging es bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP nicht um Luftschlösser, sondern um Sachfragen: Wie viel Steuersenkung brauchen Unternehmen und Vermögensbesitzer, um in Investitionsstimmung zu kommen? Wie viel Ausgabenkürzung ist nötig, um eine Überbeanspruchung des Kapitalmarkts durch öffentliche Kreditaufnahme zu verhindern? Wie viel Haushaltskonsolidierung ist nötig, um Inflation zu vermeiden? Und schließlich: Wie viel Einsparungen sind einfachen Leuten zuzumuten, ohne sie in die Arme von Lafontaines LINKE oder noch schlimmeren Agitatoren zu treiben?
Die ersten drei Fragen sind so verzwirbelt formuliert, dass sie bestenfalls das (Zwangs-)Interesse von Ökonomiestudenten wecken können, die sich auf ihre nächsten Prüfungen vorbereiten. Richtige Antworten qualifizieren sie als künftige Verwalter des ihnen nicht gehörenden Reichtums: Um die Verluste auszugleichen, die Unternehmen und Vermögensbesitzer in der Krise erlitten haben, ist eine deutliche steuerliche Entlastung notwendig. Um eine Kreditklemme zu vermeiden, muss das Kreditangebot in vollem Umfang privaten Investoren zur Verfügung stehen. Konjunkturprogramme und billiges Zentralbankgeld, die zur Eindämmung der Krise leider notwendig waren, haben Inflationsgefahren geschaffen, die nur durch entschlossene Konsolidierungsmaßnahmen gebannt werden können.

Entlastungen

So hören sich nicht nur die Antworten in ungezählten Ökonomieprüfungen an, sondern auch der „Talk” auf dem Pausenhof schwarz-gelber Koalitionshändler. Am lautesten beim Verkünden neoliberaler Formeln gebärden sich FDP und CDU- Wirtschaftsrat. Unzufrieden im Abseits, aber ohne Alternativvorschläge, ist der im CDA organisierte Arbeitnehmerflügel der CDU. Die knifflige Frage nach der Zumutbarkeitsgrenze der Haushaltskonsolidierung kann nur die Chefin selbst beantworten. Mit einem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und der gleichzeitigen Absage an sozialen Kahlschlag hat Merkel vor Beginn der Koalitionsverhandlungen Ängste zerstreut, die neue Regierung werde die Kosten der Krise einseitig auf die Schultern der Schwachen abwälzen. Damit hat sie Spielraum zur Aushandlung der Koalitionspläne geschaffen.
Die sehen dann so aus: Mit viel Trara wird eine Anhebung der Steuergrenze für Vermögen verkündet. Nur im Kleingedruckten dieses als „Schonvermögen” bezeichneten Geldes steht zu lesen, dass die Freistellung ausschließlich für Kapitallebensversicherungen gilt, die sich im unteren Drittel der Einkommenspyramide ohnehin niemand leisten kann.
Gleiches gilt für Pläne zur Einschränkung der „kalten Progression” Nominelle Einkommenserhöhungen führen, da der Steuersatz mit dem Einkommen ansteigt, zu einer Erhöhung der Steuerlast. Sozialdemokraten alter Schule würden hierin einen Ansatz sozialstaatlicher Umverteilung sehen: Wer mehr verdient als andere, soll auch mehr in den Steuertopf zahlen, aus dem Zuwendungen an die weniger Verdienenden finanziert werden können. Sozialdemokraten der alten Schule gibt es freilich nur noch bei der LINKEN. Außerhalb dieses Dissidentenverbands wird die „kalte Progression” als Investitionsbarriere angesehen, die es zu schleifen gilt.
Mit ähnlicher Zielsetzung sollen die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen ausgeweitet und Umsatzsteuererleichterungen vorgenommen werden. Umsatzsteuern werden zwar von Verbrauchern gezahlt, werden aber von Unternehmen eingetrieben und dann an den Fiskus abgeführt. Bislang sind die Überweisungen fällig, sobald Waren zum Kauf angeboten werden (Soll-Besteuerung), in Zukunft werden sie erst nach tatsächlich erfolgtem Verkauf (Ist-Besteuerung) fällig. Klingt finanzamtlich, ist aber hoch bedeutsam. Zwischen dem Angebot einer Ware und ihrem Verkauf kann, besonders in Krisenzeiten, beträchtliche Zeit vergehen. Bislang wurde diese Zeit durch eine Art „zinsfreien Steuerkredit” der Unternehmen an den Fiskus überbrückt. In Zukunft werden Umsatzsteuerzahlungen später fällig, die Unternehmen hierdurch ent- und die öffentlichen Haushalte belastet.

Belastungen

Neben den Plänen zur Steuerentlastung von Unternehmen und Vermögen stehen Pläne zur Haushaltskonsolidierung. Genauer: Beide Pläne stehen in Konflikt miteinander, weil Steuerentlastungen unmittelbar zu Einnahmeausfällen und damit zu höheren Schulden führen. Dieser Effekt der „steuersenkungsbedingten Schuldenzunahme” kann durch Ausgabenkürzungen, Wirtschaftswachstum oder eine Kombination von beiden ausgeglichen werden. An der Notwendigkeit der Konsolidierung kann kein Zweifel bestehen. Schließlich hat die EU-Kommission im Rahmen ihrer „Haushaltsüberwachung” gerade erst ein „Defizit- Verfahren” gegen Deutschland eröffnet, und die im Frühjahr vom Bundestag beschlossene „Schuldenbremse” erhöht den Konsolidierungsdruck noch zusätzlich. Was bei staatlich garantierten Sozialleistungen als unzulässige Intervention gebrandmarkt wird, gilt in diesem Fall als Maßnahme finanzpolitischer Sicherheit.
Was tun, fragen sich die zur Konsolidierung gezwungenen Finanzpolitiker, denen die Hände zusätzlich durch Merkels Selbstverpflichtung auf die soziale Marktwirtschaft gebunden sind. Die Antwort: Kürzungspläne ausarbeiten, in der Öffentlichkeit Wachstumsoptimismus verbreiten und abwarten, ob sich Wachstum, und damit steigende Steuereinnahmen, tatsächlich herbeireden lassen. In der Zwischenzeit an das schwierige Thema Steuererhöhungen herantasten.
Theoretisch dürfte es solche systemwidrigen Eingriffe zwar nicht geben. Praktisch können höhere Steuern, sofern sie den unteren Einkommensschichten aufgebrummt werden, zur Entlastung von Unternehmen und Vermögen beitragen. In diese Richtung zielt das Vorhaben, den erniedrigten Mehrwertsteuersatz auf Gegenstände des alltäglichen Bedarfs (7%) dem allgemeinen Mehrwertsteuersatz (19%) anzupassen. Diese Steuererhöhung trifft vor allem jene Schlendriane, die ihr Geld für Butter und Brot verschleudern. Es wird auch ein paar Ökonomiestudenten treffen, deren Lehrbücher bislang ebenfalls als niedrig zu besteuernde Gegenstände alltäglichen Bedarfs galten. Sollte ihnen in Zukunft das Geld zur Anschaffung neuer Bücher fehlen, können sie sich im Antiquariat nach billigen Alternativen umsehen. Nach Lektüre halbzerfledderter Ausgaben von Marx‘ Kapital oder Keynes‘ Allgemeiner Theorie könnten sie zu dem Schluss kommen, dass die Wachstumsprognosen kapitalistischer Wirtschaftsforscher von der Realität ähnlich weit entfernt sind wie frühere Verlautbarungen bezüglich übererfüllter Fünfjahrespläne.
Mit Blick auf diese Prognosen zeigt sich, dass Wirtschaftsforscher, Merkel und Westerwelle ihre zur Schau gestellte Sachlichkeit auf schlecht begründete Utopien gründen. An der Vorstellung, irgendeine unsichtbare Hand werde die Wirtschaft in Schwung bringen, ist schon die rot-grüne Koalition gescheitert. Gut zwei Jahre nach deren Amtsantritt trat die Bundesrepublik in eine mehrjährige Stagnationsphase ein. Wegbrechende Steuereinnahmen und politisch verordnete Konsolidierungszwänge bescherten uns Hartz I—IV. Welchen Namen entsprechende Kürzungspläne der schwarz-gelben Koalition haben werden, wissen wir noch nicht. Dass es solche Pläne gibt, darf als sicher, dass sie zur Anwendung kommen, als sehr wahrscheinlich gelten.
Der angebliche Silberstreif am Konjunkturhorizont ist tatsächlich nichts als eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau. Um diese zu erreichen, wurden Staats- und Zentralbankgelder in eine Spekulationsblase geleitet, die jener, die im Spätsommer 2008 platzte, in nichts nachsteht. Keine Frage, die gegenwärtigen Börsenkurse liegen weit unterhalb des Niveaus, das sie vor Ausbruch der Finanzkrise erreicht hatten. Die reale Wertschöpfung aber auch. Der Abstand zwischen Wertschöpfung und Renditeerwartungen ist in etwa derselbe. Um die gegenwärtige „Staatskohle-Spekulationsblase” zum Platzen zu bringen, bedarf es nur ein paar enttäuschender Quartalsberichte führender Konzerne, unerwarteter Devisenkursentwicklungen oder diplomatischer Verstimmungen.
Angesichts rückläufiger Einkommen und steigender Arbeitslosigkeit ist es nur eine Frage der Zeit, wann der eine oder andere Konzern die in ihn gesetzten Gewinnerwartungen nicht erfüllen kann. Sinkende Dollarkurse und die damit verbundene Frage nach Schaffung einer neuen Leitwährung sorgen für dauerndes Hoffen und Bangen auf internationalen Märkten. Die nächste Krisenetappe steht bevor. Das erste Kürzungsprogramm der neuen Regierung auch. Dass die Schonfrist diesmal wieder, wie bei Rot- Grün, zwei Jahre beträgt, darf angesichts der nicht überwundenen Krise des vergangenen Jahres bezweifelt werden. Zwei Monaten erscheinen realistischer.


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