SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Kürzungspläne liegen fertig in
der Schublade. Vorerst vertraut die Regierung noch auf einen Anstieg des
Wachstums. Die Blase kann in zwei Monaten platzen.
Der
Amtsantritt der rot-grünen Regierungskoalition 1998 war von Visionen
begleitet. Eine neue Ökonomie, eine Neudefinition sozialer
Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung sollten nach 16 Jahren
schwarz-gelben Muffs frischen Wind in die deutsche Gesellschaft bringen.
Tatsächlich setzte sehr bald ein Kältestrom ein, der die
Sozialdemokratie in Richtung 20%-Partei mit sich riss und die Grünen
an den Ufern schwarz-(gelb-)grüner Landesregierung stranden ließ.
Vor solchen
Turbulenzen sucht sich Schwarz-Gelb durch betont nüchternes Vorgehen
zu schützen. Wie man es vom geschäftsführenden Ausschuss der
Bourgeoisie erwarten kann, ging es bei den Koalitionsverhandlungen zwischen
CDU und FDP nicht um Luftschlösser, sondern um Sachfragen: Wie viel
Steuersenkung brauchen Unternehmen und Vermögensbesitzer, um in
Investitionsstimmung zu kommen? Wie viel Ausgabenkürzung ist
nötig, um eine Überbeanspruchung des Kapitalmarkts durch
öffentliche Kreditaufnahme zu verhindern? Wie viel
Haushaltskonsolidierung ist nötig, um Inflation zu vermeiden? Und
schließlich: Wie viel Einsparungen sind einfachen Leuten zuzumuten,
ohne sie in die Arme von Lafontaines LINKE oder noch schlimmeren Agitatoren
zu treiben?
Die ersten
drei Fragen sind so verzwirbelt formuliert, dass sie bestenfalls das
(Zwangs-)Interesse von Ökonomiestudenten wecken können, die sich
auf ihre nächsten Prüfungen vorbereiten. Richtige Antworten
qualifizieren sie als künftige Verwalter des ihnen nicht
gehörenden Reichtums: Um die Verluste auszugleichen, die Unternehmen
und Vermögensbesitzer in der Krise erlitten haben, ist eine deutliche
steuerliche Entlastung notwendig. Um eine Kreditklemme zu vermeiden, muss
das Kreditangebot in vollem Umfang privaten Investoren zur Verfügung
stehen. Konjunkturprogramme und billiges Zentralbankgeld, die zur
Eindämmung der Krise leider notwendig waren, haben Inflationsgefahren
geschaffen, die nur durch entschlossene Konsolidierungsmaßnahmen
gebannt werden können.
So hören sich nicht nur die Antworten in ungezählten
Ökonomieprüfungen an, sondern auch der „Talk” auf dem
Pausenhof schwarz-gelber Koalitionshändler. Am lautesten beim
Verkünden neoliberaler Formeln gebärden sich FDP und CDU-
Wirtschaftsrat. Unzufrieden im Abseits, aber ohne
Alternativvorschläge, ist der im CDA organisierte
Arbeitnehmerflügel der CDU. Die knifflige Frage nach der
Zumutbarkeitsgrenze der Haushaltskonsolidierung kann nur die Chefin selbst
beantworten. Mit einem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und der
gleichzeitigen Absage an sozialen Kahlschlag hat Merkel vor Beginn der
Koalitionsverhandlungen Ängste zerstreut, die neue Regierung werde die
Kosten der Krise einseitig auf die Schultern der Schwachen abwälzen.
Damit hat sie Spielraum zur Aushandlung der Koalitionspläne
geschaffen.
Die sehen
dann so aus: Mit viel Trara wird eine Anhebung der Steuergrenze für
Vermögen verkündet. Nur im Kleingedruckten dieses als
„Schonvermögen” bezeichneten Geldes steht zu lesen, dass
die Freistellung ausschließlich für Kapitallebensversicherungen
gilt, die sich im unteren Drittel der Einkommenspyramide ohnehin niemand
leisten kann.
Gleiches
gilt für Pläne zur Einschränkung der „kalten
Progression” Nominelle Einkommenserhöhungen führen, da der
Steuersatz mit dem Einkommen ansteigt, zu einer Erhöhung der
Steuerlast. Sozialdemokraten alter Schule würden hierin einen Ansatz
sozialstaatlicher Umverteilung sehen: Wer mehr verdient als andere, soll
auch mehr in den Steuertopf zahlen, aus dem Zuwendungen an die weniger
Verdienenden finanziert werden können. Sozialdemokraten der alten
Schule gibt es freilich nur noch bei der LINKEN. Außerhalb dieses
Dissidentenverbands wird die „kalte Progression” als
Investitionsbarriere angesehen, die es zu schleifen gilt.
Mit
ähnlicher Zielsetzung sollen die Abschreibungsmöglichkeiten
für Unternehmen ausgeweitet und Umsatzsteuererleichterungen
vorgenommen werden. Umsatzsteuern werden zwar von Verbrauchern gezahlt,
werden aber von Unternehmen eingetrieben und dann an den Fiskus
abgeführt. Bislang sind die Überweisungen fällig, sobald
Waren zum Kauf angeboten werden (Soll-Besteuerung), in Zukunft werden sie
erst nach tatsächlich erfolgtem Verkauf (Ist-Besteuerung) fällig.
Klingt finanzamtlich, ist aber hoch bedeutsam. Zwischen dem Angebot einer
Ware und ihrem Verkauf kann, besonders in Krisenzeiten, beträchtliche
Zeit vergehen. Bislang wurde diese Zeit durch eine Art „zinsfreien
Steuerkredit” der Unternehmen an den Fiskus überbrückt. In
Zukunft werden Umsatzsteuerzahlungen später fällig, die
Unternehmen hierdurch ent- und die öffentlichen Haushalte belastet.
Neben den Plänen zur Steuerentlastung von Unternehmen und
Vermögen stehen Pläne zur Haushaltskonsolidierung. Genauer: Beide
Pläne stehen in Konflikt miteinander, weil Steuerentlastungen
unmittelbar zu Einnahmeausfällen und damit zu höheren Schulden
führen. Dieser Effekt der „steuersenkungsbedingten
Schuldenzunahme” kann durch Ausgabenkürzungen,
Wirtschaftswachstum oder eine Kombination von beiden ausgeglichen werden.
An der Notwendigkeit der Konsolidierung kann kein Zweifel bestehen.
Schließlich hat die EU-Kommission im Rahmen ihrer
„Haushaltsüberwachung” gerade erst ein „Defizit-
Verfahren” gegen Deutschland eröffnet, und die im Frühjahr
vom Bundestag beschlossene „Schuldenbremse” erhöht den
Konsolidierungsdruck noch zusätzlich. Was bei staatlich garantierten
Sozialleistungen als unzulässige Intervention gebrandmarkt wird, gilt
in diesem Fall als Maßnahme finanzpolitischer Sicherheit.
Was tun,
fragen sich die zur Konsolidierung gezwungenen Finanzpolitiker, denen die
Hände zusätzlich durch Merkels Selbstverpflichtung auf die
soziale Marktwirtschaft gebunden sind. Die Antwort: Kürzungspläne
ausarbeiten, in der Öffentlichkeit Wachstumsoptimismus verbreiten und
abwarten, ob sich Wachstum, und damit steigende Steuereinnahmen,
tatsächlich herbeireden lassen. In der Zwischenzeit an das schwierige
Thema Steuererhöhungen herantasten.
Theoretisch
dürfte es solche systemwidrigen Eingriffe zwar nicht geben. Praktisch
können höhere Steuern, sofern sie den unteren Einkommensschichten
aufgebrummt werden, zur Entlastung von Unternehmen und Vermögen
beitragen. In diese Richtung zielt das Vorhaben, den erniedrigten
Mehrwertsteuersatz auf Gegenstände des alltäglichen Bedarfs (7%)
dem allgemeinen Mehrwertsteuersatz (19%) anzupassen. Diese
Steuererhöhung trifft vor allem jene Schlendriane, die ihr Geld
für Butter und Brot verschleudern. Es wird auch ein paar
Ökonomiestudenten treffen, deren Lehrbücher bislang ebenfalls als
niedrig zu besteuernde Gegenstände alltäglichen Bedarfs galten.
Sollte ihnen in Zukunft das Geld zur Anschaffung neuer Bücher fehlen,
können sie sich im Antiquariat nach billigen Alternativen umsehen.
Nach Lektüre halbzerfledderter Ausgaben von Marx Kapital oder
Keynes Allgemeiner Theorie könnten sie zu dem Schluss kommen,
dass die Wachstumsprognosen kapitalistischer Wirtschaftsforscher von der
Realität ähnlich weit entfernt sind wie frühere
Verlautbarungen bezüglich übererfüllter
Fünfjahrespläne.
Mit Blick
auf diese Prognosen zeigt sich, dass Wirtschaftsforscher, Merkel und
Westerwelle ihre zur Schau gestellte Sachlichkeit auf schlecht
begründete Utopien gründen. An der Vorstellung, irgendeine
unsichtbare Hand werde die Wirtschaft in Schwung bringen, ist schon die
rot-grüne Koalition gescheitert. Gut zwei Jahre nach deren Amtsantritt
trat die Bundesrepublik in eine mehrjährige Stagnationsphase ein.
Wegbrechende Steuereinnahmen und politisch verordnete
Konsolidierungszwänge bescherten uns Hartz I—IV. Welchen Namen
entsprechende Kürzungspläne der schwarz-gelben Koalition haben
werden, wissen wir noch nicht. Dass es solche Pläne gibt, darf als
sicher, dass sie zur Anwendung kommen, als sehr wahrscheinlich gelten.
Der
angebliche Silberstreif am Konjunkturhorizont ist tatsächlich nichts
als eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau. Um diese zu erreichen, wurden
Staats- und Zentralbankgelder in eine Spekulationsblase geleitet, die
jener, die im Spätsommer 2008 platzte, in nichts nachsteht. Keine
Frage, die gegenwärtigen Börsenkurse liegen weit unterhalb des
Niveaus, das sie vor Ausbruch der Finanzkrise erreicht hatten. Die reale
Wertschöpfung aber auch. Der Abstand zwischen Wertschöpfung und
Renditeerwartungen ist in etwa derselbe. Um die gegenwärtige
„Staatskohle-Spekulationsblase” zum Platzen zu bringen, bedarf
es nur ein paar enttäuschender Quartalsberichte führender
Konzerne, unerwarteter Devisenkursentwicklungen oder diplomatischer
Verstimmungen.
Angesichts
rückläufiger Einkommen und steigender Arbeitslosigkeit ist es nur
eine Frage der Zeit, wann der eine oder andere Konzern die in ihn gesetzten
Gewinnerwartungen nicht erfüllen kann. Sinkende Dollarkurse und die
damit verbundene Frage nach Schaffung einer neuen Leitwährung sorgen
für dauerndes Hoffen und Bangen auf internationalen Märkten. Die
nächste Krisenetappe steht bevor. Das erste Kürzungsprogramm der
neuen Regierung auch. Dass die Schonfrist diesmal wieder, wie bei Rot-
Grün, zwei Jahre beträgt, darf angesichts der nicht
überwundenen Krise des vergangenen Jahres bezweifelt werden. Zwei
Monaten erscheinen realistischer.
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