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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2009, Seite 20

Antideutsche in Aktion

Sturmtrupps des Meinungsterrors belagern Club Voltaire

von Heiner Halberstadt

"Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.” „Man kann die Menschen zur Vernunft bringen, indem man sie dazu verleitet, dass sie selbst denken.” (Voltaire)
Am Freitag, dem 9.Oktober, fand erstmals in 46-jährigen Geschichte des Club Voltaire eine Protestdemonstration vor dem Club Voltaire in der Frankfurter Kleinen Hochstr.5 statt.
Die Demo richtete sich gegen eine Veranstaltung der Organisation Arbeiterfotografie im Hause, die, in Zusammenarbeit mit dem Club Voltaire, als Musik- und Gesprächsrunde unter Mitwirkung der bundesweit bekannten Polit-HipHop- Band Bandbreite und des wissenschaftlichen Autors Elias Davidsson angelegt war. Titel der Veranstaltung war: „Medien zwischen Realität und Scheinwelt”
Das Ziel der Veranstaltung war einerseits, die Rolle der Medien im Gehalt und in der Form ihrer Informationsvermittlung kritisch zu untersuchen (auch bezogen auf den 11.September 2001), andererseits die Wirkungsmöglichkeiten kultureller Arbeit gegen den Rechtstrend und das Anwachsen von Neofaschismus und Rassismus zu werten (am Beispiel der Gruppe Bandbreite).
Die Frankfurter Gruppen „Faites votre jeu!”, „Exzess” und „Institut für vergleichende Irrelevanz” hatten dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu verhindern. An dem Aufruf beteiligt war auch der bisherige und mittlerweile zurückgetretene Vorsitzende des Club Voltaire, Andreas Waibel. Er hatte sich zuvor gegen den gesamten übrigen Vorstand heftig darum bemüht, die Veranstaltung abzusetzen.
Der Versuch, die Veranstaltung zu verhindern, wurde damit begründet, die Mitwirkenden an der Veranstaltung würden indirekt, aber erkennbar, antisemitische, faschistische und antiamerikanische Verschwörungsideologien verbreiten. Ähnliches sei auch in den Texten der „Bandbreite” enthalten. Dies sei vielen Veröffentlichungen, vor allem auch den Web- und Blogseiten der Arbeiterfotografie zu entnehmen.
Der Club- Vorstand und die CV-Programm-Gruppe versuchten daraufhin in mühevoller Forschungsarbeit, diesen „Nachweis” aufzuspüren. Das blieb ohne Ergebnis. Aber die von den Veranstaltungsgegnern zahlreich und schier pausenlos verbreiteten Behauptungen und freizügigen Interpretationen verdichteten sich zu einem recht wirksamen Konglomerat, womit vor allem junge Leute animiert wurden, gegen die inkriminierte Veranstaltung im Club Voltaire am vergangenen Freitag zu demonstrieren.
Die Trägerschaft des Club Voltaire hält es mindestens für merkwürdig, dass gegen die Veranstaltung mit der Arbeiterfotografie, die bereits im März beschlossen und in der Programmvorschau (auch in ihrer Zusammensetzung) angekündigt worden war, in den nachfolgenden Monaten (!) keine Kritik, kein Protest vorgebracht wurde. Erst Anfang September brach plötzlich eine Protestwelle los, in der fast gleichlautend immer wieder dieselben Vorwürfe, Unterstellungen und willkürlich konstruierten Ableitungen enthalten waren. An den Club Voltaire wurde nachhaltig appelliert, in seinen Räumen dem Antisemitismus, Faschismus und antiamerikanischen Verschwörungstheoretikern keine Auftrittsmöglichkeiten zu geben.
Vorstand und Programmgruppe des Club Voltaire haben mehrfach angeboten, die fatale Konfliktsituation durch aufklärende Gespräche zu klären. Es kam allerdings nur zu einem einzigen Gespräch bei einem Besuch von Abgesandten aus dem „Klapperfeld-Quartier”, bei dem aber im Wesentlichen — unter Mitwirkung von Andreas Waibel — lediglich ein weiteres Mal die Behauptungen über die „Rechtsdrift” der an der Veranstaltung Mitwirkenden wiederholt wurden. Indirekt wurde den Club-Voltaire-Trägern dabei bescheinigt, sie seien offenbar nicht in der Lage, den gefährlichen Gehalt der beabsichtigten Veranstaltung zu erkennen.
Wir vom Club Voltaire boten dennoch an, einen sachlichen Informations- und themenbezogenen Meinungsaustausch fortzusetzen. (Übrigens war in der Bekanntmachung der Veranstaltung im Programmblatt des Club Voltaire ausdrücklich von einem „Musik- und Gesprächsabend” die Rede.) Von den Gegnern der Veranstaltung wurde jedoch öffentlich weiter für die Protestkundgebung geworben. Andreas Waibel schrieb in einem Rundschreiben: „Wenn es nicht möglich sein sollte, die Veranstaltung zu verhindern, dann kommt am 9.10. in den Club Voltaire und tut was nötig ist."
Die Veranstaltung fand schließlich trotz der Proteste statt, aber sie konnte ihr Ziel nur sehr eingeschränkt erreichen. Es gelang den Demonstranten zwar nicht, in den Club Voltaire einzudringen und „das Nötige zu tun”, aber der Zugang zum Club war zeitweise blockiert. Clubbesucher und Mitwirkende an der Veranstaltung, die versuchten, Gespräche mit den „Protestanten” vor der Tür aufzunehmen, scheiterten an deren verbaler und teilweise auch körperlicher Aggressivität.
Die Gelegenheit, im Club mit den Anwesenden über die Vorwürfe zu sprechen, nutzten drei „Abgesandte”, indem sie, aufgebaut hinter einem ausgerollten Protesttransparent ("Kein Antisemitismus, kein Neofaschismus, keine Verschwörungstheorien im Club Voltaire"), mittels Megafon forderten, im Club Voltaire eine Kundgebung gegen die Veranstaltung durchzuführen. Dies wurde von den etwa 60 Clubbesuchern, die zur Veranstaltung gekommen waren, keineswegs als Diskussionsbereitschaft empfunden.

Der Autor hat 1962 den Club Voltaire mitgegründet.


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