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Mit einem Paukenschlag ist das Thema Opel
wieder auf Platz 1 der politischen Agenda gelandet: GM will Opel nun doch
nicht verkaufen, sondern selber sanieren.
Politiker
aus CDU, SPD und FDP reagierten enttäuscht und verärgert, ebenso
die einbezogene Gewerkschaft. Die IG Metall rief die betroffenen
Belegschaften zu kurzen Warnstreiks und Demonstrationen auf. Daran
beteiligten sich in Deutschland insgesamt etwa 25000 Arbeiter und auf einer
gemeinsamen Demonstration in Antwerpen 5000 Beschäftigte aus
europäischen Opel-Standorten. Was beinhaltet der GM-Plan und was
verspricht sich die Konzernführung in Detroit davon?
Konzernweit
sollen 47000 Beschäftigte von der Lohnliste verschwinden, davon 26000
in Europa. Nach einem der FAZ vorliegenden Sanierungsplan in der Version
von Juni 2009 ist die Schließung von drei Fabriken geplant: Antwerpen,
Bochum und Eisenach. Antwerpen soll 2010 dicht gemacht werden, Bochum 2011
auslaufen. Danach ist für Eisenach auch Schluss. Das Werk soll aber
nach einer zweijährigen Pause 2013 für ein neues Corsa-Modell
wieder geöffnet werden. An der Schließung von drei Werken will
die Geschäftsleitung von GM auf jeden Fall festhalten, selbst wenn es
noch zu einer anderen Entscheidung über Bochum kommen sollte.
Nach
Presseangaben rechnet die GM-Führung dabei fest damit, dass der mit 3
Mrd. Euro bezifferte „Restrukturierungsaufwand” für die
deutschen Werke von der Bundesregierung nun statt an Magna an GM ausgezahlt
wird. Sollte Deutschland die Unterstützung verweigern, habe GM einen
„Plan B": die Insolvenz.
Die FAZ
schreibt: „Für GM wäre dies die Chance, die begehrtesten
Teile von Opel aus der Konkursmasse heraus zu erwerben — vor allem
das Forschungs- und Entwicklungszentrum in Rüsselsheim mit gut 5000
Ingenieuren, die Spezialisten für kleine und mittelgroße Autos
sind."
Eigentlich
wollte GM sich nie von Opel trennen, wurde jedoch von der Obama-Regierung
gezwungen, als Gegenleistung für den 50-Mrd.-Dollar-Kredit der
Regierung ein rigoroses Kostensenkungsprogramm aufzulegen. Mit dem Opel-
Verkauf sollten die anstehenden Sanierungskosten externalisiert werden.
Doch durch die erfolgreiche US-Blitzinsolvenz befreite sich GM aus dieser
Zwickmühle.
Eine in
Auftrag gegebene Marktanalyse hat nochmals bestätigt, dass der Verkauf
von Opel der Konkurrenz mehr Vorteile bringt als dem Detroiter Unternehmen.
Ohne Opel verlöre GM seine Präsenz in Europa und technologische
Kompetenzen. Zudem würde ein Verkauf von Opel neue Konkurrenz für
General Motors etwa in Russland schaffen. „Opel hat, so urteilen
Fachleute nüchtern, bei General Motors bessere Chancen als mit
Magna”, schreibt Die Welt.
Mit anderen
Worten: der Konzern tut das, was sich für ihn betriebswirtschaftlich
rechnet. Um die Folgen mögen sich andere kümmern. Diese Logik
gehört im Kapitalismus zum Kernbestand der Freiheit, deren Siege
gerade gefeiert werden.
Umso
erstaunlicher ist es, wenn nun das Spitzenpersonal der Regierungsparteien
und der größten Oppositionspartei die beleidigte Leberwurst gibt.
Die geäußerte Unzufriedenheit über das Scheitern des Magna-
Plans hat zum Teil einen realen Kern, zum anderen ist sie schlichte
Schauspielerei. Im ersten Fall äußert sich Enttäuschung
darüber, dass GM die Überlegungen durchkreuzt hat, einen bisher
vom US-Kapital beherrschten Konzernteil unter die Fittiche des
europäischen Kapitals zu bringen — eine Strategie, an der
erkennbar vor allem Hessens Ministerpräsident Roland Koch und der
Gesamt-BR-Vorsitzende Klaus Franz gestrickt hatten.
Darüber hinaus jedoch wird versucht, durch inhaltslose politische
Klagen einen Legitimationsverlust der Marktwirtschaft zu verhindern. So
beklagt FDP-Wirtschaftsminister Brüderle „einen solchen
Umgang” mit Arbeitnehmern „acht Wochen vor Weihnachten”
NRW-Landeschef Rüttgers spricht vom „hässlichen Gesicht des
Turbokapitalismus”, und der CDU-Fraktionsvorsitzende Kauder zieht die
rechtspopulistische Karte: „Die Amerikaner dürften nicht
glauben, dass sie Deutschland in irgendeiner Form erpressen
können."
Diese
Auftritte kommentierte die FAZ wie folgt: „Hoffentlich ist die Wut
deutscher Politiker über die Entscheidung von General Motors so gut
gespielt wie zuvor die Überzeugung, nur mit Magna habe Opel eine
Zukunft. Doch wer weiß? Vielleicht ist die Empörung sogar echt.
Dann müsste man an der Professionalität deutscher Politiker
zweifeln."
In der Tat versuchen die politischen Eliten sich aus der Verantwortung
für die Folgen einer Politik zu ziehen, die sie selbst entworfen
haben. Deren Grundsätze verkörpert in der reinsten Form die
Wettbewerbskommissarin Nellie Kroes, die nach den Grundsätzen des nun
von allen verabschiedeten Lissabon-Vertrags die Beziehung zwischen Politik
und Wirtschaft definiert.
Nach ihrer
Auffassung sind staatliche Eingriffe in die Wirtschaft aus
„politischen Erwägungen” nicht zulässig, Subventionen
dürfen nicht mit der Forderung nach Arbeitsplatzerhalt verbunden
werden. Die EU-Kommission hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, den
Magna-Deal zu Fall zu bringen und GM zu ermutigen, die Sanierung von Opel
selbst in die Hand zu nehmen.
Die FTD
kommentiert dies euphorisch: „Danke GM. Welch ein
überfälliger Befreiungsschlag. Endlich was Handfestes. Endlich
die Quittung für populistische Politik.” Und mit Blick auf die
Rolle der EU heißt es: „Als verlässlichste Instanz zur
Wahrung des Wettbewerbs” hat sich wieder die EU erwiesen.
„Sollte sich ihr Konstruktionsfehler, dass die obersten Entscheider
durch keine Wahl legitimiert sind, gar als Bonus herausstellen —
keine Entscheidungsverzerrung durch Stimmenfang?"
In der
Wirtschaftspresse herrscht uneingeschränkte Freude über das
Platzen der Magna-Übernahme. Unternehmerpräsident Hundt sagt,
warum: „Die Entscheidung über die Zukunft von Opel ist
ausschließlich Angelegenheit des Eigentümers General
Motors.” Und die FAZ doziert über das ABC der Marktwirtschaft:
„Die vom Helfersyndrom befallenen Politiker haben mit Opel eine rote
Linie überschritten. Sie haben im Automobilbau den Wettbewerb
außer Kraft gesetzt und Deutschland erpressbar gemacht.” An die
Adresse der Opfer des wieder in Kraft gesetzten Marktes heißt es:
„Deutschland hat ein ausgebautes Sozialsystem, um die Folgen der
Insolvenz für die Betroffenen in Grenzen zu halten."
Nach Lage
der Dinge plant GM keine Insolvenz von Opel, sondern einen radikalen
Personalabbau mit Werksschließungen, den die europäischen
Steuerzahler abfedern sollen. Die Chancen dafür, diese Gelder zu
erhalten, sind gut.
Die FAZ
weiß warum: „Wenn in Berlin bald eine Kopie des Antrags auf
Staatshilfe vorliegt, in dem lediglich der Name Magna durch General Motors
ersetzt worden ist, wird Deutschland schon allein deshalb zahlen, weil sich
die Bundesregierung nicht selbst der Lüge überführen kann.
Denn sie hat entgegen früherer Aussagen auf Wunsch der EU-Kommission
schriftlich bestätigt, dass die 4,5 Mrd. Euro Hilfe für Opel
jedem Retter zur Verfügung stünden. Auch diesen Fehler wird
General Motors gnadenlos ausnutzen und deutsches Steuergeld abziehen."
Doch
gestützt auf die Bedenken der EU auch gegenüber dem Magna-Deal
soll das nochmal abgewendet werden. Der von der Süddeutschen Zeitung
interviewte Vorsitzende der Monopolkommission Haucap fordert eine Kehrwende
der Bundesregierung. Nur so könnten die Überkapazitäten
abgebaut werden: „Dies gelingt natürlich nur zögerlich,
solange Opel weiter beatmet wird."
Ein
Kommentar der SZ resümiert: „Die Zeichen stehen auf Sturm ... Es
wird bitter für die Opel-Mitarbeiter in Deutschland und Europa. Die
deutschen Betriebsräte wehren sich massiv. Die Frage ist: Wie lange
noch?"
Diese Frage ist leider nicht unberechtigt. Denn das Gezerre um den
Magna-Plan hat offengelegt, dass auf Basis der jetzigen
Mehrheitsströmung in den Gewerkschaften eine gemeinsame Position der
betroffenen Belegschaften gegen die Angriffe der Sanierer nicht
möglich ist. Statt alle Kräfte zu mobilisieren, wenigstens den
vereinbarten Minimalkonsens: keine betriebsbedingten Kündigungen und
keine Werkschließungen, zu verteidigen und dafür europaweite
Proteste zu organisieren, konzentrierten sich die Betriebsrats- und
Gewerkschaftsspitzen auf nationaler Ebene darauf, mit Hilfe der Regierungen
für das eigene Kernklientel optimale Lösungen herauszuholen.
Im Zuge
dieser Politik hat die IG Metall sich zum Fürsprecher des Magna-Plans
machen lassen, der eine Schließung des Antwerpener Werks vorsieht,
weil alle deutschen Standorte von diesem Schicksal vorerst verschont
bleiben sollten. Und die britische UNITE feierte das Scheitern des Magna-
Plans als „fantastisch”, obwohl laut GM-Plan in Europa mehr
Beschäftigte über die Klinge springen sollen als dies bei Magna
vorgesehen war.
Wenn
Gewerkschaften in den jeweiligen europäischen Ländern versuchen,
in ihrer jeweiligen Gesellschaft einen möglichst großen
Rückhalt zu erhalten, und dafür auch Parteien und Regierungen in
die Pflicht nehmen, ist das zweifellos sinnvoll. Doch ohne einheitliche
Position und Handlungsfähigkeit der bedrohten Belegschaften bleiben
sie Spielball bürgerlicher Politiker, deren Unterstützung nur so
lang sicher ist, wie die Spielregeln der neoliberalen Marktwirtschaft nicht
in Frage gestellt werden.
Laut
Pressemeldungen hat Bertold Huber erklärt, er schließe im Kampf
gegen betriebsbedingte Kündigungen auch unbefristete Streiks nicht
aus, man werde sich nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank führen
lassen. Und der IGM-Bezirksleiter Schild sprach von europaweiter Gegenwehr,
bei der „alle gesetzlich zulässigen Regularien” genutzt
werden sollen. Ob nun befristet oder nicht und mit wie viel Regularien:
Ohne einen solchen Schritt wird es nichts geben. Einen generellen Verzicht
auf Entlassungen sowieso nicht. Auch nicht den Verzicht auf
betriebsbedingte Kündigungen und Werksstilllegungen.
Die
Voraussetzungen, dafür zu kämpfen, sind jetzt europaweit insofern
wieder besser, weil niemand mehr aus der Schusslinie genommen wird. In
Saragossa haben die spanischen Opel-Kollegen mit der Unterstützung der
Gewerkschaften bereits einen Anfang gemacht. Durch einen viertägigen
Streik gegen den Magna-Plan erhielten sie die Zusage, dass die Zahl der
geplanten Entlassungen deutlich verringert wird.
"Ob nun
GM mit oder ohne Magna. Wir sind nicht so schwach, wie man uns einreden
will! Wer will uns daran hindern, wenn wir einige Tage unsere Zukunft
diskutieren, dann steht Antwerpen, Eisennach, Gleiwitz, Saragossa und
neuerdings auch Kaliningrad”, schreiben die Kollegen der GoG in
Bochum in einem Flugblatt an die Belegschaft.
Nach Lage
der Dinge werden sie es auch sein müssen, die diese Diskussion
anzetteln. An den anderen deutschen Opel-Standorten haben die
Vertrauensleute das dafür erforderliche Selbstbewusstsein nicht, und
die Vernetzung mit der gewerkschaftlichen Basis in den anderen
europäischen Werken ist eh nicht belastbar. Der einzig positiv zu
Buche schlagende Unterschied zu 2004 ist, dass der IG-Metall-Vorstand
diesmal öffentlich über Streikaktionen nachdenkt, was die
Bereitschaft zur Teilnahme daran fördern kann.
Wie diese
Kraftprobe auch ausgeht: Ihr Ergebnis wird einen großen Einfluss
darauf haben, wie der Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten
weitergeht.
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