SoZ - Sozialistische Zeitung |
Militärisch soll es lieber Krieg sein,
politisch lieber nicht.
Karl Theodor zu
Guttenberg, Freiherr und gelernter Gebirgsjäger, ist die stärkste
mediale Waffe der Bundesregierung. Es sieht so aus, als würde die
Bundeswehr seine Schützenhilfe brauchen. Guttenberg gelang es, in den
Medien den Eindruck von Ehrlichkeit zu erzeugen, als er im Gegensatz zu seinem
Vorgänger Franz Josef Jung nicht mehr von einer
Stabilisierungsmaßnahme in Afghanistan sprach, sondern von Krieg. Bei
genauem Hinsehen erweist sich allerdings, dass Guttenberg das Werfen von
Nebelkerzen lediglich auf ein höheres rhetorisches Niveau gebracht hat. Er
macht einen Unterschied zwischen der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes
und seiner juristischen Bedeutung. Mitte November sagte er gegenüber der
ARD: „Aber ich glaube, wir dürfen den Begriff schon so in der
Umgangssprache nutzen, damit er auch verstanden wird.” An anderer Stelle
sprach er davon, er habe Verständnis dafür, wenn Soldaten ihren
Einsatz als Krieg empfinden. Damit macht er sich den Krieg in seiner
juristischen Bedeutung noch nicht zu eigen.
Guttenberg
lässt sich mit der terminologischen Neujustierung auf einen Drahtseilakt
ein. Objektiv lässt sich die Einsatzrealität in Afghanistan
tatsächlich nur noch als Krieg bezeichnen. Gleichzeitig ist eine rechtliche
Grundlage für diesen Krieg nicht gegeben.
Der jüngste
Angriff auf die Tanklastzüge am Kunduz macht das ganze Dilemma klar. Die
Frankfurter Allgemeine spekulierte in einem Artikel vom 30.Oktober, die NATO
vermutete unter den Entführern des Tanklastzugs einige ihrer
schärfsten Gegner in der Region, ihnen sollte nicht die Chance zur Flucht
gegeben werden. Rein militärisch mag das plausibel klingen. Ein
Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht, das die
unverhältnismäßige und unterschiedslose Gefährdung von
Zivilisten untersagt, wäre es dennoch. Doch selbst wenn keine Zivilisten
anwesend gewesen wären, kann man in einem solchen Fall nur von einer
illegalen außergerichtlichen Tötung sprechen, da keine konkrete
Bedrohung von Bundeswehrsoldaten nachweisbar war.
Eine gezielte
Tötung feindlicher Kämpfer ist völkerrechtlich höchstens
dann möglich, wenn es sich um einen so genannten „internationalen
bewaffneten Konflikt” handelt. Die internationale Schutztruppe ISAF
befindet sich laut ihrem Mandat jedoch nur in einem „nichtinternationalen
bewaffneten Konflikt”, und dort ist die gezielte Ausschaltung von
unbewaffneten Gegnern nicht erlaubt. Ein UN-Mandat für einen offiziell so
genannten Krieg ist nicht zu erwarten und würde dem Grundgesetz
widersprechen. Es ist also gut möglich, dass bei der Aktion der Bundeswehr
sowohl das Völkerrecht verletzt als auch die Grundlagen des ISAF-Mandates
verlassen wurden. Wenn deutsche Politiker nun häufiger von Krieg reden,
kann sich dahinter auch die Absicht verbergen, diese rechtlichen Unterschiede
wenigstens rhetorisch zu verwischen.
Neben der Verwischung der Grenzen zwischen Krieg und Nichtkrieg bemüht
sich die Bundesregierung auch um die Aufhebung der Unterscheidung zwischen
Kombattanten und Zivilisten, sie will nur nach „Beteiligten” und
„Unbeteiligten” unterscheiden.
Im NATO-Bericht
über die Bombardierung des Tanklastzuges steht keine explizite Verurteilung
des Vorgehens von Oberst Klein. Das ist nach Medienberichten allein dem Druck
der deutschen Bundesregierung zu verdanken. Bei dem Bericht der NATO handelt es
sich nicht um eine neutrale Untersuchung, sondern lediglich um eine interne
Überprüfung militärischer Abläufe. Es muss deswegen nicht
verwundern, wenn hier die Frage nach toten Zivilisten, die rechtlich zentral
ist, ersetzt wird durch die Frage nach Beteiligten und Unbeteiligten, was
wiederum militärisch relevant ist. Wenn Zivilisten versuchen, ihre
miserable Versorgungslage dadurch zu verbessern, dass sie Benzin aus einem
Tankwagen abzapfen, könnten sie den Tankwagen dadurch leichter machen, und
vielleicht kann er dadurch von der Sandbank, auf der er festsitzt, loskommen.
Bewohner eines Dorfes, die die Taliban dulden oder gar unterstützen, sind
nach solchen Definitionen „Beteiligte” und damit eventuell auch aus
militärischer Sicht „legitime” Ziele.
Solche Gedanken
legt die Formulierung von Generalinspekteur Schneiderhan nahe, es gebe keine
Hinweise, dass „Unbeteiligte” Opfer des Angriffs wurden.
Völkerrechtlich sind und bleiben diese Menschen Zivilisten, aber für
die öffentliche Propagandaschlacht will man die moralischen Koordinaten
verschieben. Aus militärischer Sicht ist es wünschenswert, wenn
Soldaten in einem Krieg möglichst wenige Skrupel beim Schießen und
Töten haben. Mögliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen oder gar
Verurteilungen zügeln die Schießbereitschaft merklich.
Vor diesem
Hintergrund ist die geplante Einrichtung einer
„Schwerpunktstaatanwaltschaft” zu sehen. Schließlich wollen
Bundeswehr und Bundesregierung es nicht riskieren, dass gegen immer mehr
Soldaten monate- oder jahrelang ermittelt wird und damit
„Unsicherheit” unter den Soldaten entsteht. Zukünftig soll das
Ganze schnell und möglichst reibungslos mit einer Art Sondergerichtsbarkeit
für Soldaten abgewickelt werden. Dabei werden Soldaten schon heute von den
Staatsanwaltschaften recht großzügig behandelt. Bei
„Gefechtssituationen” werden in der Regel die Ermittlungen noch vor
dem Verfahren eingestellt.
Der Angriff auf
die Tanklastzüge war wohl die verheerendste und tödlichste Operation,
an der deutsche Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg beteiligt waren. Dass dies
nicht zu einem grundsätzlichen Nachdenken über den Krieg oder
wenigstens zur Frage nach dem Verhältnis zwischen vorgeblichen Zielen,
eingesetzten Mitteln und tatsächlichen Erfolgen führt, ist
erschreckend. Im Mittelpunkt der politischen und militärischen Debatte
steht allein die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Aktion, die
wahrscheinlich nur als Massaker bezeichnet werden kann.
Es steht zu
befürchten, dass Deutschland sich trotz der Antikriegsstimmung in der
Bevölkerung immer tiefer in den afghanischen Kriegssumpf hinbewegt —
zumindest solange sich diese Stimmung nicht auch in unüberhörbarem,
breitem und entschiedenen Protest gegen diesen Kriegswahnsinn äußert.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |