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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.1 vom 08.01.2000, Seite 1

Mit WTO-Protesten ins nächste Jahrhundert

Die vom ruhmlosen Zusammenbruch der nichtkapitalistischen Staaten überraschte Linke leckt noch immer ihre Wunden. Verdrängt wird vielfach, dass das ausgehende Jahrhundert nicht nur das zweier imperialistischer Weltkriege, das von Auschwitz und Hiroshima gewesen ist, sondern auch ein Jahrhundert erfolgreicher sozialer und antikolonialistischer Revolutionen.
Ihnen gelang jedoch nicht der Durchbruch von der nationalen Ebene zur weltweiten, globalen. So gerieten sie in eine bürokratische Sackgasse, deren Ausweg letzten Endes zum Rückfall in den Kapitalismus führte. Dieser konnte nun als "Sieger der Geschichte" für um so größere Verwirrung sorgen, als er die Globalisierung auf seine Fahne schrieb. Die unsichtbare Hand des Marktes soll durch die Konkurrenz aller gegen alle den Menschen das materielle Glück bringen, das die staatliche geplante Zwangswirtschaft ihnen nicht zu geben vermochte.
Dem Dogma des Neoliberalismus, dass der Wettbewerb widerstreitender Interessen auf dem freien Markt zum Erfolg der Besten, Stärksten und damit zum Nutzen aller führt, ist es gelungen, in Wissenschaft, Politik und Medien einzudringen. Es hat wichtige Positionen in Universitäten und "Think Tanks", vor allem aber den "Alltagsverstand" erobert. Denn hier bestimmt der Schein das Bewusstsein. In einem von Konkurs bedrohten Betrieb scheint die Rettung darin zu liegen, durch Verzicht im Wettbewerb die Oberhand zu gewinnen. Wenn aber die Konkurrenten die gleiche Logik befolgen, führt dies unweigerlich zur Verschärfung der Arbeitslosigkeit und Schwächung von Gegenwehr.
Der Jubel über die weltweit gestiegenen Aktienkurse und die Voraussagen über das Wirtschaftswachstum im Jahr 2000 hat die Ängste verdrängt, die noch 1998 von höchsten Autoritäten geäußert wurden, als ein Hurrikan über die globalen Finanzmärkte hinwegfegte. Über die Gefahren, die der Menschheit vom Shareholder-Profit-Kapitalismus letzten Endes drohen, schreibt der Befreiungstheologe Franz Hinkelammert in seinem kürzlich erschienenen Buch Kultur und Hoffnung: "Aus ,Die Weltgeschichte ist das Weltgericht‘ wurde ,Weltmarkt ist das Weltgericht‘. Das heißt, der Markt ist immer dann gerecht, wenn man die Gesetze des Marktes beachtet. Werden diese aber beachtet, gelten auch die Ergebnisse als gerecht und richtig. Eine Kritik des Marktes im Namen der Ergebnisse des Marktes wird daher ausgeschlossen. Diese Kritik wird selbst dann ausgeschlossen, wenn die Ergebnisse des Marktes durch die Zerstörung des Menschen und der Natur das Überleben der Menschheit selbst gefährden. So verwandelt sich die freie Marktideologie in einen Heroismus des kollektiven Selbstmords."
Ist es aber nicht ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn 7500 von Entlassung bedrohte Beschäftigte der Autoreifenfabrik Michelin in Paris unter der Losung demonstrieren: "An der Börse werden keine Reifen produziert!"? Beweist dies nicht, dass in den Betrieben das Bewusstsein dafür wächst, wie irrsinnig ein Wirtschaftssystem ist, in dem die Höhe der Aktienkurse über die Vernichtung von Arbeitsplätzen entscheidet?
Gilt heute nicht mehr, "dass die Menschheit sich immer nur den Aufgabe stellt, die sie auch lösen kann", wie Karl Marx meinte? Denn "die Aufgabe selbst entspringt nur, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder im Prozess des Werdens begriffen sind".
Aus einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen vom Jahre 1998 geht hervor, wie der Grundbedarf der Weltbevölkerung an Nahrung, Bildung, Trinkwasser und Gesundheit problemlos gedeckt werden könnte: mit nur 4% der Vermögen von 225 Milliardären! Es ist also wahr, dass jetzt - oder erst jetzt - die Bedingungen zur Lösung der Aufgaben vorhanden sind, die sich der Menschheit stellen! Fragt sich nur, wo die Kräfte sind, um sie durchzusetzen.
Es waren die sozialen Massenbewegungen - die Friedens-, die Frauen-, die ökologische Bewegung, die letzten Endes auch die gewichtigen, schlecht manövrierbaren gewerkschaftlichen Großtanker ins Schlepptau nahmen. Dem kleinen "Aktionskreis Leben" gelang es in den 70er Jahren sogar, die IG Metall nach neun Jahren dazu zu bewegen, für die Abschaffung der Atomenergie zu stimmen.
Könnte nicht der massive Protest gegen die Errichtung einer Diktatur der Welthandelsorganisation (WTO) ein Signal sein, das sich auch auf die Gewerkschaftsbewegung auswirkt? Immerhin geht es darum, dass sich die von keinem Parlament gewählte oder absetzbare WTO das Recht herausnimmt, sämtliche Wirtschaftsbereiche, aber auch Kultur, Gesundheit und Erziehung für den internationalen Wettbewerb zu öffnen, in dem nur die Mächtigsten überleben und die Schwachen untergehen werden. Nationale, durch Parlamente beschlossene Gesetze können ausgehebelt werden, Widerstand durch finanzielle Sanktionen bestraft werden. Alle Grundsätze der bürgerlichen Demokratie werden durch die WTO, die sowohl Legislative als auch Exekutive und Judikative sein soll, aufgehoben.
In Seattle, wo die WTO-Konferenz scheiterte, wurde der Beweis erbracht, dass die Globalisierung des Handels auch eine Weltunion des Widerstands geschaffen hat. Das war der zweite Schlag, den widerspenstige Politiker, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Basisbewegungen der freien Marktwirtschaft versetzten. Im Oktober 1998 brachten sie das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) zu Fall, das Konzernen das Recht geben sollte, ihre Investitionen gegen nationale Abwehrmaßnahmen zu schützen. Das hätte das Ende staatlicher demokratischer Souveränität bedeutet.
Dass die WTO-Konferenz durch ein Direct Action Network zu Fall gebracht wurde, das sich die Waffen der Globalisierer zu eigen machte, ist besonders pikant. Über eine Website und E-Mail-Listen wurde monatelang zum Marsch auf Seattle aufgerufen. Vor Ort wurden Aktionen koordiniert, die zur Umzingelung der angereisten Minister führten, mit einem Netzwerk aus Mobiltelefonen und Handfunkgeräten.
Francis Wurz, dem außenpolitischen Sprecher der Französischen Kommunistischen Partei, der in Seattle erlebt hatte, dass die US-Außenministerin Albright, die über den Krieg gegen Jugoslawien entscheiden konnte, von Demonstranten in ihrem Hotel gefangen gehalten wurde, war die Erregung noch anzusehen, als er von Seattle geradewegs nach Berlin zur Bundeskonferenz der PDS kam. Er sagte dort: "Keine schicksalhafte Fatalität zeichnet den Sieg eines immer wilderen Kapitalismus vor. Dass wir unsere politische Tätigkeit perspektivisch über den Kapitalismus hinaus orientieren, scheint mir eine höchst aktuelle, gesellschaftliche Herausforderung zu sein." Wir werden uns im neuen Jahrhundert ihr stellen müssen.
Jakob Moneta
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