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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.1 vom 08.01.2000, Seite 6

USA

Arbeiterorganisierung in den Südstaaten

Anfang November 1999 trafen sich in Atlanta im US-amerikanischen Bundesstaat Georgia 150 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus aller Welt, unter ihnen eine Gruppe aus Deutschland. Sie folgten einer Einladung der Black Workers for Justice (BWfJ) zu einer Konferenz über Globalisierung der Wirtschaft. Mit dieser zweiten International Workers School versuchen die BWfJ, ihre Arbeit in den Gemeinden und Betrieben der Südstaaten durch ein internationales Netzwerk zu unterstützen. In den USA gibt es ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Die Löhne liegen im Süden weit niedriger, als in den Betrieben des Nordens, Gewerkschaften sind dort sehr schwach vertreten.
Das Ziel der Black Workers ist es, die Belegschaften im Süden zu organisieren. Dafür bauten sie Gemeindezentren auf, die sich um Nachbarschaftshilfe, Gesundheitsversorgung, aber auch um die Probleme am Arbeitsplatz kümmern. In den Betrieben werden neue Strategien ausprobiert, weil die wenigen Versuche der offiziellen Gewerkschaften, hier Fuß zu fassen, oft gescheitert sind.

Historischer Hintergrund
Die Industrialisierung in den südlichen Bundesstaaten der USA hat fast 100 Jahren später begonnen als im Norden. Die Plantagenwirtschaft mit der Ausbeutung der aus Afrika verschleppten Sklaven brachte genug Profit.
Offiziell wurde die Sklaverei nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 abgeschafft, als im Norden schon große Fabriken entstanden waren.
Im Süden wurde die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung sehr rasch wieder zur offiziellen Rechtsnorm.
Die Verweigerung der Bürgerrechte bis zur Abschaffung des Wahlrechtes wurde von der Zentralregierung in Washington als "Kompromiss" für den Frieden mit den Südstaaten geduldet.
100 weitere Jahre wurden den Afroamerikanern alle Rechte verweigert.
In den 30er Jahren lebte die Hälfte der AfroamerikanerInnen im ländlichen Süden. Durch den Preisverfall der Baumwolle wurden 2 Millionen schwarze Kleinbauern ruiniert. 1932 war in den Städten des Südens die Hälfte der AfroamerikanerInnen arbeitslos. Sie erhielten nicht mal die sozialen Leistungen. Von den Hilfsorganisationen wurden sie sogar von den Suppenküchen ausgeschlossen. Am Arbeitsplatz und von den Gewerkschaften wurden sie diskriminiert.
Die Macht der Plantagenbarone war aufgebaut auf Verarmung kleiner Bauern und einem damit verbundenen Arbeitskräftereservoir für die "Textile mills", auf Billiglöhnen, ungeregelten Arbeitszeiten und Kinderarbeit.
Die Regulierung der Arbeitsbedingungen wie sie im Rahmen des "New Deal" eingeführt wurden, galt im Süden nur begrenzt. Sie garantierte hier weder das Recht, sich zu organisieren, noch setzte sie die effektiven Antigewerkschaftsstrategien außer Kraft. Gesetze wie das "right to work", das "Recht auf Arbeit" (ohne gewerkschaftliche Organisierung) stärkte die Macht der Unternehmer.
Ein entscheidender Punkt war der Textilstreik von 1934, der zusammengeschossen wurde: Die Arbeiter kämpften um höhere Löhne, eine Beendigung der Arbeitsintensivierung und um die Anerkennung der Gewerkschaft United Textile Workers (UTW). Die Behörden boten alles an Polizei auf, was sie hatten. Es gab 15 Tote, Massenverhaftungen und willkürliche Entlassungen. Wiederholt wurden die Hilfsgelder konfisziert. Der Streik wurde verloren und die Mitgliederzahl der UTW dezimierte sich.
Die Niederlage wurde zum Symbol der Unmöglichkeit, den Süden (gewerkschaftlich) zu organisieren.
Erst die Bürgerrechtsbewegung in den 50er und 60er Jahren brachte die Abschaffung der Apartheid und formale rechtliche Gleichheit. Heute gibt es zwar die "Gleichberechtigung und Antidiskriminierungsgesetze" aber die wirtschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse haben sich nicht verändert. Immer noch ist der größte Teil der schwarzen Bevölkerung arm, sind ihre Ausbildungsmöglichkeiten schlecht und und sie werden von politischer Macht ausgegrenzt.
Gewerkschaftliche Organisierung wird in den Südstaaten durch besondere (Right to Work) Gesetze behindert und ist dem zufolge selten erfolgreich. Nach dem zweiten Weltkrieg führten AFL und CIO Organisierungskampagnen im Süden durch. Ihr Scheitern führte dazu, dass es nur noch vereinzelte betriebliche Kampagnen gab.
Behindert wird sie aber auch dadurch, dass die US-Gewerkschaften selbst oft nicht glaubwürdig sind.
In ihrer bewegten Geschichte haben sie und die in ihnen organisierten weissen Arbeiterinnen und Arbeiter sich oft rassistisch verhalten. Lange Jahre war es für Schwarze nicht möglich, Mitglied in der AFL zu werden. Erst der Einfluss der CIO-Gewerkschaften, die in den Massenindustrien Schwarze organisierten, brachte den Wandel. In den 30er und 40er Jahren herrschte innerhalb der CIO eine solidarische Position gegenüber den Schwarzen vor. Es wurden sogar linksgerichtete Kampagnen unterstützt.
Die Wende der CIO hin zu arbeitgeberfreundlicher Gewerkschaftspolitik mit einem zwischen Arbeit und Management geschlossenen Sozialpakt begann Ende der 40er Jahre. Die Zeit des Kalten Krieges brachte auch die Abkehr von solidarischem Gewerkschaftshandeln und dem entschlossenen Eintreten für die Bürgerrechte.

Globalisierung hautnah
Globalisierung der privaten Wirtschaft, insbesondere der Autoindustrie im Süden war das Hauptthema der jüngsten Konferenz der Black Workers for Justice. In den jungen Industriestaaten hat sich die Autoindustrie zu einem wichtigen strategischen zentralen Faktor der Wirtschaft entwickelt. Südkorea, Südafrika, Brasilien, Thailand, Malaysia, Indien und China spielen eine Schlüsselrolle bei der Internationalisierung der Autoindustrie. Der Süden der USA reiht sich ein in diese Länder als ein Ziel für ausländische Direktinvestitionen, vor allem der internationalen Automobilindustrie.
Der weitgehende gewerkschaftsfreie Süden hat eine erhebliche Anziehungskraft für zahlreiche Unternehmen. Die Autoindustrie hat in den südlichen Bundesstaaten sehr viel investiert. Heute werden hier mehr Autos und Autoteile gebaut als in Michigan, dem das historische Herz der Automobilindustrie.
Honda plant für 2003 ein Werk in Alabama. Das Mercedeswerk in Alabama hat angekündigt seine Kapazität auszuweiten. In South Carolina hat BMW angekündigt, 1000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Weitere 500 sollen in den Zulieferbetrieben in der Greenvilleregion entstehen. Porsche hat sein Hauptquartier von Nevada nach Atlanta verlegt und es gibt ein Gerücht, dass bald ein Montagewerk folgen soll.
Dies sind die Gründe, sich über die strategische Rolle des Südens Gedanken zu machen und gewerkschaftliche Gegenmacht aufzubauen sowohl auf der internationalen als auch auf der nationalen Ebene.
Die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zum größten Teil aus den Automobilbetrieben von BMW und Mercedes und waren natürlich an der Situation in den Werken dieser Firmen interessiert. Das Management der Mercedeswerke wird bspw. nicht müde zu betonen, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter in dem Werk den gleichen Lohn von etwa 21 Dollar, bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche erhalten und es in der Fabrik keine Diskriminierung (die Zusammensetzung der Belegschaft muss der Zusammensetzung in der Bevölkerung entsprechen) gibt. Auch dürfe, so das Management, die Organisierung von Gewerkschaften nicht behindert werden.
Die Erfahrungen der Beschäftigten in den Werken, z.B. in Alabama, sind anders: Zwar verdienen Mercedesarbeiter tatsächlich fast doppelt soviel wie den umliegenden Betrieben. Doch viele Teile werden von externen Zulieferern gefertigt. Deren Löhne liegen weit unter denen von Mercedes. Die Arbeitszeiten werden je nach Auftragslage willkürlich verlängert. Oft erfahren die Kollegen erst im Laufe der Schicht, dass sie ein oder zwei Stunden länger bleiben müssen.
Tatsächlich arbeiten im Werk viele Schwarze und auch mehr Frauen als bei uns. Die Vorgesetzten, vom Gruppensprecher bis zu den leitenden Angestellten sind hauptsächlich männlich und weiß. In den Betrieben werden Antigewerkschaftskampagnen durchgeführt. Anti-Union Comittees verteilen Flugblätter und Aufkleber.
Offiziell behält die Geschäftsleitung saubere Hände. Aber die Einschüchterung und die Angst der Beschäftigten ist erheblich. An den Autobahnen stehen grosse Werbetafeln mit gewerkschaftsfeindlichen Parolen. Die wurden natürlich nicht von Mercedes oder BMW aufgestellt, sondern von staatlichen Behörden.

Attraktivität des Standorts
Mit niedrigen Löhnen und ohne Gewerkschaften wollen die Regierungen die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts erhöhen. Bei BMW fiel die Wahl für den Standort des Montagebetriebs auf South-Carolina, dem US-Staat mit der geringsten gewerkschaftlichen Organisationsquote und einer ausgewiesenen gewerkschaftsfeindlichen Haltung. In der Gewerkschaftsbewegung dieses Staates gab es eine historische Zäsur, den schon erwähnten Massenstreik der nationalen Textilindustrie, der in einer Niederlage endete, die das Gesicht der Region auch heute noch prägt: Die Kirchen der Region weigerten sich, die Leichname der getöteten Arbeiter zu beerdigen. Die überlebenden Streikenden werden z.T. bis heute sanktioniert.
Ein weiterer Grund für die Ansiedlung in dieser Region sind die steuerlichen Vorteile. Neben zahlreichen anderen Vergünstigungen wie der Einrichting einer "Freihandelszone" rund um das Werk genießt BMW weitgehende Steuerfreiheit für die nächsten 20 Jahre. In der öffentlichen Diskussion sind diese Vergünstigungen umstritten.
Der Staat finanziert seine Aufgaben mit den Steuereinnahmen. Es gibt Kritik daran, dass Unternehmen, die hier investieren, von Grundbesitzsteuern befreit werden. In South Carolina sollten 25% der Grundbesitzsteuern für Schulbildung ausgegeben werden. Verzichtet der Staat auf die Steuern, fehlt das Geld für die öffentliche Schulbildung. Dies geht wieder zu Lasten der Armen und überwiegend der schwarzen Bevölkerung.
Die Diskussion der US-amerikanischen Kollegen mit den deutschen, aber auch mit den Kollegen aus den Ford-Werken, in São Paulo, in Buenos Aires oder Mexiko, mit den Gewerkschaftern von General Motors und Delphi aus England unterstützt den Kampf im Betrieb. Die Möglichkeiten, über gezielte Öffentlichkeitsarbeit Druck auf das Konzernmanagement auszuüben, können dafür einen Beitrag leisten.

Widerstand organisieren
Black Workers for Justice wurde 1982 gegründet, um Rechte und die Würde der arbeitenden Armen im Südosten der USA durchzusetzen. Angefangen mit einem Komitee bestehend aus drei Leuten haben sie sich heute zu einer einer der glaubwürdigsten und effektivsten Organisationen in den Südstaaten entwickelt.
1988 organisierten sie den Kampf in einem Betrieb in North Carolina. Als das Unternehmen nach Mexiko abwandern wollte, um von den billigen Arbeitskräften zu profitieren. erkämpften sie ansehnliche Abfindungen und die Verpflichtung des Unternehmens, angerichtete Umweltschäden zu beseitigen.1991 nach einem verheerenden Brand in einer Geflügelfarm, bei dem 25 Menschen ums Leben kamen, weil die Firma alle Notausgänge verschlossen hatte, organisierten sie Hilfe für die betroffenen Familien und kämpften gegen das verantwortliche Lebensmittelunternehmen für Gerechtigkeit.
BWfJ kombiniert eine offensive Basisarbeit mit dem Willen, innovative Strategien zu entwickeln. Bei "Consolidated Diesel" begann Black Workers for Justice, Betriebsgruppen innnerhalb des Betriebes aufzubauen, wo eine übliche gewerkschaftliche Organisierungskampagne keine Chance hätte. Sie nahmen Kontakt zur Gewerkschaft United Electrical Workers (UE) auf, die sie organisatorisch unterstützte. BWfJ nennen dies "non majority union" (Nichtmehrheitsgewerkschaft). Sie verhinderten Kündigungen und wehrten sich erfolgreich gegen Lohnkürzungen.
BWfJ konzentriert sich auf die schwarzen Arbeiterinnen und Arbeiter, weil sie eine Macht unter den am wenigsten Mächtigen in der am wenigsten organisierten Region aufbauen wollen. "Dies ist gleichzeitig ein Beitrag, wie wir uns gegen den Rückgang der Arbeiterbewegung durchsetzen können."

Gekürzte Fassung aus dem Rundbrief antifaschistischer und antirassistischer GewerkschafterInnen (RAG), Nr.27. Kostenloser und unverbindlicher Bezug über DGB-Jugend- und Kulturzentrum, Brunnenstr.125-127, 13355 Berlin.

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