Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.1 vom 08.01.2000, Seite 12

Ruhe bis Februar?

Neue Phase im nordirischen Friedensprozess

An der neuen nordirischen Regionalregierung, der ersten seit 1972, sind Katholiken und Protestanten gleichermaßen beteiligt. Sinn Féin stellt zwei Minister, zwei die extrem loyalistische Democratic Unionist Party (DUP), die katholischen Sozialdemokraten der SDLP und die gemäßigtere Ulster Unionist Party (UUP) haben jeweils drei Minister. Hinzu kommen David Trimble (UUP) als Premierminister und Seamus Mallon (SDLP) als sein Stellvertreter.
Die Entscheidung der Parteiversammlung der größten Unionistenpartei UUP machte den Weg frei: Bildung einer gemischt unionistisch-nationalistischen Regierung und die Übertragung wichtiger Kompetenzen von London nach Belfast sowie die Installierung grenzüberschreitender Arbeitsgruppen. Dieser Weg ist jedoch nur befristet und an die Bedingung geknüpft, dass die IRA im Februar 2000 mit der Waffenabgabe beginnen muss.
Nachdem die Unionisten über eineinhalb Jahre die Umsetzung des Karfreitags-Abkommens verzögert haben, wollen sie nochmals im Februar 2000 überprüfen, ob ihre Bedingungen erfüllt wurden. Nur mit dieser Taktik gelang es Parteichef Trimble, etwas mehr als die Hälfte der Delegierten zu überzeugen. Sein Abstimmungssieg offenbart auch seine Schwäche: 42% stimmten gegen seinen Kurs. So einen starken Gegenwind hatte Trimble noch nie.
Immerhin unterstützten 72% der Ulsterunionisten das Karfreitag- Abkommen Ostern 1998. Addiert man die konsequente Ablehnung des Friedensprozesses durch die starke DUP hinzu, wird offensichtlich, dass es parteipolitisch in der protestantischen Bevölkerung eine mehrheitliche Ablehnung des eingeschlagenen Weges gibt. Eine Neu- oder Umstrukturierung im unionistischen Lager ist nicht mehr auszuschließen.
Ebenso könnte der parteiübergreifende Orange Order Initiativen in diese Richtung einleiten. Dies verheißt nichts Gutes. Alle bürgerlichen Kommentatoren übersehen wegen der oberflächlichen Genugtuung über die aktuellen Ergebnisse diese Tatsache. Besonders die klerikal-reaktionäre DUP bezog Stellung: In ihren Augen ist es eine Unglaublichkeit, dass die Ministerin, die für die öffentliche Sicherheit verantwortlich ist, von Sinn Féin gestellt wird. Die erste Kabinettssitzung wurde prompt von der DUP boykottiert - sie konnten den Anblick ihrer Sinn- Féin-Kollegen nicht ertragen. Ebenso fehlten die beiden DUP-Minister bei der ersten Sitzung des "Nord-Süd- Ministerrats" am 13.Dezember 1999 in Armagh. DUP-Chef Ian Paisley sprach bedeutungsvoll von einer "neuen Nacht".
Bedrohlich ist auch die Ankündigung, dass Trimble und seine drei Minister zurücktreten, wenn im Februar die IRA nicht mit ihrer Entwaffnung begonnen hat. Sinn Féin betont zurecht, dass im Karfreitag-Abkommen von einer Frist bezüglich der Entmilitarisierung nie die Rede war. Es wird also wieder eine Hürde aufgebaut, um der IRA ab Februar den Schwarzen Peter hinzuschieben. Dabei ist nicht der Besitz, sondern die Anwendung von Waffen die entscheidende Frage. Hier muss hingewiesen werden, dass seit der einseitigen Ausrufung des Waffenstillstands durch die IRA dieser penibel und diszipliniert eingehalten wurde. Zudem hat sie bereits einen Abrüstungsbeauftragten ernannt.
Mit der Übertragung administrativer Befugnisse von London nach Belfast am 1.Dezember 1999 wurden auch die bisherigen Verfassungsartikel der südirischen Republik, die ein Wiedervereinigungsgebot proklamierten, ungültig. Im Gegensatz dazu dauern die Vertreibungen durch die Unionisten an, außerdem wird an den provokanten Märschen durch katholische Wohngebiete festgehalten. Ebenso sind weder größere Teile der britischen Armee nach England verlegt noch umfassende Reformmaßnahmen der RUC sichtbar geworden.
Auch die aufgedeckte elektronische Bespitzelung des Sinn-Féin- Strategen Gerry Adams kann nicht gerade als vertrauensbildende Maßnahme bezeichnet werden. Pikant die Information, dass diese Überwachung nur mit Billigung höchster britischer Regierungskreise möglich war.
Alle positiven Schritte können jedoch schlagartig zunichte gemacht werden. Die Gegner des Friedensprozesses, allen voran die Protagonisten des "unionistischen Vetos", werden nicht ruhen und nichts unversucht lassen, das fragile Gerüst der Absprachen einzureissen. 1974 brauchten die militanten Unionisten gerade mal fünf Monate, um einen Verständigungsprozess zu Fall zu bringen. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass die verschiedenen IRA- Dissidenten wie die Real IRA oder die Continuity IRA sowie die INLA wieder ein Klima der Spannung organisieren könnten. Ende Dezember gab es bereits eine ernsthafte Bombendrohung der C-IRA.
Die Frustration über den bisherigen Verlauf des Friedensprozesses sowie die Ereignisse um die Märsche haben das Potenzial der KritikerInnen aus dem republikanischen Lager nicht kleiner werden lassen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass auch die geringsten Provokationen ausreichen, um die six counties wieder in ein Pulverfass zu verwandeln. Leider werden die Millenniumsknaller nicht die letzten Explosionen im geteilten Irland gewesen sein.
Paul Stern
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