Sozialistische Zeitung |
Es herrscht wieder Ruhe auf den Straßen und Plätzen Kölns. Keine blauen, roten oder
weißen Kampftruppen bevölkern mehr das Stadtzentrum. Und auch die rund 500 Zeitungsboxen des norwegischen Schibsted-Verlag
für seine Gratistageszeitung 20 Minuten Köln stehen seit dem 6.Januar nur noch einsam und verlassen in der Gegend herum. Doch
der Waffenstillstand im "Kölner Zeitungskrieg", in dem in seiner Hochphase die Domstadt mit 25 Tonnen Papier bombardiert
wurde, ist trügerisch. Das Gefechtsfeld hat sich nur verlagert. Die nächste Schlacht wird im Saale geschlagen - am 11.Februar vor
dem Berliner Kammergericht.
Beschaulich ging es bis Dezember letzten Jahres auf dem Kölner
Zeitungsmarkt zu. Die beiden lokalen Tageszeitungen Kölner Stadtanzeiger und Kölnische Rundschau lebten in friedlicher
Koexistenz. Die eine gemacht fürs liberale, die andere fürs konservative Klientel - und beide verlegt vom Verlag M. DuMont
Schauberg. Den Boulevard teilten sich in bestem Einvernehmen DuMonts Express und Springers Bild.
Doch seit dem 13.Dezember ist alles anders. Seitdem, so hat der
Kölner Stadtanzeiger festgestellt, "herrscht Kampf". Denn die Normannen des Schibsted-Verlags sind mit einer
Gratistageszeitung in die Stadt eingefallen. Von einer rund 20-köpfigen Redaktion erstellt, solle 20 Minuten Köln "weder ein
Anzeigen- noch ein Boulevardblatt" sein, sondern eine "seriöse, aktuelle Morgenzeitung", verkündete
Chefredakteur Klaus Kelle zum Start.
Was die Produktion des 24-Seiten-Blatts billig macht: Der redaktionelle
Eigenanteil hält sich in den engen Grenzen Kölns. Den Rest füllen Agenturmeldungen. Fastfoodjournalismus ohne
anstrengenden Tiefgang, aber in seriöser Verpackung - das ist das schlichte Rezept, mit dem "junge und mobile
Großstädter" erreicht werden sollen. Der Werbeslogan des Blattes könnte auch von einem Kölner Brauhaus
stammen: "Kompetent. Klar. Kölsch." Prost.
Rund 9,5 Millionen Mark lässt sich Schibsted seinen Versuch kosten,
den Kölner Zeitungsmarkt aufzurollen. Hinzu kommt noch einmal die gleiche Summe von einer Investmentbank. Köln ist nur ein
Test. Kann der Verlag hier seine anzeigenfinanzierte Gratistageszeitung durchsetzen, will er bundesweit solche Blätter platzieren. Das
würde die Zeitungslandschaft der Bundesrepublik kräftig durchschütteln.
Die Schibsted-Gruppe gehört zu den größten
Medienunternehmen Skandinaviens, verlegt u. a. die beiden größten norwegischen Tageszeitungen Aftenposten und VG und
hält wesentliche Anteile an Schwedens Svenska Dagbladet und Aftonbladet. Der Konzern ist zudem Marktführer in der
norwegischen Film- und TV-Industrie und über eine Tochterfirma auch im Online- und Mobiltelefonbereich aktiv.
Kein Wunder, dass das Schibsted-Engagement die Kölner
Zeitungsplatzhirsche in Aufregung versetzt. DuMont versuchte denn auch, die unliebsame Konkurrenz schon im Vorfeld wegzubeißen.
Vergeblich: zwar fand 20 Minuten keine Druckerei im Rheinland, aber bis in die Niederlande reichte der Arm Alfred Neven DuMonts nicht.
Das private Radio Köln, an dem der mächtige Verleger
beteiligt ist, lehnte Werbespots für 20 Minuten mit der Begründung ab, es habe "kein Interesse daran, Medialeistung einem
potenziellen Wettbewerber zur Verfügung zu stellen". Werbespots für Springers Anti-20-Minuten-Blatt Köln extra
wurden hingegen gesendet.
Köln extra startete zeitgleich mit der Schibsted-Gazette am
13.Dezember. Eine reine "Abwehrmaßnahme", wie Springer-Sprecherin Edda Fels erläuterte: "Sobald 20
Minuten aufgibt, werden wir Köln extra wieder einstellen." Nachdem Schibsted 20 Minuten Anfang Januar vorläufig vom
Markt genommen hatte, stoppte denn auch Springer umgehend sein Gratisprodukt. Auch DuMont verzichtete auf die Auslieferung seines Not-
Kostenlostitels Kölner Morgen, der am 6.Januar erstmalig hatte erscheinen sollen.
20 Minuten war eingestellt worden, nachdem am 4.Januar das Berliner
Landgericht eine vom Axel Springer Verlag erwirkte Einstweilige Verfügung gegen die kostenlose Verbreitung der Zeitung
bestätigt hatte. Springer hatte vor Gericht argumentiert, die Verteilung von Gratiszeitungen sei "wettbewerbswidrig".
Es sei das erste Mal seit 1945, "dass in einem
westeuropäischen Land das Erscheinen einer Tageszeitung per Gerichtsbeschluss gestoppt wird", empörte sich 20-Minuten-
Chef Kelle. Das sei ein Eingriff in "das in der Verfassung garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung". Ein Vorwurf,
den Springer-Sprecherin Fels als "abstrus" zurückwies. Es ginge nicht um das Verbot einer Zeitung, sondern nur "um
das Verbot eines bestimmten Vertriebswegs".
Während die Fachgruppe Journalismus in der IG Medien NRW von
einem "schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich garantierte Presse- und Informationsfreiheit" sprach, begrüßte
der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) die Gerichtsentscheidung. Schließlich ginge es Schibsted mit seinem
"Angriff auf den gewachsenen Zeitungsmarkt" offensichtlich darum, "bewährte Marktstrukturen zu
zerstören", erklärte der BDZV. Nicht falsch: schon die wenigen Wochen, in denen 20 Minuten erschien, bescherten Express
und auch Bild einen Auflagenrückgang von rund 20%.
Doch so schnell werden die deutschen Verleger den bösen
ausländischen Angreifer nicht los. Schibsted hat Widerspruch gegen das Urteil der Landrichter eingelegt. Am 11.Februar verhandelt nun
das Kammergericht in Berlin über den "Kölner Zeitungskrieg". Bis dahin ist 20-Minuten-Pause. "Wir wollen
zunächst eine für uns positive Entscheidung vor Gericht erreichen und dann den Kampf auf dem Markt für uns
entscheiden", begründete Schibsted-Sprecher Hans Erik Matre die vorläufige Einstellung.
Ob das Urteil auch in der nächsten Instanz Bestand haben wird, ist
fraglich. So hält der Leiter des renommierten Internationalen Presseinstituts (IPI) in
Wien, Johann Fritz, das Urteil "bedenklich und
unverständlich". Hier seien offensichtlich wirtschaftliche Interessen über grundgesetzlich geschützte Werte gestellt
worden. Klaus Kelle jedenfalls ist zuversichtlich, dass das Landgerichtsurteil kassiert wird: "Die Norweger werden nicht die Koffer
packen."
Pascal Beucker