Sozialistische Zeitung |
Die Koordinierungsstelle der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen in Bielefeld hat dem
Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse einen Brief geschrieben, in dem sie ihn auffordert, die Rückzahlungen, die die CDU aus
der Spendenaffäre zu leisten hat, teilweise Arbeitslosenprojekten zukommen zu lassen. "Eine Finanzspritze an die
Arbeitsloseninitiativen wäre eine Art Schmerzensgeld für die zahlreichen Leistungskürzungen zu Lasten der Erwerbslosen
aus der Ära Kohl", heißt es in dem Brief. Als die CDU 1982 an die Regierung kam, erhielt ein Arbeitsloser monatlich im
Durchschnitt 240 Mark mehr als heute. Erwerbslose und Sozialhilfeempfängerinnen gehörten in den Folgejahren zu den
Hauptleidtragenden der CDU-Politik.
Die Forderung zieht Kreise. Unter anderem unterstützen sie
Betriebsräte aus der Thyssen-Industrie in einem Brief an den Hauptvorstand der IG Metall. Dieser wird aufgefordert, "das
politische Gewicht der IG Metall einzusetzen, um eine restlose Aufklärung herbeizuführen, die Schuldigen zu bestrafen und die
veruntreuten Gelder im Rahmen der geltenden Gesetze einzuziehen. Hierbei geht es nicht nur um die Empfänger, sondern auch um die
Geber" (Thyssen wird als ein Hauptgeldgeber in der Spendenaffäre genannt).
Mit "Aktionen und Demonstrationen" soll Druck von unten
aufgebaut werden, damit "die verbreitete Resignation in der Bevölkerung und die Ansicht ,Politik ist ein schmutziges
Geschäft" nicht gefährlich ansteigt, wenn aus der aktuellen Affäre keine ernsthaften Konsequenzen gezogen
werden. "Die politischen Folgen wären unabsehbar, und wir hegen die Befürchtung, dass die neonazistische Rechte daraus
Kapital schlagen würde."
Anlass zu solchen Befürchtungen gibt es reichlich, man braucht nur
nach Österreich zu blicken. Die meisten Reaktionen auf die Spendenaffäre aber versuchen, ihre Tragweite herunterzuspielen. Dass
die CDU-Spitze mit aller Macht den Umfang der Affäre zu deckeln versucht, dass sie immer erst im Nachhinein zugibt, was Medien
längst aufgedeckt haben, und dass sie erklärt, trotz allem gegen Kohl keine rechtlichen Schritte einleiten zu wollen, ist mit einem
demokratischen Staatsverständnis nicht vereinbar, aber verständlich.
Schließlich waren ja nicht nur der Altkanzler und seine engsten
Vertrauten, sondern der gesamte politische Kreis um ihn in den Aufbau und die Pflege dieses "Systems" der Machtausübung
involviert. Die Frage nach der politischen Verantwortung kann nicht ausgespart bleiben, und die trifft die Kohl-Jünger, die sich jetzt als
"Aufklärer" aufführen, in nicht minderem Maße. Diese Verantwortung scheinen Schäuble und Konsorten
aber nicht übernehmen zu wollen; damit würde das ganze Konzept einer "Reform" der CDU bei soviel politischer und
personeller Kontinuität wie möglich durcheinandergeraten; die Einheit der Partei stünde auf dem Spiel und damit der Zugang
zu den Pfründen der Macht.
Auch das Handeln der neuen/alten Führungsriege ist in erster Linie
von der Sorge um den Machterhalt geprägt - und solange das so ist, rangieren Macht und Gunst vor Recht und Gesetz. Wo kämen
wir auch hin, wenn dieses Machtsystem grundsätzlich in Frage gestellt würde?
Das Problem ist: Kaum jemand will das, obwohl es notwendig wäre.
Die SPD hat nicht nur selber Dreck am Stecken, sie möchte sich auch nichts weniger vorstellen als eine politische Landschaft ohne die
CDU, denn damit würde auch ihr Platz im Machtgefüge in Frage gestellt. Die Grünen fallen als Korrektiv aus, weil sie sich
zur bestehenden Parteiendemokratie - d.h. zum bestehenden System der Verflechtung von Politik und Wirtschaft - keine Alternative mehr
vorstellen können. Früher sind sie einmal für mehr Demokratie angetreten, aber auch das ist lange vorbei.
Noch verheerender ist, wenn Lothar Bisky von der PDS verlautbaren
lässt, der sich öffnende Sumpf sei ein "Beispiel für die Stärke der parlamentarischen Demokratie" und
damit den Eindruck weckt, das Ganze sei ein Betriebsunfall und das System zur Selbstreinigung fähig. Weder das eine noch das andere
stimmt. Das System Kohl wurde von Adenauer geschaffen und bildet eine der tragenden Säulen des Systems der Machtausübung
der Nachkriegs-BRD.
Das politische System der BRD hat sich weder im Grundgesetz noch in
seinem Rechtssystem noch in seiner Selbstdarstellung nach außen jemals öffentlich dazu bekannt, der verlängerte Arm der
großen und kleinen Kapitalisten zu sein. Stets wurde das Bild von der "sozialen Marktwirtschaft" hochgehalten, in der
Unternehmer wie Lohnabhängige in gleicher Weise um die Gunst der Politiker zu konkurrieren hätten, um ihre Interessen
durchzusetzen. Das "System Kohl" entlarvt dieses Bild vom "Rechtsstaat" nun als eine Fiktion: die Unternehmen haben
die Politik gekauft und finden dies auch in Ordnung. Wie anders soll Lobbypolitik sonst wohl laufen?
Der Spendenskandal ist darum weitaus mehr als nur ein Skandal, er ist, um
es mit dem konservativen Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis zu sagen, eine Staatskrise. Wenn die Linke nicht will, dass es wieder einmal
die populistische Rechte ist, die daraus das meiste Kapital schlägt, wird sie sich mehr einfallen lassen müssen, als zur Rettung
eines morschen Systems aufzurufen.
Angela Klein