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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.3 vom 03.02.2000, Seite 4

Todesfasten in der BRD

Hungerstreik türkischer Gefangener kommt in kritische Phase

Das Szenario erinnert an die Hoch-Zeiten der Terrorismushysterie in der BRD der späten 70er Jahren. 15 politische Gefangene in verschiedenen deutschen Städten verweigern teilweise seit 50 Tagen die Nahrung. Mitte Januar haben sie ihre Aktion in ein Todesfasten umgewandelt. Mittlerweile haben Gefangene in Frankreich, Belgien und der Türkei zur Unterstützung ihrer deutschen Genossen einen Solidaritätshungerstreiks begonnen.
Was sich wie eine Reminiszenz an den Deutschen Herbst anhört, ist im Januar 2000 in Deutschland Realität. Seit dem 30.November 1999 verweigert das Mitglied der türkischen Revolutionären Volksbefreiungspartei (DHKP-C) Ilhan Yelkuvan die Nahrungsaufnahme. Er wurde Ende November zu lebenslänglicher Haft verurteilt, weil ihn der 4.Hamburger Strafsenat unter Vorsitz von Richter Albrecht Mentz des Mordes an einen in Hamburg-Wilhelmsburg lebenden türkischen Nationalisten für überführt hält. Für Yelkuvans Verteidiger, den Bremer Rechtsanwalt Hans- Eberhardt Schultz, stützt sich die Mordanklage hingegen auf Indizien und dubiose Kronzeugen. "Bei jeden anderen Prozess hätte es nach dem Grundsatz ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘ einen Freispruch gegeben."
Schon öfter hat er sich bei der Hamburger Justiz vergebens für die Aufhebung der Sonderhaftbedingungen bei Yelkuvan eingesetzt. "Mein Mandant ist 23 Stunden allein in der Zelle. Beim Hofgang darf kein anderer Gefangener in der Nähe sein. Selbst die Teilnahme an Sportveranstaltungen wurde ihm verboten."
Yelkuvan will mit dem Hungerstreik die Aufhebung und Überführung in den Normalvollzug erreichen. So hat er auch die ersten sechs Monate seiner Haft im Hamburger Untersuchungsgefängnis Vierlande verbracht. Damals war der Bundesgerichtshof (BGH) für seinen Fall zuständig, der auf die Sonderhaftbedingungen mit der Begründung verzichtete, dass die DHKP-C keine Gefahr für den deutschen Staat darstellt.
Erst als der 4. Strafsenat in Hamburg den Fall übernahm, wurden die Sonderhaftbedingungen mit unterschiedlichen Begründungen angeordnet. Hieß es zunächst, nur durch die Isolation könne Yelkuvan vor den rachedurstigen Mitgliedern einer konkurrierenden DHKP-C-Abspaltung geschützt werden, begründet ein Justizsprecher die Anordnung jetzt als Maßnahme, die Werbung Yelkuvans für die in Deutschland verbotene DHKP-C zu verhindern.
Gegen mindestens 30 weitere DHKP-C-Mitglieder und Sympathisanten laufen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Die Hamburger Staatsschutzbehörden haben sich auf diese Prozesse spezialisiert. Auch Eryüksel käme nach einer Auslieferung in den Hamburger Knast.
Die DHKP-C ist außer in der Türkei lediglich in der BRD illegalisiert. Das Verbot wurde vom damaligen Innenminister Kanther am 13.August 1998 erlassen und wird von seinem Nachfolger Otto Schily (SPD) nicht angetastet.
Bei der Verfolgung der DHKP-C-Zeitung Kurtulus spielte die BRD gar eine Vorreiterrolle. Während sie in der Türkei noch regelmäßig erscheinen konnte, wenn auch ein Teil der Seiten vor Drucklegung regelmäßig zensiert und geschwärzt werden muss, wurde sie in der BRD gleich ganz verboten. Jetzt befürchten nicht nur die türkische Linke, dass sich im Rahmen der Angleichung des europäischen Rechtsraums die Verfolgung ausdehnen wird. Die jüngsten Verhaftungen in der Schweiz ebenso wie eine Prozessserie gegen über 30 vermeintlichen DHKP-C- Mitgliedern in Frankreich, die nach Intervention des deutschen Verfassungsschutzes losgetreten wurde, sind ernste Symptome dafür.
Ob der Hungerstreik an der Situation etwas ändert, muss bezweifelt werden. Die Justiz zeigt bisher keine Kompromissbereitschaft. Mittlerweile wird die Zeit knapp. Der in Aachen inhaftierten Erdogan Cakir hat nach lebensbedrohlichen Symptomen den Hungerstreik abgebrochen.
Zur Zeit sind mindestens drei Gefangene in akuter Lebensgefahr, darunter der in Hamburg einsitzende Ali Ekti und der in der JVA-Tegel inhaftierte Ihsan Ersoy. Nach Aussagen von Gefängnisinsassen wurde er am 27.Januar beim Versuch der Zwangsernährung schwer verletzt und fiel ins Koma. Er liegt im Haftkrankenhaus Moabit und setzt seinen Hungerstreik fort. Während sich auch einige grüne Ortsverbände und SPD-Bundestagsabgeordnete für die Aufhebung von Yelkuvans Isolationshaftbedingungen einsetzen, beharrt Richter Mentz auf Beibehaltung der Totalisolation von allen türkischen Mitgefangenen, was die Hungerstreikenden als Apartheid im Knast ablehnen.
Rechtsanwalt Schultz hofft auf einen Kompromiss. Aber er warnt davor, die Entschlossenheit der Gefangenen zu unterschätzen. "Das Todesfasten hat in der Türkei eine lange Tradition. Die Gefangenen hungern bis zur Erfüllung ihrer Forderungen oder bis zum Tod."
Peter Nowak

Kontakt und weitere Unterstützungsunterschriften: gruppe mücadele, E-Mail: <gruppe.muecadele@gmx.de>.


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