Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.3 vom 03.02.2000, Seite 10

Internationale Militäreinsätze als Einstiegsdroge?

PDS diskutiert Einsatz von UN-Truppen in Krisenregionen

Das Gewaltmonopol der UNO und die Haltung zu internationalen Blauhelmeinsätzen - wie zuletzt in Ost- Timor - wird den Frühjahrsparteitag der PDS in Münster beschäftigen. Die Debatte läuft seit Oktober auf mindestens drei Ebenen: In der PDS geht es erstens um die strategische Option zukünftiger Regierungsbeteiligungen im Bund. Teile der Partei sehen in der Bildung einer "Mitte-Links-Regierung" unter Einschluss der PDS das wichtigste Ziel für das Wahljahr 2002. Größtes Hindernis dabei könnte ein strikter Antimilitarismus werden. Alle bisherigen PDS-Programme lehnen Auslandseinsätze der Bundeswehr und überhaupt jede Art von Militärinterventionen ab. Alle bisherigen Programme bestehen auch auf der Abschaffung der Bundeswehr, verlangen die Auflösung von NATO und WEU. Aus herrschender Sicht gelten die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten diesbezüglich noch als besonders stur und lernunfähig. Nun wächst - ausgehend von der Führung der Bundestagsfraktion - der Druck, bisherige Aussagen schleichend zu entschärfen.
Zweitens gibt es eine Auseinandersetzung über die Rolle der Vereinten Nationen und ihre demokratische Reformierbarkeit, über den fortschrittlichen Charakter der UN-Charta und über die reale Abhängigkeit der Weltorganisation vom Willen weniger Großmächte. Diskutiert wird über wenige gute und viele schlechte Erfahrungen mit Blauhelmeinsätzen in verschiedenen Ländern und die latente Gefahr, dass speziell über den UN- Sicherheitsrat zukünftige Kriege legitimiert werden. Nie seit Gründung der Partei hat sich von den Basisorganisationen bis in die Spitzengremien eine so breite, engagierte und kontrovers geführte Diskussion entwickelt. Der Grund: die Mitgliedschaft ist sensibilisiert, nachdem die Bundesrepublik erstmals einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen anderen Staat führte, und nachdem SPD und Grüne zum Regierungseinstand alle früheren Grundsätze bezüglich Auslandseinsätzen über Bord warfen. Im Vorfeld des April-Parteitags wird das Thema im Februar auch auf bundesweit organisierten Veranstaltungen behandelt.
Drittens müsste die PDS ihr Verhältnis zum Pazifismus neu definieren. Sie betrachtete sich zwar nie - wie dies jahrelang die Grünen taten - als pazifistische Partei; aber sie behandelte den Pazifismus immer als integrierten Bestandteil ihrer Politik. Deutschland sollte doch erster (!) und nicht etwa alleiniger Kriegsdienstverweigerer werden. Damit ist es vorbei, wenn die UN als ideelle Kriegspartei anerkannt wird, die man von Fall zu Fall lobt oder tadelt. Die auf der Fraktionsklausur vom 21.Oktober 1999 mehrheitlich beschlossenen und am 1.November vom Parteivorstand akzeptierten Vorschläge stehen im Kreuzfeuer der Kritik. Statt von Militär wird - um zumindest verbal den zivilen Anspruch zukünftiger UN- Streitkräfte zu betonen - von Polizeieinheiten gesprochen. Eine "internationale Polizeitruppe" wird vorgeschlagen, um den Missbrauch von UN-Mandaten durch nationale Streitkräfte zu verhindern. Als Obergefreiter der Reserve würde ich davon in aller Bescheidenheit abraten. Polizeinheiten taugen zur Verkehrsregelung oder bei Banküberfällen. "Polizeieinheiten" gegen von NATO-Kadern ausgebildete Armeen, wie in Ost-Timor oder Haiti, marschieren zu lassen, ist höchst problematisch.
Unter der Überschrift "Die Waffen nieder" formuliert das noch gültige Programm: "Die PDS tritt dafür ein, Krieg und militärische Gewalt zu ächten und für immer aus dem Leben der Völker zu verbannen. Wir lehnen Denken und Handeln in Abschreckungs-, Bedrohungs-, und Kriegführungs- Kategorien ab. Wir treten für die schrittweise Beseitigung aller Streitkräfte ein."
Während verschiedene linke Strömungen wie Teile der IV.Internationale zu Beginn des Kosovo-Krieges vor knapp einem Jahr sich noch offen mit den über Albanien aufgerüsteten Banden der UCK solidarisierten oder die serbische Soldateska im Kosovo als Schutzpolizei schönredeten (DKP), hatte die PDS von vorneherein darauf verzichtet, in diesem Krieg eine gerechte Kampfpartei ausfindig zu machen. Sie setzte auf Verhandlungen und die politische Stärkung der UNO, nicht auf deren Militarisierung. Sie ließ sich weder verleiten, Milosevic zu verteidigen noch die Zerstörung Restjugoslawiens als Menschenrechtspolitik umzudeuten. Damit war die PDS nicht nur glaubwürdig gegen NATO- Bombardements und Bundeswehreinsatz; sie lag auch richtig im Hinblick auf die Situation heute, ein Jahr danach. Im Einzelfall mögen militärische Einsätze der UNO noch Schlimmeres verhindern. Insofern ist Einzelfallprüfung immer richtig. Aber auch der "gerechteste" Krieg unter UN-Flagge trägt bei zur Militarisierung zwischenstaatlicher Beziehungen, stärkt Rüstungsinteressen und verzerrt die tatsächliche Ursache-Wirkung-Beziehung immer neuer Kriege. Deshalb ist - so komisch es klingt - die Forderung nach Einzelfallprüfung unter den derzeitigen internationalen Machtverhältnissen nur bei grundsätzlicher Ablehnung des UN-Gewaltmonopols akzeptabel.
Bernhard Strasdeit


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