Sozialistische Zeitung |
Am 29.Januar fand im Bürgerhaus Stollwerck in der Kölner Südstadt eine Konferenz mit
dem Titel "Umverteilen" statt, an der etwa 50 Personen teilnahmen. Eingeladen hatte ein Kreis aus Jusos, PDS und
GewerkschafterInnen.
Schon die in der Einladung formulierten Forderungen könnte man
bestenfalls als radikalreformistisch bezeichnen, aber vielleicht ist sogar das übertrieben. So fehlte bei der Forderung nach
Arbeitszeitverkürzung die Forderung nach vollem Lohnausgleich, ansonsten war von Beschäftigungsprogrammen,
Umlagefinanzierung für Ausbildungsplätze und der Durchsetzung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums die Rede. Letzteres soll
durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer und einer Steuer auf Spekulationsgewinne erreicht werden.
All diese Forderungen sind sicher nicht falsch und würden bei ihrer
Umsetzung die Lebensverhältnisse vieler Menschen verbessern. Sie bieten aber wenig Ansatzpunkte für emanzipatorische Politik
und fördern eher Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus.
Die Konferenz wurde mit einem Referat von Wolfgang Belitz vom
Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland eröffnet. Belitz unterhaltsamer und mit anarchischem Humor
gewürzter Vortrag war vermutlich das Beste an der ganzen Konferenz. Er ging davon aus, dass man nicht über Armut sondern
über Reichtum sprechen müsse, denn dieser stelle das eigentliche Problem dar. Letztlich müssten die großen
Vermögen enteignet werden, um eine gerechte Gesellschaft zu erreichen. Er stellte weiterhin fest, dass die derzeitige Reichtumsverteilung
die ungleichste in der Geschichte der BRD sei.
Sein Lösungsmodell eines "Neuen Gesellschaftsvertrags"
mutete allerdings etwas naiv an. Es handelt sich dabei um eine Gesellschaft, in der die Arbeit auf 30 Stunden pro Woche verkürzt ist und
die Beschäftigten als Ausgleich für den Lohnverlust Anteile am Produktivvermögen bekommen. Leute mit Kindern
bräuchten keine Steuern zu bezahlen, "BürgerInnenarbeit" würde wie Arbeit in der Produktion bezahlt und Leute
ohne Lohnarbeit erhielten eine Grundsicherung in Höhe von etwa 1200 DM.
Abgesehen davon, dass solche Vorstellungen nur schwer gegen
konservative Konzepte wie die eines Ulrich Beck abzugrenzen sind, ist die Frage offen, wer mit wem diesen Vertrag abschließen soll.
Die Reichen haben einen solchen Vertrag nicht nötig, sie müssten von den Armen schon dazu gezwungen werden. Wenn diese dazu
in der Lage wären, ist es sehr fraglich, ob sie sich dann mit so wenig zufrieden geben würden.
Am Nachmittag fanden vier Arbeitsgruppen statt: Niedriglohnsektor,
Grundsicherung, Vermögens- und Einkommensverteilung sowie ordnungsrechtliches Vorgehen und andere Repressionen gegen Arme. In
der letzten Arbeitsgruppe ging es vor allem um die Kriminalisierung von MigrantInnen, ihre Doppelbestrafung durch Strafe und Abschiebung
und die zunehmende Anwendung des Ordnungs- und Strafrechts gegen Arme, um sie vorzugsweise aus den Innenstädten zu vertreiben.
So kann bspw. ein dreimaliges Platzverbot zu einer Geldstrafe von 1000
DM führen. Da die Betroffenen das in der Regel nicht bezahlen können, führt das zu einer Haft von etwa einem Monat. In den
USA hat die zunehmende soziale Repression zu einem Anstieg der Anzahl der Gefangenen auf knapp zwei Millionen geführt. Das
Haftsystem der USA wird auch als ein "Gulag westlichen Typs" (siehe Seite 16) bezeichnet.
Die Arbeitsgruppe kam aber zu keinen Vorschlägen, welche Formen
des Protests gegen die zunehmende soziale Ausgrenzung entwickelt werden können. Die Ergebnisse der anderen Arbeitsgruppen sollen in
einem Reader veröffentlicht werden, der bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag.
Auf der abschließenden Podiumsdiskussion beklagten die
Teilnehmenden die ungerechte Verteilung der Vermögen. Es wurde mehr Verteilungsgerechtigkeit eingefordert, ohne dass klar wurde,
wie das erreicht werden soll. Weitergehende Vorstellungen wurden nicht entwickelt. In dem Spektrum, das zu dieser Konferenz eingeladen
hatte, scheint die Nostalgie in Bezug auf die goldenen Tage des Keynesianismus noch nicht verflogen zu sein.
Manche wollen nicht wahrhaben, dass der als
"Neoliberalismus" verharmloste marktradikale Kapitalismus keine Entartungserscheinung, sondern eine fast schon
zwangsläufige Entwicklung ist, die im Rahmen des Kapitalismus unumkehrbar ist. Außerdem war auch der Keynesianismus mit
Repression untrennbar verbunden und die vielgepriesene Verteilungsgerechtigkeit hat in den Ländern der Dritten Welt nie stattgefunden.
Der bereits in der Einladung angesprochene Aspekt, dass Armut überwiegend weiblich sei, blieb auf der Konferenz unterbelichtet.
Für radikale Linke ist es natürlich leicht, die
Unzulänglichkeit reformistischer Politik zu kritisieren. Dabei darf man aber nicht stehen bleiben. Es bleibt die Aufgabe, eine Strategie zu
entwickeln, durch die eine möglichst breite Bewegung entstehen kann, die kämpferisch gegen Sozialabbau protestiert. Dadurch
kann soziale Gegenmacht aufgebaut werden, durch die radikal linke und emanzipatorische Politik wieder vermittelt werden kann, damit sie
nicht nur in isolierten Zirkeln und Szenen sondern wieder in der Gesellschaft stattfindet.
Dazu bedarf es nicht der sektiererischen Abgrenzung sondern kluger
Bündnispolitik mit reformistischen Kräften, die sich nicht opportunistisch unterordnet, sondern ihre Bündnispartner mit
radikaleren Inhalten konfrontiert und so eventuell in der Lage ist, eine soziale Bewegung in emazipatorischem Sinne zu radikalisieren.
Andreas Bodden